𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟘𝟜

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»Wir sind Sprechschurken, Westgurken, Possenreißer, Pestboten, Flashmeister, Flaschengeister, Vollidioten, Hasenpfoten, Peaceraucher, Bongsüchtig, schreiben uns're Songs tüchtig, unvernünftig! ... Wir sind Kettenraucher, Hubschrauber, poposauber, böser Zauber, lose Räuber, haarsträubend, betäubend, aufbaulich und zutraulich, stubenrein, winzig klein, bekannt aus Samt und Seide, haben keine Scheine sondern Dingsbums - sag ich nicht - dir jedenfalls nicht ins Gesicht, is' auch nicht wichtig, komm und korrigier' mich nicht! Du bist so zierlich, ich bin Steinbeißer, Stahlseil, Stretcher oder Beastman!«

Vincent war froh, dass Dag jeden Song des heutigen Abends perfekt hinbekommen hatte und er auch auf der Bühne bisher nicht negativ aufgefallen war.

Den Weg hierher hatte er nämlich noch ein klein bisschen Muffensausen, weil sein bester Freund wiederkehrend nur heulte und sein ganzes Leben als beschissen bezeichnete.

Streitwagen endete und Vincent schrie gut gelaunt in sein Mikro. »Habt ihr irgendeinen Wunsch? Welchen Song sollen wir als Nächstes spielen?« Seine Hand verweilte kurz neben seinem Ohr und er lauschte der Menge. Zum Schluss hockte er sich und hielt einem Mädchen das Mikrofon hin, konträr dazu kippte Dag irgendwas in sich hinein. »Hast du 'nen Wunsch?«

»Ja habt ihr auch irgendein Liebeslied?« , fragte sie.

Dag gab ein herabminderndes Lachen von sich, als er sein Mikro vor sich hielt. »Liebeslied. Soll ich dir mal was sagen über Liebe?« Er baute sich neben Vincent auf. »Ich habe vor Jahren mal einen Song verfasst, weil ich dieses Mädchen vom ersten Moment an geliebt habe. Ich wusste, dass sie diejenige ist, die ich auf ewig lieben werde ... doch dann habe ich scheiße gebaut ... und jetzt ist sie weg.« Er ging auf und ab. »Meine Liebe zu ihr ist geblieben und das wird auch für immer so sein. Ich vermisse alles an ihr. Ich vermisse ihren Atem zu lauschen, wenn sie nachts eingeschlafen ist. Ihre Hände, die mich berühren. Sie fehlt mir jede Sekunde meines Lebens und das bringt mich mehr und mehr um. Ich fühle mich tot ... tief in mir drin. Und nur dieser beschissen Schmerz den ich empfinde, erinnert mich daran, das ich noch lebe.«

»Komm, ist gut.« , sagte Vincent und grinste die Zuhörerinnen und Zuhörer an, als wäre das Teil ihrer Show.

»Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Lass mich.« , gab Dag von sich.

»Nein. Es ist gut jetzt.« Nun war seine Stimme autoritärer, doch sein Freund gab anscheinend einen Fick darauf und schwafelte getrost weiter. 

»Ich weiß, das sie ihre Gründe hat, weshalb sie nicht mehr bei mir ist, aber ich will einfach nicht aufgeben, daran zu denken, das sie irgendwann zurückkehren wird und egal wie lange das dauert ... ich werde warten. Weil nichts und niemand sie ersetzen kann. Wenn man etwas wirklich liebt, gibt es keinen Ersatz. Sie war einzigartig. Ein Unikat. Mein Unikat.«

»Komm is' jut jetzt.« Vincent versuchte, ihm das Mikro abzunehmen, doch ohne Erfolg.

»Neee. Lass mich.« , sagte Dag, als er seinem Freund auswich und über die Bühne preschte. »Worauf ich hinaus wollte ... es gibt quasi so gut wie gar keinen Liebessong. Im Grunde ist das, was ihr alle so toll findet und weshalb ihr schwärmt, Lieder über Trennungen. Herzschmerz. Ihr feiert Songs, wo jemand dudelt, dass er betrogen wurde, das er verlassen wurde ... das ist die Kehrseite der Liebe. Der Schmerz, den wir empfinden, wenn das Wichtigste aus unserem Leben einem den Rücken kehrt.«

»So, ich glaube, wir spielen jetzt Bananensaft.« , teilte Vincent in Megaphonlautstärke mit, um Dag zu übertönen. Denn langsam wurde ihm dieses Schauspiel zu viel. So etwas musste nicht auf der Bühne geschehen.

»Nein ich hör jetzt auf.« , sagte Dag.

»Ja. Gut.« Vincent war erleichtert. Vielleicht könnten sie die Vorführung womöglich retten, wenn sie ein paar witzige Showeinlagen aktuell einbauen würden. Er hatte doch noch sein Bienenkostüm hinten. Falls er das ...

»Nein, ich mein komplett. Ich hab keine Lust mehr, hier einen auf gut gelaunt zu spielen. Ich pfeife mir eine Scheiße nach der anderen rein, um den Tag zu überstehen, und für was? Für ein bisschen Applaus?« , schrie er herum. »Darauf kann ich verzichten.« Erzürnt schmiss er das Mikro in die Menge, dann knallte er die Gitarre mehrmals auf den Boden, ehe er das Schlagzeug kaputt trat.

»Hey. Hey. Hey. Es reicht Dag.« Vincent packte sich ihn und verließ mit ihm die Bühne. Vorher gab er noch das Zeichen, das die Show beendet war.

»Lass mich in Ruhe.« , schrie Dag ihn an und riss sich abermals los. »Du kannst nur idiotische Ratschläge geben, aber wie ich mich fühle, das verstehst du nicht.«

»Ich bin dein Freund, okay?! Also such dir einen anderen, den du so anschnauzen kannst. Ich bin nämlich für dich da.«

»Ich scheiß darauf. Ich scheiß auf alles. Nichts ist mehr wichtig für mich, weil mir das Wichtigste fehlt.«

»Das ist mir bewusst und trotzdem musst du auf dein Erdenleben klar kommen. Das Leben ist keine fröhliche Fahrt in den Sonnenaufgang. Nein Dag. Manchmal hast du einen heftigen Sturm und gelegentlich ist die scheiß Straße kaputt. Sie ist nicht asphaltiert und du holperst herum. Es kann sogar sein, dass dir ein Geisterfahrer entgegenkommt, dem du ausweichen musst, aber so ist das beschissene Leben nochmal. Du bist nicht der einzige Mensch, der mal ne schwere Strecke fährt. Also bleib sitzen und fahr deine gottverdammte Reiseroute wie ein Mann.« , herrschte er ihn an.

Er wollte eigentlich nicht so gemein klingen, aber irgendwie war das doch ein wenig viel, was in diesem Moment auf ihn einstürzte. Nicht nur das Dag die Instrumente kaputt geschlagen hatte, nein er machte so, als wäre er der Einzige mit Schwierigkeiten. Dabei ahnte er nichts von den Problemen, die Vincent selbst tagein tagaus beschäftigten.

»Ich komme darauf aber nicht klar, verstehst du das nicht?«

»Ich komme auch auf vieles nicht klar, aber da muss ich durch.«

»Auf was willst du denn nicht klar kommen? Du hast nicht die Liebe deines Lebens verloren.« Dag schubste ihn leicht, ehe er wieder mal alle Schleusen öffnete und sich die Augen ausheulte.

Obwohl sie sich gerade noch angeschrien hatten, nahm Vincent ihn tröstend in den Arm.

~ ich hab nicht nur die Liebe meines Lebens verloren. Ich hab sogar meine beste Freundin verloren. ~

Wollte er sagen, aber entschied sich dann doch, Dag damit nicht in den Ohren zu liegen.

Das Leben war voll einfach Mann, als ich Mädchen noch Scheisse fandWhere stories live. Discover now