16. Dunkle Gedanken

243 7 0
                                    

Auch Dago und Saria zogen sich in ihr Innerstes zurück, um sich auszuruhen. Die erste Begegnung hatte sie doch mehr angestrengt, als sie gedacht hatten. Das lag vermutlich vor allem an der Magie, welche sie einsetzten, um den Jungen einzulullen und relativ ruhig zu halten.

Doch kurz nachdem er eingeschlafen war, wachte Harry wieder auf, da er dringend auf die Toilette musste.
Harry blieb erst einmal ganz still liegen und horchte auf jedes Geräusch. Er überlegte auch, ob diese Beiden in seinem Kopf noch da waren. ~Dago, Saria? ~, flüsterte er in Gedanken sehr leise, erhielt aber keine Antwort. Dann driftete er in äußerst dunkle Gedanken ab. Er konnte sich irgendwie nicht dagegen wehren. 'Wie konnte das alles nur passieren? Was habe ich nur wieder angestellt? Luzifer ist mit mir gebunden, Loredana meine Patentante. Und dann Tamy und nun auch noch, wie sagte Dago? "Ich bin dein dämonisches Ich" und Saria, mein "elbisches Ich." Ich weiß gar nicht wie das alles passieren konnte. Wenn die es erfahren, werden sie mich bestimmt sehr hart bestrafen. Ob sie mich schlagen? Vielleicht kennen sich Dämonen mit dem Foltern gut aus'.

Gerade in diesem Augenblick betrat Luzifer das Zimmer und ging sofort zum Heiler, um leise mit ihm zu sprechen. Illirian berichtete ihm natürlich von Harrys "Erwachen" und auch von seiner sehr ausgeprägten Mimik und Gestik und dass er wirklich nicht wusste, worum es gegangen wäre.

Harry hatte die Ankunft des Höllenfürsten überhaupt nicht mitbekommen. Er tauchte aus seinen Gedanken auf, weil er nun wirklich sehr nötig auf die Toilette musste. Zuerst wollte er um Hilfe bitten, aber dann dachte er daran das er geschlagen würde, wenn er zu viele Umstände macht. So setzte Harry sich auf und blickte sich im Raum um. Er konnte niemanden sehen und schlug vorsichtig die Decke zur Seite. Nachdem er zum Rand des Bettes gerutscht war, stellte er erst das linke und dann das rechte Bein auf den Boden und erhob sich sehr vorsichtig. Harry verharrte einen Moment in dieser Position, um sicher zu gehen das seine Beine ihn auch wirklich tragen würden. Er schwankte etwas, ein leichter Schwindel überkam ihn und er schloss einfach nur seine Augen. Kurze Zeit später öffnete er sie wieder und setzte den linken Fuß einen Schritt nach vorne und blieb erneut stehen. Seine Beine und vor allem die Knie fühlten sich an, als würden sie aus Pudding bestehen und jeden Moment in sich zusammenfallen. Aber Harry musste einfach ins Bad und so setzte er einen Fuß vor den anderen und war froh, als er die Tür endlich erreicht hatte. Der Schwarzhaarige hatte das Gefühl, dass mindestens eine halbe Stunde vergangen war. Dabei waren es gerade mal fünf Minuten.

Als er auf der Toilette fertig war, trat er an das Waschbecken, um sich die Hände zu waschen und schaute zufällig in den Spiegel. „AAAAAHHHH!!!", entfuhr es ihm ohne es zu wollen. Harry starrte in den Spiegel, aber das war nicht sein Gesicht. Nicht Harry James Potter blickte ihm entgegen, dies war eine fremde Person.
Die schwarzen Haare schienen sehr lang zu sein, waren zusammengebunden und von weißen Strähnen durchzogen. Er war immer noch sehr zierlich und vor allem sein Gesicht war enorm feminin. Außerdem hatte er wahrhaftig spitze Ohren, genau wie seine Patentante. „Oh nein. Ich sehe aus wie ein Mädchen. Ich sehe tatsächlich aus wie ein Mädchen. Onkel Vernon hatte vollkommen recht, ich bin ein Freak!", entfuhr es ihm und wurde zum Ende hin immer leiser. Nun wurde ihm auch bewusst, dass er geschrien hatte und schaute zur Tür, als diese gerade aufgerissen wurde und Luzifer sowie Illirian ins Bad geeilt kamen, nachdem sie Harrys entsetzten Schrei gehört und bemerkt hatten, dass er gar nicht mehr in seinem Bett lag.

Als Harry die Zwei sah, zuckte er nur zusammen und ließ sich auf den Boden sinken. Er hob sofort seine Arme schützend vor den Kopf. „Ein Mädchen... Ich sehe aus wie ein Mädchen. Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Bitte, sie müssen mich endlich töten, um wieder frei zu sein, genauso wie Tamy, Dago und Saria. Was habe ich getan? Ich sehe aus wie ein Mädchen. Ich wollte das nic...". Harry verdrehte nur noch seine Augen und sackte ihn sich zusammen.

Luzifer war sofort bei ihm und hob seinen nun ohnmächtigen Gefährten hoch und trug ihn zum Bett. Er hatte den Jungen gerade erst hingelegt, als die Zimmertür geöffnet wurde und eine Hauselfe Elbenkönigin Loredana hereinführte.

„Luzifer, was ist passiert?", fragte sie sofort als sie den bewusstlosen Jungen erblickte.

„Harry hat gerade sein Spiegelbild gesehen und redete richtig wirres Zeug. Aber vor allem betitelte er sich wieder als Freak und meinte, sein Onkel hätte recht. Er beschwerte sich auch, dass er aussehe wie ein Mädchen!", erklärte der Höllenfürst und musste über Harrys Beschwerde schmunzeln.

Loredana trat zum Bett und blickte auf ihren Patensohn. Sie konnte es im Grunde immer noch nicht fassen, dass er nun zu 40 Prozent ein Königselb war. Diese Tatsache und auch das sie nun die Patentante von Harry James Satanus-Hell, dem Gefährten des Höllenfürsten war, hatte auf der letzten großen Elbenversammlung für helle Aufregung und genügend Gesprächstoff gesorgt. Sie teilte allen mit, dass sie davon überzeugt war, dass es sich um ein Zeichen handelte. Und zwar ein Zeichen, dass die gesamte Zauberwelt betraf. Zumindest gab es jetzt die Bestätigung der Dämonen, dass es wirklich noch nie einen Dämonen mit schneeweißen Strähnen gegeben hatte. Doch bevor Loredana tiefer in ihre Gedanken gehen konnte, kehrte sie in die Realität zurück und sah direkt in Luzifers blaue Augen.

Sie wusste das es nun an der Zeit war, mit Luzifer über die Erinnerungen aus Harrys Kindheit zu sprechen. Es duldete wirklich keinen Aufschub mehr. Aber dies wollte sie nicht hier in der Nähe des Jungen tun. Sie hatte sich einen geeigneten Platz im Elbenreich ausgesucht und wollte den Höllenfürst dahin mitnehmen. „Luzifer, ich muss sehr dringend mit dir sprechen und würde dich bitten mich zu begleiten. Ich denke, dein Heiler wird so lange auf deinen Gefährten und mein Patenkind aufpassen.", bat sie und sah Luzifer fragend an.

Der Höllenfürst sah etwas überrascht aus, nickte der Elbenkönigin aber zustimmend zu. Er gab dem Jungen noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, sprach kurz mit Illirian und folgte der Elbin dann ohne etwas zu fragen.

Die beiden gingen ins Empfangzimmer des Palastes. Loredana legte ihre Hand auf Luzifers Schulter und schon im nächsten Augenblick waren sie verschwunden und erschienen in einem hellen Raum im Elbenschloss.

Luzifer war noch nie im Elbenschloss gewesen, aber sah sich dennoch nicht neugierig um. Denn er machte sich große Sorgen um seinen Kleinen. Ihn interessierte nur, was Loredana mit ihm besprechen wollte, um dann schnell zu Harry zurückzukehren.

Die Elbenkönigin legte ein weiteres Mal ihre Hand auf seine Schulter. Sie verschwanden aus dem Raum und tauchten kurz darauf in einer wirklich bizarren Gegend auf. Jetzt klappte Luzifer einfach nur der Mund auf. Er schaute sich einmal kurz um, hielt seine Augen auf die Elbenkönigin gerichtet und sah sie fragend an. So wie es aussah, befanden sie sich in einem Tal.

Dieses Tal bestand aus einer ebenen Fläche, die teilweise bis zu zweitausend Meter breit war und nur aus Geröll und Steinen bestand. Man hatte allerdings keinen richtigen Fernblick, da Steine und Geröll sogar bis zum Horizont reichten. Die anderen drei Seiten waren von hohen und massiven Felsen umrahmt und ließen nur einen begrenzten Blick auf den Himmel zu.

„Um ehrlich zu sein, verstehe das alles gerade nicht so ganz.", sagte Luzifer verwirrt.

„Ich muss noch etwas sehr Wichtiges mit dir besprechen, was ich bei dem Ritual erfahren habe. Es betrifft deinen Gefährten!", gab Loredana von sich. Sie machte eine kurze Pause, um sich die nächsten Worte genau zu überlegen. „Während wir in diesem goldenen Licht waren, nahm ich seine Hand und drückte sie, weil er irritiert war. Ganz plötzlich wurde ich in einen Strudel aus Szenen, Erinnerungen und Bildern gezogen und bemerkte recht bald, dass es sich hierbei um Harrys bisheriges Leben handelte. Ich erlebte Teile seiner Kindheit hautnah mit.", erklärte die Elbenkönigin.

Luzifer hatte sie die ganze Zeit durchdringend gemustert. Nun ließ er seinen Blick einmal kurz über die bizarre Gegend schweifen und Erkenntnis machte sich in ihm breit. „Das was du gesehen hast, war absolut nicht "positiv" und erklärt das teilweise sehr merkwürdige Verhalten des Jungen.", begann Luzifer.

„Ja, so ist es. Mir war danach so schlecht und schwindlig, dass ich ohnmächtig zusammengebrochen bin. Außerdem vermute ich das es dich so sehr aufregt, dass du total ausrastest und die Kontrolle verlieren wirst. Aber lassen wir das. Ich wollte sehr weit von Harry weg sein. Deshalb sind wir auch hier. Es ist einer unserer Übungskampfplätze und steht dir zur Verfügung, wenn du deine Wut und Zorn abbauen musst".

„Ich kann mich beherrschen und habe mein inneres Wesen unter Kontrolle.", erwiderte der Höllenfürst.

„Glaube mir einfach, wenn ich dir sage das du es nicht schaffen wirst, wenn ich dir die ganzen Erinnerungen gezeigt habe. Aber es ist einfach sehr wichtig, dass du genau darüber Bescheid weißt, um den Kleinen und seine Handlungen zu verstehen!", antwortete Loredana. „Bist du bereit?", fragte sie dann und bekam von ihm ein zustimmendes Nicken.

Loredana veranlasste Luzifer sich auf den herbei gezauberten Sessel niederzulassen und berührte mit leichtem Druck seine Stirn. Nur Augenblicke später erschien schon die erste Erinnerung.

Luzifer sah einen noch relativ kleinen schwarzhaarigen Jungen, der sich enorm damit abmühte, die frisch gewaschene Wäsche auf einen Wäscheständer zu hängen, der nur ein kleines Stück kleiner als der Junge war. Der Dreijährige musste immer wieder auf eine umgedrehte Kiste steigen, um auch an die Mitte des Ständers zu gelangen. Kurz bevor er alles aufgehangen hatte rutschte er ab, verlor das Gleichgewicht und stürzte dann samt Wäscheständer zu Boden. In seinem Gesicht war das blanke Entsetzen zu sehen, weil die ganze frisch gewaschene Wäsche auf dem Boden lag. Er achtete nicht im Geringsten auf sein aufgeschlagenes Knie und die blutigen Hände. Im nächsten Moment erschien eine dürre Frau, die den Kleinen nur anschrie und beschimpfte, ihm sogar mehrere Ohrfeigen und Schläge verpasste und ihn dann an den Haaren ins Haus zog.

Während Luzifer nur dasaß und tief die Luft einsog, beobachtete Loredana jede noch so kleine Regung des Dämonen. Sie spürte jetzt schon die aufwallende Wut und Zorn. Sie fragte sich wohin das wohl führen wird, wenn er alles gesehen hatte.

Zur gleichen Zeit erlebte der Höllenfürst die zweite Erinnerung seines Gefährten. Nach Harrys Aussehen war er nicht wesentlich älter als bei der ersten. Harry musste das große Wohnzimmerfenster putzen. Er hatte sich schon alles bereit gestellt und brauchte nur noch die große Leiter, um auch bis ganz oben ran zu kommen. Aber weder Onkel noch Tante halfen ihm die Leiter zu holen. Er sollte sehen, wie er zurecht kam. Mehrmals bemühte sich der Kleine die riesige Leiter zu bewegen, schaffte es aber nicht ein Stück. So hatte er sich am Ende einen Stuhl auf den Tisch gestellt und balancierte in enormer Höhe herum, um die Fenster sauber zu bekommen. Es kam wie zu erwarten war. Harry fiel von dort oben herunter. Auch der Stuhl fiel und zerschlug eine Vase, die dort stand. Durch den Krach angelockt, betrat Vernon das Wohnzimmer und sah die Bescherung. Ohne Vorwarnung schlug er nun auf den kleinen Jungen ein, der ganz benommen auf dem Boden lag und nur noch schützend seine Arme vor den Kopf hielt und zu wimmern begann.

So folgte dann eine Szene nach der anderen. Es zogen die Bilder an Luzifer vorbei und Loredana hatte wirklich recht. Seine Aura verdunkelte sich immer mehr, die Augen waren so tief dunkelviolett, dass sie auch als schwarz durchgehen würden und sein Inneres Wesen schrie und tobte schon eine Weile vor Wut und Zorn, so das es wohl nicht verwunderlich gewesen wäre, wenn ihm Qualm aus den Ohren gekommen wäre.

Loredana hatte nicht aufgehört Luzifer zu beobachten und sie bemerkte die Veränderung und sprach einen wirklich sehr starken elbischen Schutzzauber über ihn und natürlich sich selber. Loredana wollte einfach auf Nummer sicher gehen.

Und Luzifer sah man seinen Schock wirklich an. Je älter Harry geworden war, desto gemeiner wurden auch die Beleidigungen, Anfeindungen und Demütigungen seines Onkels, der Tante und sogar seines Cousins und auch die Schläge und Strafen waren immer schlimmer und brutaler geworden. Auch die Drohungen, ihn als Sexsklaven zu verkaufen, waren vorgekommen.

Luzifer und auch sein inneres Wesen waren immer wütender geworden, je mehr er gesehen hatte. Und er hatte sich nun wirklich kaum noch unter Kontrolle und stand kurz vor der Explosion. Seine Magie pulsierte so heftig, dass sogar immer wieder Funken umher stoben und Blitze weggeschleudert wurden.

„Luzifer, halte deine Wut und den Zorn nicht zurück. Wir sind extra hier, damit du es direkt rauslassen und dich so richtig austoben kannst. Dann bist du nachher ruhig, wenn du zu Harry zurückkehrst, okay?", fragte Loredana aus sicherer Entfernung.

„Danke!", brachte der Höllenfürst gerade noch heraus, dann schien er vor Wut regelrecht zu explodieren.

Aus einiger Entfernung sah Loredana dann fasziniert zu, wie Luzifer kleine, mittlere und sogar sehr große Feuerkugeln gegen die Felsen schleuderte, Blitze nur so in alle Richtungen abschoss, eine regelrechte Flutwelle gegen die andere Felswand schlug und wie die platschend zu Boden ging, ein Wirbelsturm sehr viele Steine und Geröll anhob und wie Blätter durch die Gegend wirbelte. Immer wieder gab es kleinere und größere Explosionen, bei denen auch richtige Brocken des Berges abgesprengt wurden, Pfeile aus Eis auf die Felsen prallten und sogar ein richtiger Lavastrom Steine und Geröll zusammenschmolz und...

All dies wiederholte sich immer und immer wieder.

Es verging über eine Stunde, dann sackte Luzifer vollkommen erschöpft auf die Knie und sah sich um. Ja, er hatte ganz schön gewütet. Luzifer war Loredana sehr dankbar, dass sie es genau richtig eingeschätzt hatte. Und noch viel besser gefiel ihm die Idee von so einem Übungskampfplatz. Er würde die Elbenkönigin fragen, ob sie ihm erlauben würde, die Idee in seinem Reich aufzugreifen und umzusetzen.

Als Loredana dann zu Luzifer trat, erhob er sich gerade wieder und fühlte sich viel besser.

„Du hattest vollkommen recht und ich möchte dir noch einmal ganz herzlich danken."

„Das ist kein Problem. Möchtest du dich erst einmal frisch machen?", fragte sie dann mit einem Lächeln. Der Höllenfürst war nicht nur leicht verstaubt, nein. Auch Asche und Schmutz zierten ihn und seine Kleidung.

Luzifer nahm das Angebot dankend an. Er bekam neue Kleidung im Elbenschloss und kehrte erst danach mit Loredana in den Höllenpalast zurück.

Schritte in ein besseres LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt