𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟘𝟞

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Vincent machte einen schmierigen Haken neben der vorletzten Adresse und legte den Zettel auf den Beifahrersitz, ehe er wieder zu fahren begann.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt war er nicht weitergekommen. Er war sich auch gar nicht mehr sicher, ob er Hannahs Bemerkung richtig verstanden hatte. Keiner der angegeben Katjuschkas konnte ihm Informationen über eine Katja geben ... und nun blieb nur noch eine übrig.

Sein letzter Versuch, bevor er wieder bei Null startete.

Er hielt an einer Ampel und prüfte sein Handy. Dag hatte ihm geschrieben, dass er heut zur Abendstunde zu Andi in die Bar wollte.

Vincent wusste, nach dem gestrigen Abend, dass es nichts mehr nutzen würde, ihm irgendetwas auszureden. Dag machte eh das, was er wollte.

Seine Befürchtung war jedoch, dass er auch bei Andi Radau machen würde, so wie auf der Bühne. Vielleicht war es sogar sein Fehler gewesen. Er hätte Dag möglicherweise nicht zu dem Auftritt drängen sollen. Vincent wusste gedanklich, dass Dag gar nicht in der Stimmung war, richtig zu performen ... und doch wollte er in aller Selbstverständlichkeit professioniert an die Sache gehen.

Falls sie nämlich irgendwann in der Tat Stadien füllen würden, könnte man im gleichen Sinne nicht bei jedem Wehwehchen alles liegen lassen. Andere Künstler mussten auch ihre privaten Probleme verborgen halten und auf Knopfdruck funktionieren.

Vincent wählte Andis Nummer und stellte den Lautsprecher an, während er das Handy wieder auf den Beifahrersitz legte. »Hey Andi. Ich bin es Vince.« , sagte er, als der Barbesitzer dranging. »Hömma ... wir wollten heut Abend vorbeikommen, kannst du irgendwie mit drauf achten, das Dag sich nicht die Birne wegkippt?«

»Kann ich machen Jung, aber ... ich weiß doch schon das ihr kommt.«

»Von?«

»Dag. Er hatte mich angerufen in der früh. Er fragte, ob er heut auftreten kann.«

Vincent runzelte die Stirn. »Sicher, dass du ihn richtig verstanden hast?«

»Klar.«

»Er hat also gefragt, ob wir heut dort spielen können?«

»Nein.« , antwortete er gelassen. »Er fragte, ob er heut auf die Bühne kann.«

»Ehm ... okay. Ehm Andi, ich klär' das noch genauestens ab. Ich geh' nämlich nicht davon aus, dass Dag in der nächsten Zeit auf 'ner Bühne stehen wird.«

»Oh. Ist was geschehen?«

»Er hatte gestern einen kleinen Ausraster, aber ... ich bekomm das schon hin.«

»Denkst du eigentlich auch mal an dich? Ja Dag ist dein Freund, aber du musst auch ein bisschen egoistisch sein. Du kannst nicht alles für ihn regeln. Er muss lernen, dass schlimme Dinge geschehen.« , sprach Andi. »Es ist unfair und schrecklich, aber irgendwann wird er feststellen, das sowas leider gelegentlich passieren muss. Nur so entwickelt man seine eigenen Stärken.«

»Ich weiß, was du meinst, aber er ist mein bester Freund ... und Freunde sind füreinander da.«

»Du sollst ja auch für ihn da sein Vince, aber du bist kein Zauberer. Du kannst seine Sorgen nicht verschwinden lassen.«

»Aber sie mildern ... und wenn ich Isabelle gefunden habe, werde ich sie mir auf die Schulter packen und keine Ausrede mehr zulassen.«

»Ich drück dir die Daumen Jung. Bist du denn mittlerweile auf 'ner heißen Spur?«

»Ich hoffe es.« Vincent hatte nicht vor, Andi zu sagen, dass er nur noch eine Person auf seiner Liste hatte und das er danach wieder vor einem Blanko-Blatt sitzen würde.

Abgesehen davon hatte er nicht mal eine Ahnung, was sein nächster Schritt hätte sein können. Er war völlig ratlos ... außer das er sich nochmal an Hannah wenden könnte. Aber wer wusste schon, ob sie ein weiteres Mal dazu bereit wäre, ihm zu helfen.

»Na jut Jung, dann will ich dich mal nicht länger aufhalten. Wir sehen uns dann heut Abend.«

»Ja bis dann. Tschau.« Vincent legte auf und fuhr rechts in eine Straße hinein.

An diesem Ort war er logischerweise auch schon gewesen, als er auf der Suche nach Katja war.

Er hatte schließlich alle Katjuschkas auf seiner Liste ausfindig gemacht und diese besucht ... ohne Erfolg.

Hier war eine kleine Bäckerei und die Inhaberin, eine ältere Frau, hieß Katjuschka. Er erinnerte sich noch gut an sie, weil sie sehr herzlich zu ihm war und wollte, dass er fast alles im Laden mal probierte. Als wäre er ihr Enkel oder so, wo die liebe Oma immer Panik hatte, man würde verhungern.

Vincent sah sich nach einer Parkfläche in der Nähe um. Er wusste noch vom letzten Mal, wie beschissen es war, hier etwas zu finden. Langsam durchfuhr er die Straße und umkreiste das Gebäude erneut, bevor er wieder einfuhr.

Das wiederholte er sechsmal hintereinander, bis er letzten Endes Glück hatte und ein älterer Herr in aller Ruhe zu seinem Wagen spazierte.

Vincent hielt an und beobachtete, wie dieser gemächlich sein Auto erreichte, dann erst zum Kofferraum schlappte und etwas dort hineinstellte, um anschließend zur Fahrerseite zurückzukehren und wie in Slow Motion-Aktion einzusteigen.

»Mach doch.« , sprach er gefrustet, während er dabei zusah, wie dieser den Sitz einstellte und danach die Spiegel prüfte. Er stöhnte auf. »Ist doch nicht normal.«

War er verflucht?

Saß da irgendwo eine Hexe, die ihm sein Leben schwer machen wollte?

Der Mann sah zu ihm rüber und lächelte. Vincent legte ein künstliches Grinsen auf und nickte freundlich, als der Herr ihm per Handzeichen fragte, ob er die Parklücke nutzen möchte.

Langsam knatterte er raus.

Endlich.

Doch statt die Einfahrt frei zu machen, fuhr er rückwärts und hielt genau neben Vincent und kurbelte sein Fenster runter. »Is' schwer hier einen Parkplatz zu finden, wa'?«

»Oh ja. Da sagen Sie etwas.«

»Einmal, da bin ich doch tatsächlich fast eine Stunde rumgekurvt und dabei hatte meine Ilse bereits das Essen auf dem Tisch.« Vincent nickte stürmisch und behielt sein Lächeln mit der Hoffnung, der Mann würde dann weiterfahren. »Sind Sie verheiratet?«

»Ehm nee. Ich bin einundzwanzig.«

»Ach da war ich bereits längst verheiratet. Wissen Sie, damals war alles anders. Aber ihr jungen Leute von heut seid schon ein komisches Volk. Statt euch zu binden, wollt ihr immer nur Party machen, da in diesen Discos und wechselt von einem Partner zum nächsten. Das tut euch allen nicht gut. Glauben Sie mir.«

»Ja. Sie haben Recht. Böse, böse Jugend.« , gab Vincent mit einem bleibenden Nicken und Grinsen von sich.

»Ach jetzt verschaukeln Sie mich aber junger Mann.« , lachte der ältere Herr.

»Ehm, hören Sie ... ich bin ein wenig unter Zeitdruck, also ... leider muss ich jetzt weiter ...«

»Keine Zeit. Die Jugend von heute ist immer nur auf dem Sprung. Das tut Ihnen nicht gut. Das Leben geht so schnell vorbei, da sollte man jede Sekunde auskosten.«

»Ja, danke für den Rat.« , warf er drängend ein.

Der Mann schüttelte schließlich den Kopf und fuhr weiter. Vincent raste in die Parklücke und blieb schief drin stehen. Er schnappte sein Handy und sprintete hinaus. Sofort steuerte er die kleine Bäckerei an, wo er die Inhaberin schon hinter der Theke sehen konnte.

»Hallo.« , sagte er, mit der Glocke im Hintergrund, die immer erklang, sobald die Türe bewegt wurde.

»Ach. Sie schon wieder.« , sprach Katjas Omas in einem russischen Akzent.

»Ja. Ich war in der Gegend.« Vincent stützte sich an der Theke ab. »Hören Sie, als ich hier war, vergaß ich Sie etwas zu fragen ...«

Die Glocke läutete einen weiteren Besucher der Bäckerei an.

»Hallo Katjuschka. Haben Sie eventuell noch diese leckeren Keks...« Die Stimme verstummte abrupt.

Vincent drehte sich um. »Isabelle?!«

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandWhere stories live. Discover now