𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟟𝟟

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Katja war ein wenig aufgeregt. An dem heutigen Morgen war sie in Berlin angekommen. Leider musste sie noch ein paar Tage in Montreal ausharren, aber sie hatte mit Absicht eine Unterkunft in der Nähe des Flughafens gewählt.

Fern von Pierre. Der so in seiner Männlichkeit gekränkt war, dass er erstmal fleißig bei ihrer Familie gepetzt hatte.

Natürlich hatte er sich als der verlassene Freund gezeigt, der völlig am Boden über die Trennung seiner geliebten Katja war.

Bullshit.

Ihre Mutter terrorisierte sie mit Nachrichten, bis sie ihr Handy ausgestellt hatte.

Die Sache mit Vincent wollte sie eh persönlich klären, weshalb sie es nicht als relevant genug hielt, erreichbar sein zu müssen.

Zudem wollte sie all ihre Freunde mit ihrer Rückkehr überraschen.

Bei ihrer Ankunft musste sie jedoch erst bei ihren Eltern vorbeischauen. Beide, mit jeweiligen neuen Partnern, warteten im Haus ihrer Mutter.

Wie bei einem Vorstellungsgespräch saßen sie am Tisch und erklärten Katja wie so oft, das ihr Leben einfach nur einer Vorstellung eines Zirkus glich.

In ihrem Kopf erklang deshalb während des kompletten Gespräches die allbekannte Zirkusmelodie eines Clowns, wenn dieser die Arena betrat und sein Kunststückchen präsentierte.

Sich zu erklären hatte sie nicht vor.

Sie hatte keine Lust, das ihre Familie das Ausmaß ihrer Beziehung mit Pierre erfahren würden. Und auch ihre versteckten Gefühle für Vincent wollte sie hier nicht auf den Tisch knallen.

»Stell dir mal vor, du wirst schwanger von irgendjemanden, wenn du keine Beziehung führst.« , sagte ihre Mutter. »Willst du etwa einen Bastard?«

Die Worte waren natürlich bei ihr hängen geblieben und die Frau ihres Vaters mischte gleich mit. »So etwas wird in der Bibel zur Sprache gebracht.«

»Dann solltet ihr langsam mal stolz auf mich sein.« , konterte Katja, die eigentlich nur Nicken wollte während der Diskussion, aber bei dem Thema in diesem Moment doch nicht ruhig sein konnte. »Ich werd', so wie es scheint, in der Heiligen Schrift namentlich erwähnt.«

Damit hatte sie sich natürlich die Empörung ihres Clans zugezogen.

Hätte sie zur Zeit der Hexenverbrennungen gelebt, war Katja sich sicher, dass sie auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden wäre.

Die Blicke hatten alles gesagt.

Demzufolge hatte sie ihre Kleidung danach bei ihrer Oma abgeladen, die eine Wohnung über der Bäckerei ihr Eigen nannte.

Doch jetzt, am Abend, stand sie vor der Bar.

Vergessen war die Ketzerei.

Das hier lag ihr am Herzen. Und nur das, was er von ihr dachte, war wichtig.

Sie öffnete die Türe. Es war rappelvoll. Trotz das kein Auftritt mehr der Band stattfand.

Sie sah zu ihrem Stammplatz rüber. Hannah saß dort alleine mit Blick auf ihr Handydisplay gerichtet.

Es tat so gut hier zu sein.

Dag und seine Freundin erspähte sie an der Bühne, wo sie mal wieder so taten, als wären sie komplett alleine.

Alles wie immer. Sie war ja schließlich nicht Ewigkeiten weg gewesen.

Mit Isabelle musste sie ebenso eine Aussprache führen, aber sie hoffte, dass sie ihr nicht lange Böse sein konnte. Erst Recht, weil sie wieder da war.

Sie war optimistisch ... bis sie zum Tresen blickte.

Vincent stand da und unterhielt sich mit einem Mädchen.

Natürlich. Wieso auch nicht?!

Er war Single.

Er hatte nach keinem zu fragen.

Und doch tat es weh.

Das war die schonungslose Wirklichkeit.

Die Luft hing so voll mit Dingen, die so schwer waren, dass sie eigentlich unweigerlich herunterfallen und einen riesigen Knall hätten auslösen müssen.

Aber in Katjas Kopf herrschte eine Totenstille.

Irgendwo ganz tief in ihr war da dieses kleine Stück Hoffnung gewesen, das nun von dieser Stille in eine Ecke gedrängt wurde ... und schließlich ... verschwand.

Das war kein Neubeginn. Es war das Ende.

Bildlich wurde es ihr hier präsentiert.

Das Leben ging weiter ... ohne sie.

Sie schritt rückwärts nach draußen in den Flur und letzten Endes aus dem Gebäude raus.

Katja musste es akzeptieren. Damit abschließen.

Sie berührte ihre Wangen, als es dort kitzelte. Erst jetzt registrierte sie die Tränen. So schnell sie nur konnte, wischte sie diese weg.

So emotional sollte sie niemand sehen.

Liebe tat weh. Das war der Beweis, dass man darauf verzichten sollte.

Sie musste augenblicklich die Wurzel ihres Schmerzes loswerden.

Es würde keine Vereinigung geben. Sie musste mit allen den Kontakt brechen. Nur das konnte helfen. Katja war gezwungen klare Grenzen zu setzen.

Dieses Gefühl, ihn mit einer anderen gesehen zu haben, obwohl er sich nur mit ihr unterhielt, schnürte ihr die Kehle zu.

Sie wollte so eine Gefühlswallung nicht verspüren. Das war ihr fremd. Vielleicht tat es ihr deswegen so extrem weh. Katja wusste es nicht, aber hätte ihr in dem Moment jemand gesagt, es würde aufhören, wenn sie vor ein fahrendes Auto springt, sie hätte es getan.

Eilig steuerte sie die nächste Ecke an.

Sie hatte nicht vor, die Bushaltestelle in der Nähe zu verwenden. Bei ihrem Glück würde sie sonst noch Vincent oder einen ihrer anderen Freunde treffen.

Es war nur ein wenig Abstand nötig und zack hatte er sein Auge auf eine andere geworfen.

So lief das.

Dag und Isabelle waren eventuell eine Ausnahme. Die beiden sah Katja vor ihrem inneren Auge noch als Greise turtelnd irgendwo sitzen. Aber im Normalfall wurde man bei der bestmöglichen Gelegenheit ausgetauscht.

Sie gab Vincent keine Schuld. Es war schließlich nichts Ernstes, was sie geführt hatten.

Sie war die Naive in der Sache gewesen.

Wie konnte sie nur denken, dass da doch etwas war?

Sein Ich-liebe-dich hatte keine Bedeutung gehabt. Vielleicht war es nicht mal ihr Name gewesen. Möglicherweise war es „Wat war?" oder „Nadja" oder ... „Ich-verschiebe-dich-stadtnah".

Unter Umständen hatte sie sich nur ein Ich-liebe-dich gewünscht und er hat nur einen idiotischen Reim im Traum gesprochen, den er für irgendeinen dämlichen Song für SDP benutzen wollte.

Genau.

Das musste es sein.

Wie konnte sie nur denken, dass sie wichtig für jemanden war?!

Sie lachte laut. Wie eine Irre gab sie ein Mix aus Weinen und Lachen wieder, bis sie schließlich wütend gegen einen Stromkasten trat, um ihre Gefühlsregung besser kontrollieren zu können.

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandWhere stories live. Discover now