𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟝𝟞

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Seine Faust traf sie hart am Oberarm. Er hatte mit Absicht nicht ihr Gesicht gewählt, obwohl es ihm in den Fingern juckte, genau dies zu tun. »Wo warst du?« , schrie Pierre Katja an.

»Hab ich dir doch gesagt.« , gab sie im lauten Ton von sich, als sie ihren schmerzenden Arm festhielt.

»Ich war bei deinen Eltern. Weißt du, wie du mich hast dastehen lassen? Wie ein Idiot, der seine Freundin nicht unter Kontrolle hat.« , sprach er mit zusammengepressten Zähnen.

»Man muss mich nicht unter Kontrolle haben. Ich bin ein freier Mensch.«

Er schnalzte mit der Zunge und täuschte erneut einen Schlag an, woraufhin sie zuckte. Dies bracht ihn zum Grinsen und er packte ihr Kinn. »Du bist nicht frei.«

Er zerstört dich ...

Hörte sie ihre innere Stimme flüstern.

Katja wusste, er konnte übermäßig aggressiv reagieren, wenn sie etwas tat, was nicht seinen Vorstellungen entsprach. Und ihr war klar, dass es ein Nachspiel geben musste, nachdem er sie angerufen hatte, als sie mit Vincent die Zeit ausschöpfte. Und doch war sie brav zu ihm nach Hause gegangen, als sie an diesem Abend wieder Berlin erreicht hatten.

»Ich war für meine Oma unterwegs.« , sagte sie und blinzelte dabei nicht einmal, als sie in seine Augen blickte.

»Deine Eltern wussten nichts davon.«

»Warum sollte sie vorher meinen Eltern davon erzählen? Ich bin kein Kind mehr. Sie braucht nicht deren Erlaubnis.«

»Das geschieht kein zweites Mal. Hast du mich verstanden?« Sie antwortete nicht, woraufhin er ihren Hals packte und feste zugriff. »Haben wir uns verstanden?« , wiederholte er.

»Ja.« , zischte sie in einem gereizten Ton, was Pierre gar nicht gefiel. Und doch ließ er los.

Sie fühlte sich entwertet. Mickrig.

Wann genau hatte sie es zugelassen, dass er die Herrschaft über sie erlangen konnte? Zu welchem Zeitpunkt hatte Katja sich ihm ergeben?

Er war subtil, manipulativ. Perfide halt. Immer gerade so, dass man selbst nicht deutlich spürte, was da soeben abgelaufen war. Aber sie merkte von Mal zu Mal mehr, dass sie müde und fahrig wurde ... und das sie Angst vor ihm bekam.

Doch noch war ein kleiner Teil in ihr nicht am Boden, weshalb sie auch weiterhin stur den Blick beibehielt.

Keine Schwäche zeigen ...

Sein linkes Auge zuckte. Er musste sich zusammenreißen. Ihr war klar, wie gern er ihr ins Gesicht schlagen würde ... sogar bis sichtbare Spuren davon zeugen würden, wer hier das Sagen hatte.

Ihr Handy klingelte und Pierre nahm in Nullkommanichts ihr Mobiltelefon in die Hand, ehe er es ihr zurückgab, nachdem er auf dem Display gelesen hatte, wer dort anrief. »Denk dran.« , sagte er nur.

Katja sah auf ihr Handy. Es war ihre Mutter. »Ja?« , gab sie von sich, als sie dranging.

»Ich bin's.« , sagte sie, während Pierre seiner Freundin anwies, sie solle auf laut stellen.

»Hallo Aleksandra.« , sprach er direkt lieblich.

Katja hasste es, das ihre Eltern ihm sofort das Du angeboten hatten, weil er ja so eine nette Persönlichkeit mit seiner Verkörperung präsentiert hatte.

»Ach. Hallo Pierre. Wie geht es dir?« Die Stimmlage ihrer Mutter hatte sich verändert, als würde sie mit einem zuckersüßen Baby sprechen.

»Gut. Wie geht es euch denn?«

»Bestens, mein Junge. Bestens.«

Mein Junge ... Kotzwürg.

Pierre grinste Katja von sich selbst überzeugt an.

»Ich hoffe, fürs Wochenende steht schon alles parat?!« , erklang übertrieben freundlich aus seinem Mund, mit dem er sie eben fast angespuckt hätte.

»Aber natürlich. Deswegen rufe ich ja an. Ich wollte wissen, ob meine Tochter endlich wieder da ist.«

Sie existierte gar nicht. Ihre Mutter unterhielt sich mit Pierre, als hätte sie ihn angerufen.

»Ja. Sie ist eben wieder zurückgekehrt.«

»Ich hab das Fleisch besorgt, was du haben wolltest. Kommen deine Eltern auch?«

»Nein. Tut mir leid. Sie haben bedauerlicherweise keine Zeit.«

Katja hielt das Handy, als wäre sie eine Sekretärin, die ihrem Boss half, ein Telefonat zu führen, während er zu fein dafür war.

»Ooooh schade. Gut dann ... Möchte ich euch zwei Turteltauben auch nicht weiter stören.«

Turteltauben ... Kotzwürg.

Katja ignorierte den aufkommenden Würgereiz. Wie blind waren ihre Eltern eigentlich? Ja, sie spielte genauso eine Show, wie auch Pierre es tat. Aber konnte man die wesentlichen Dinge wirklich so sehr übersehen? Würde sie im gleichen Sinne jemals so ausschlaggebende Begebenheiten bei ihrem eigenen Kind nicht zur Kenntnis nehmen?

Sie erschrak über solche Gedanken.

Ein Kind ...

Wie konnte sie darüber nachdenken, dass sie je eine Mutter sein würde? Sie würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gefühlskaltes Etwas zum Vorschein bringen, weil sie gar nicht wusste, wie man einen Menschen bedingungslos lieben konnte und sie dies unmissverständlich über die Nabelschnur auf das Kind projizieren würde.

Dieses Kind wäre nicht mal in der Lage sie zu lieben. Wie sollte man auch eine Zuneigung für sie hegen? Sie verdiente keine Liebe. Katja war eine pure Enttäuschung für jeden um sie herum. Selbst Vincent hatte sie enttäuscht, indem sie behauptete, sie könnten öfters so einen Trip machen, obwohl ihr klar war, dass Pierre das nicht nochmal zulassen würde.

Sie trug nicht nur in Bezug auf ihn eine Maske. Im Grunde hatte sie immer eine an, die ihr Wesen nicht zeigte. Diese verdeckte, um eine attraktivere, und weniger enttäuschende Erscheinung für andere zu sein.

Auch bei Vincent. Sie hatte immer das Gefühl, bei ihm mehr sie selbst zu sein, doch das stimmte nicht. Denn wenn er alles über sie wissen würde, würde er sie verabscheuen. Er würde bemerken, wie wenig wert sie war.

War sie vor Kurzem noch glücklich, dass sie diese kleine Reise mit ihm gemacht hatte, wurde ihr nun vor Augen gehalten, dass dies nur eine Illusion war. Ein Traum. Es war unmöglich für sie, ein erfreuliches freies Leben zu führen, weil er sie gar nicht ohne diese Maske kannte.

Bei ihm trug sie zwar eine Dünnere als bei den anderen Menschen um sie herum, und dennoch ... wusste Vincent nicht, wie düster die wahre Katja war.

Sie machte sich etwas vor, wenn sie glaubte, das sie auf dieser kleinen Insel glücklich gewesen war.

Pierre beendete das Gespräch mit ihrer Mutter. »Blamier' mich nie wieder so. Denk dran.«

Sie nickte fast unmerklich. Katja hatte es verdient, diesen Kerl an ihrer Seite zu haben ... für all das, was sie in ihrem Leben zugelassen hatte.

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandWhere stories live. Discover now