𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟚𝟡

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Katja hielt den VW-Bus vor Pierres Wohnhaus.

Sie war nicht überrascht Vincent bei Dag vorzufinden. Irgendwie war ihr klar gewesen, dass er eventuell doch jemanden haben musste, um darüber zu reden. Weshalb sie ihm auch nochmal Zeichen sendete, dass sich rein gar nichts zwischen ihnen geändert hatte.

Wieder vibrierte ihr Handy, als sie gerade aussteigen wollte.

- Du könntest auch mal antworten, oder schläfst du noch? So etwas macht man nicht Katjuschka. Der Morgen beginnt nicht erst so spät.

Sie antwortete nicht, sondern stopfte ihr Handy zurück, um anschließend bei Pierre zu klingeln.

Binnen Sekunden wurde ihr aufgedrückt und sie ging nach oben.

Nur in einer Jogginghose bekleidet stand er an der Tür und lächelte, als er sie sah. »Hey. Komm rein.« Er wollte sie küssen, doch sie entfernte ihren Kopf in die entgegengesetzte Richtung und ging an ihm vorbei.

»In dein Zimmer? Oder ist das schon ... belegt?«

Seine Mundwinkel hoben sich ein wenig an, wegen ihrer sarkastischen Art. »Geh' rein. Es ist niemand da.«

Katja öffnete die Türe und nahm seinen Stuhl als Sitzplatz.

Pierre schloss derweil den Eingang hinter sich und setzte sich auf die Matratze. »Es tut mir leid Katja. Ich wollte nicht, dass du so etwas siehst.«

Sie grunzte kurz auf. »Schon okay.«

»Nein. Es ist nicht okay. Ich war drauf. Sandro hat Zeug bekommen und ... ja, ich war etwas übermütig und hab echt viel konsumiert. Lana ist hiergeblieben und ja ... irgendwann war sie nackt vor mir. Weiß selber nicht, wie das geschehen konnte.«

»Ich sagte, es ist okay.«

»Also verzeihst du mir?«

Sie wollte Nein sagen. Alles in ihr schrie Nein. Aber immer wieder sah sie ihre Familie, die augenrollend von sich gaben, was für eine Versagerin sie doch sei.

So ausführlich hatten sie es nie gesagt, jedoch von Mal zu Mal angedeutet.

Stets konnte sie sich anhören, wer heiratete, wer Kinder bekam, wer sich verlobte, wer eine Beförderung bekam und so weiter und so fort. Jeder wurde irgendwie so vorgestellt. Das ist Natascha, sie heiratet im Herbst. Das ist Adrian, er wird im Frühjahr Papa. Das ist Marija, sie leitet jetzt ein Unternehmen ... dann kam sie ... ja und das ist Katjuschka. Mehr Beschreibung bekam sie nie.

»Ja.« , sagte sie schließlich.

Pierre grinste und klopfte neben sich. Katja schüttelte den Kopf. »Nein. Anfassen gibt es erst mal nicht.«

»Das liebe ich an dir. Dieses Feuer.«

Ihre Miene blieb unverändert und sie stand auf. »Du bist eingeladen. Meine Cousine heiratet und ... magst du Steak?«

»Klar.«

»Gut.«

»Ich lern' also deine Familie kennen?«

»Scheint so.«

»Ich find's gut, das du zur Vernunft gekommen bist. Streitigkeiten gibt es überall. Wir passen einfach zu gut zusammen.«

»Scheint so.« , antwortete sie abermals und dachte direkt an ihre Nacht mit Vincent.

War das fremdgehen?

Im Grunde nicht. Sie hatte sich getrennt. Und selbst wenn. Sie hatte kein schlechtes Gewissen deswegen ... und das lag nicht nur daran, da ihr die Nacht mit Vincent so sehr gefallen hatte.

Sie hatte nicht mit ihm geschlafen, weil es eine Retourkutsche gegenüber Pierre sein sollte. Aber irgendwie fand sie, dass er es verdient hätte, zu wissen, wie viel Spaß sie doch hatte.

Nur sie hatte nicht vor Vincent damit reinzuziehen.

»Du gehst schon?« , fragte er sie.

»Ja. Ich wollte dir das nur mitteilen.«

»Das hättest du auch am Handy machen können. Bleib doch noch ein wenig.«

Er hatte Recht. Das hätte sie auch fein von zu Hause aus erledigen können, aber irgendwie wollte sie sein Gesicht dabei sehen.

»Ich muss gehen.« , sagte sie und öffnete die Türe.

Pierre kam ihr hinterher. »Du musst mir noch das Datum sagen und wo es ist. Die Hochzeit meine ich.«

»Gebe ich dir noch.« , sprach sie und überlegte, wo sie die blöde Einladung hingelegt hatte.

Wiederholt versuchte er, sie zu küssen, und sie ließ es flüchtig zu. Ihre Lippen berührten sich kaum.

»Braves Mädchen.« , sagte er und grinste.

Wie gern sie ihm jetzt eine verpasst hätte. Stattdessen machte sie kehrt und ging die Treppe hinab.

Sie kam sich gerade so elendig dreckig vor, denn sie war keine, die sich so gab. Katja gehörte nicht zu denen, die es zuließ, dass man sie mies behandelte.

Nicht mehr.

Doch was hatte sie dazu gebracht, in alte Muster zurückzufallen?

Sie war kein Opfer.

Das war einmal ...

Wütend trat sie gegen die Beifahrertüre des VW-Busses, als sie diesen erreicht hatte.

Nur um nicht wieder die Person zu sein, die eine pure Enttäuschung der Familie war, musste sie sich auf dieses Niveau lassen.

Das war sie nicht.

Sie fühlte sich so ... erbärmlich.

Innerlich gab sie ihrer kompletten Familie die Schuld, obwohl es doch nur an ihr selbst lag. Sie sollte drauf scheißen, wie sonst auch, was andere von ihr hielten. Aber im Zuge dessen bekam sie es nicht hin.

Am liebsten hätte sie wirklich Vincent mitgenommen. Nicht nur, weil sie mit ihm mehr Spaß gehabt hätte, sondern auch um alle Anwesenden einen reinzuwürgen.

~ Schaut her. Das ist ein sehr guter Freund von mir und gevögelt haben wir auch schon. Mehr läuft da nicht und das ist auch gut so, weil man nicht immer Liebe benötigt oder sonstigen Müll, um ein zufriedenes Leben zu führen. ~

Stattdessen musste sie sich herablassen und dem Idioten Verständnis zeigen.

Wo war die Katja, die einen Fick darauf gab, welchen Eindruck sie bei wem hinterlassen würde?

Doch das hier war etwas anderes. Es ging um ihre Familie.

Wiederholt vibrierte ihr Handy. Dieses Mal rief ihre Mutter jedoch an.

»Ja?« , sagte Katja, als sie nach einigen Sekunden Überlegung dranging.

»Oh. Auch mal erwacht?«

»Ich bin unterwegs und liege nicht im Bett.«

»Hast du meine Nachrichten gesehen?«

»Ja habe ich.«

»Ach. Und dann kommt keine Antwort?« , fragte sie und setzte gleich einen drauf. »Das ist einer der Gründe, weshalb du auch in keinem Job so erfolgreich bist mein Kind. Du bist unzuverlässig.«

Katja wusste, dass sie dies im Grunde alles nicht böse meinte, aber dennoch ... tat es weh, dass man sie nicht einfach akzeptierte, wie sie war. Das sie jedes Mal eine Version spielen musste in deren Anwesenheit, die nicht mal ansatzweise da herankam, wo ihre Familie sie gern sehen würde.

»Bringt sie diesen Kerl mit oder existiert er doch nicht?« , hörte sie ihren Stiefvater im Hintergrund fragen.

»Pierre kommt mit.« , antwortete sie, obwohl sie etwas anderes sagen wollte.

»Oh. Hast du gehört Willi? Sie bringt ihn mit.« Katja vernahm die Freude und Erleichterung in der Stimmlage ihrer Mutter. Und enttäuschen wollte sie diese nicht.

Was soll's.

Spielte sie halt weiter diese Version, um sie glücklich zu machen ...

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandWhere stories live. Discover now