13. Bitte bleib bei uns

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Harry versank nun doch in seine Gedanken. Er hörte zwar die Worte des Mannes, der an seinem Bett saß, aber konnte den Inhalt nicht verstehen. 'Was ist nur passiert? Warum weint er? Um mich muss man doch nicht weinen. Es ist nicht schade um mich. Ich bin doch nur eine Missgeburt, ein Freak der absolut nichts wert ist.', ging es ihm durch den Kopf. Nun hatte sein Geist auch die Worte des großen, gut aussehenden Mannes umgesetzt und das löste leichtes Entsetzen aus. Aber nicht weil er gebunden war. Nein, daran dachte er immer noch nicht so wirklich. Das "Entsetzen" überkam ihn, weil der Mann nun an einen wertlosen Freak gebunden bzw. gekettet war und ihn nie mehr los wurde. 'Oh nein! Wie konnte das nur passieren? Dieser Mann scheint Luzifer zu sein. Was sagte der Andere vorher? "Dies sind die privaten Räume des Höllenfürsten." Ja, genau. So etwas hatte der Heiler gesagt', sortierte Harry seine Gedanken. Er hatte aber immer noch das Gefühl, dass dort einfach nur ein Gedankenchaos herrschte.

Eine ruckartige Bewegung ließ Harry dann wieder auf diesen Luzifer aufmerksam werden.

„Bitte, Harry! Du musst wieder aufwachen, denn ich brauche dich. Deine Patentante war auch schon hier, um nach dir zu sehen. Wenn du nun gehst, wirst du sie nie kennen lernen und sie dich auch nicht. Ich weiß nicht was ich noch machen soll, damit du endlich aufwachst. Bleibe bei uns. Wir alle hier brauchen dich." Dann brach er ab und schluchzte auf.

Luzifer hatte nicht bemerkt, dass Elbenkönigin Loredana den Raum betreten hatte und zu dem Bett gekommen war und noch bevor er es registrieren konnte, legte diese ihm eine Hand auf die Schulter und sah sehr mitfühlend auf den Elementie hinunter. Es tat ihr richtig weh, diesen starken und sehr stolzen Mann so verzweifelt und niedergeschlagen zu sehen. Doch gerade dieses Verhalten zeigte ihr, dass Luzifer seinen Gefährten jetzt schon unendlich liebte und ihn einfach nicht verlieren wollte. Im Grunde ihres Herzens hoffte sie, dass seine Liebe eine Chance hatte und irgendwann von dem kleinen Elementardämon-Königselb-Mix angenommen und erwidert wurde.

„Du machst dich nur selber total fertig!", begann sie dann sehr sanft. Sie hatte eigentlich mit dem Höllenfürst über Harrys Leben reden wollen. Aber sein Zustand ließ dies im Augenblick nicht zu. Das würde Luzifer nur noch weiter runter ziehen. Deshalb sagte sie erst einmal nichts. Sie wollte es auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und strich dem Jungen über den Arm und setzte sich direkt neben den Höllenfürst. Dann blickte sie sich einmal kurz suchend um. „Wo ist eigentlich die Katze?", wollte sie wissen und hoffte das sie ihn etwas ablenken konnte.

Auch Luzifer sah sich um. „Sie war gerade noch hier gewesen und weicht eigentlich nicht von seiner Seite.", antwortete er. „Vielleicht ist sie nur kurz was Fressen oder Saufen gegangen".

Harry öffnete ein kleines Stück seine Augen und sah die Elbenkönigin direkt an. „Wer bist du?", kam es leicht krächzend von ihm. Es war auch sehr leise gesprochen.

Der Höllenfürst fuhr augenblicklich herum und starrte den Jungen leicht an. „Harry!", brachte er nur heraus und bemerkte sofort, dass seine schnelle und hektische Bewegung falsch war. Denn der Junge war enorm heftig zusammengezuckt und begann zu zittern. Er hatte direkt seinen Arm heben wollen, um den Kopf zu schützen. In Gedanken wollte Luzifer sich selbst eine Ohrfeige verpassen, weil er nicht aufgepasst hatte. Aber er war doch so erstaunt darüber gewesen, dass Harry aufgewacht war und gesprochen hatte.

„Schssscch, habe doch keine Angst. Niemand wird dir etwas tun. Keiner schlägt oder bestraft dich, weil du eine Frage gestellt hast. Okay?", gab Loredana von sich und setzte sich vorsichtig auf den Rand des Bettes. Sie wollte den Jungen nicht unnötig erschrecken.

„Okay.", kam es jetzt auch von Harry. Trotzdem klang seine Stimme noch sehr dünn. Nach wie vor schaute der Schwarzhaarige sehr misstrauisch und skeptisch. So als würde er dem Ganzen nicht wirklich trauen.

'Meine Worte haben ihn nicht wirklich überzeugt', ging es der Elbenkönigin durch den Kopf. 'Kein Wunder. Was erwartete ich auch? Bei dem was ich in seinen Erinnerungen gesehen habe, ist dieser misstrauische Blick und auch die Skepsis mehr als verständlich'. „Ich heiße Loredana.", antwortete sie dann auf Harrys Frage. Das mit der Elbenkönigin und so wollte sie lieber erst einmal für sich behalten. Das würde den Jungen vermutlich nur überfordern und hatte wirklich Zeit, bis es ihm besser ging.

„Schön!", kam es wieder sehr leise von Harry.

„Was? Wie bitte?", brachte Luzifer gerade mal heraus.

„Der Name ist schön", entgegnete Harry und versuchte den Höllenfürsten etwas genauer zu erkennen. Aber er trug seine Brille nicht und hatte deshalb leichte Probleme.

„Ach so. Ja, Loredana ist ein schöner Name.", erwiderte Luzifer und lächelte Harry an, was dieser aber nicht wirklich erkennen konnte.

„Darf ich sie etwas fragen, Sir?", wollte Harry wissen.

„Aber natürlich Harry. Und nenne mich nicht Sir. Ich bin Luzifer.", antwortete dieser nur.

„Haben sie geweint, weil sie erkannten an was für eine Missgeburt sie sich gebunden haben? Das brauchen sie nicht. Sie können mich doch einfach töten und wären dann wieder frei.", sagte er mit solch einer Überzeugung, dass jeder sofort bemerkte das er es wirklich genau so meinte, wie er es gesagt hatte.

Luzifer fiel die Kinnlade bis auf den Boden. Er war nicht in der Lage etwas zu sagen.

Loredana dagegen öffnete ihren Mund, als wolle sie etwas sagen. Doch dann schloss sie ihn wieder, um ihn im nächsten Augenblick erneut zu öffnen. Das Ganze sah wirklich aus, als wäre sie ein Fisch auf dem Trockenen. Auch sie war sprachlos und entsetzt über die Worte des Jungen, ja fast noch Kindes. Mit seinen gerade mal 17 Jahren war er wirklich noch nicht sehr alt.

Es dauerte einige Minuten, bis sich sowohl Luzifer wie auch Loredana beruhigt hatten und ihre Stimme wiederfanden.

„Was hast du gesagt?", fragte Luzifer lieber noch einmal nach, nicht das er sich doch verhört hatte.

„Sie müssen nicht traurig sein und weinen. Sie können mich doch leicht aus dem Weg schaffen und töten.", gab Harry von sich. Er blickte dem großen Mann aber nicht direkt in die Augen.

'Ich habe mich nicht verhört!', schoss es durch Luzifers Kopf. Er wusste aber nicht was er sagen oder tun sollte. Luzifer war einfach nicht für solche "Gefühlsduseleien" geeignet, wie er es immer nannte.

„Was redest du nur für einen Unsinn?", begann Loredana und erreichte, dass der Kleine seinen Kopf ruckartig zu ihr drehte und sie anblickte.

„Unsinn?", wiederholte Harry. Er verstand nicht was sie meinte. Schließlich war er doch eine Missgeburt und nichts wert bzw. verdiente es gar nicht zu leben. Und abgesehen davon, wenn er endlich tot war, hatte er doch Ruhe und Frieden. Dann musste er sich nicht mehr mit der Last befassen, die sein "Leben" war.

Ein lautes scheppern direkt vor der Tür riss Harry dann sehr abrupt zurück in die Wirklichkeit und ließ den Schwarzhaarigen richtiggehend aus dem Bett hochfahren.

Luzifer und Loredana hatten sich auch erschrocken, blickten dann auf den panischen Jungen, der immer noch neben dem Bett stand und vermutlich nach einer Fluchtmöglichkeit suchte. Er atmete hektisch und abgehackt.

Beide versuchten ihn mit gutem Zureden dazu zu bewegen, wieder ins Bett zu gehen. Aber Harry schien sie nicht wirklich wahrzunehmen. Er war vermutlich einfach durch die Panikattacke abgedriftet und befand sich nun in seiner eigenen kleinen Welt.

Auch war einer der Dämonen herein gekommen und hatte sich für den Krach entschuldigt. Ihm war nur versehentlich etwas runter gefallen.

Es dauerte einige Minuten, bis Harry ins hier und jetzt zurückkehrte und auf die Bemühungen von Luzifer und Loredana reagierte und sich von der Elbenkönigin ins Bett dirigieren ließ, während Luzifer nach Meran rief, damit dieser den Jungen kurz untersuchte und überprüfte, ob eine der Verletzungen wieder aufgegangen war. Außerdem musste das Handgelenk neu verbunden, aber auch noch einige andere Verbände erneuert werden.

Meran war sofort zur Stelle und begann mit der Versorgung. Luzifer saß einfach nur da und blickte liebevoll auf den Jungen.

Loredana grübelte kurz nach, rief dann eine Hauselfe und redete mit dieser. Sie war so leise, dass Luzifer es nicht verstanden hatte. Als diese wieder kam und der Elbenkönigin zunickte, war der Höllenfürst neugierig geworden und blickte Loredana fragend an.

„Das siehst du gleich.", gab die nur leicht lächelnd von sich.

Der Heiler hatte Harry versorgt und ihm die benötigten Tränke verabreicht und sich dann verabschiedet.

Loredana bat Luzifer in dem bequemen Sessel Platz zu nehmen, der direkt neben Harrys Bett stand. Anschließend stellte sie ein kleines Tischchen vor Harry ab, der sie neugierig beobachtete.

Das Fragezeichen über Luzifers Kopf wurde noch größer, als die Hauselfe ihm einen Löffel in die Hand drückte und ein Teller mit einem Brei vor ihm auftauchte.

„Harry braucht etwas sehr Nahrhaftes, um schnell an Gewicht zuzunehmen, aber auch deine Nähe. Was wäre da also besser als beides miteinander zu verbinden? Auf dem Teller befindet sich ein hochkonzentrierter Energiebrei, angereichert mit verschiedenen Aufbaupräparaten und Tränken, die Harrys Körper unbedingt braucht.", erklärte sie den beiden irritierten Gefährten. Dann nahm sie den Löffel, tauchte ihn in den Brei und hielt ihn Harry hin, damit dieser ihn ergreifen konnte.

Genau dies tat Harry auch sofort, wollte den Löffel zum Mund führen – konnte ihn aber nicht halten und musste zusehen, wie der Löffel scheppernd auf das Tischchen fiel. Auch zwei weitere Versuche scheiterten, da er nicht genug Kraft hatte um den Löffel selber festzuhalten.

Jetzt nahm Luzifer diesen wieder und begann Harry, das Essen anzureichen, da der selber nicht im Stande war, sich die Nahrung zu zuführen.

Keine zwanzig Minuten später war der Teller leer und Harry auf den Kissen zusammen gesunken und schlief friedlich. Er hatte es sogar geschafft, sich Luzifers Hand zu angeln und sie an sich zu drücken, begann nach kurzer Zeit sogar leicht zu schnurren.

„Ich glaube, unser Kleiner hier ist nicht nur ein Elementardämon-Königselb-Mix, sondern auch eine ausgesprochen schmusebedürftige kleine Katze!", sagte Loredana schmunzelnd. Sie musste sich dieses wirklich süße Bild genau einprägen. Sie hob dann die wieder aufgetauchte goldene Katze hoch und ließ sie sich auf Harrys Bauch hinlegen.

Luzifer sagte gar nichts mehr. Er war einfach nur glücklich und zufrieden, seinen Schatz so nahe bei sich zu haben.

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