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Annalena

„So. Hier." Stefan blieb stehen. Er legte meine Hand, an der er mich geführt hatte, auf eine Metallstange.
„Das ist die Umrandung vom FOH, also der Technikzentrale quasi", erklärte er mir. „Da kannst du dich festhalten. Wenn du die rechte Hand am Geländer hast, dann schaust du in Richtung Bühne."
"Danke"
„Vielen Dank", sagte ich. Es war nämlich absolut nicht selbstverständlich, was er getan hatte.
„Kein Problem. Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Konzert." Er machte eine kurze Pause. „Kann ich dich alleine lassen? Ich fürchte, ich muss noch ein bisschen arbeiten."
„Ich komme zurecht. Ich will dich auf keinen Fall von der Arbeit abhalten", weil erwiderte ich.
„Tust du nicht. Keine Sorge. Dann vielleicht bis bald", verabschiedete er sich und legte nochmal seine Hand auf meine.
„Ja. Vielleicht." Ich lächelte ihn an.
„Ich bin dann mal weg, also nicht erschrecken." Seine Hand von meiner verschwand und ich war nun ganz auf mich alleine gestellt.
Ich legte meine rechte Hand auf das Geländer und drehte mich damit zur Bühne. Aus den Gesprächen um mich herum erfuhr ich, dass es wohl zwei Teile gab. Einmal die normale Bühne mit rechts und links Bildschirmen und dann eine Art Steg, der in den Zuschauerraum ragte. Wie das genau aussah, konnte ich mir nur so halb vorstellen, aber das war nicht so schlimm.
Die Zeit verging wie im Flug, während ich mich am Gitter festklammerte und versuchte, so viele Informationen und Eindrücke wie möglich zu speichern. Lara würde alles wissen wollen, dessen war ich mir sicher. Als die Musik verstummte und das Publikum kurzzeitig ruhiger wurde, atmete ich tief durch. Jetzt wurde es interessant. Ich war noch nie auf einem Konzert und deshalb war alles total neu. Von Lara wusste ich, dass sie die Vorband auch mochte, also versuchte ich mich an die Liedtitel zu erinnern, die sie gerne hörte. Nach zwei Songs, die mir einfielen, gab ich auf. Ich hatte gar keine Ahnung von Musik, geschweige den Deutsch-Pop. Natürlich hörte ich mir auch ab und zu mal einige Lieder an, aber meistens brauchte ich mein Gehör, um mich zurecht zu finden.
Ich nahm mein Handy raus und ließ den Chat mit Lara öffnen. Dann startete ich eine Sprachnachricht. Gerade rechtzeitig, denn das Publikum begann zu toben und die Musik begann. Wer aufgetaucht war, wusste ich nicht, aber Lara würde es mir sicher auch nur anhand der Audio verraten können. Ich fühlte mich ein wenig blöd, wie ich hier stand. Mit der rechten Hand umklammerte ich noch immer das Gitter und in der linken lag das Handy. Zum Glück schienen alle anderen von dem Geschehen auf der Bühne fasziniert zu sein.

Wincent

„Bereit?", fragte Nico mich.
„Ja."
„Warst du schon mit Manu auf Klo?"
„Ja."
„Dann ist gut. Viel Spaß." Nico klopfte mir auf die Schulter und verschwand.
Ich ging zu meiner Band und trommelte sie zu einem Kreis zusammen.
„Ey!", brüllte ich ihnen entgegen.
„Büffel!", lautete die vierstimmige Antwort.
Meine Band betrat unter großem Jubel die Bühne und Adrenalin strömte durch meinen Körper. Es ging wieder los! Live spielen war einfach absolut geil. Ich genoss jedes Konzert dieser Tour in vollen Zügen. Wie sehr hatte ich das alles hier vermisst.
Voller Freude verfolgte ich über die Bildschirme das Intro und ging dann auf Position. Voller Euphorie betrat ich die Bühne und war voll in meinem Element. Das Gefühl war einfach unbeschreiblich. Obwohl ich natürlich mein In ear Monitoring drin hatte, bekam ich mit, wie das Publikum mit abging. Meine Fans waren einfach die besten, das wusste ich.
Mein besonderes Ritual auf Konzerten war, dass einem Fan zum Geburtstag gratuliert wurde. Neben dem Medley war das einfach mein Lieblingspart des Abends. Das Strahlen in den Augen des Geburtstagskindes war einfach Gold wert. Auch nach acht Jahren Musikkarriere ging es noch nicht in meinen Kopf, mit was für Kleinigkeiten ich große Träume erfüllen konnte. Ich war doch nur ein mittlerweile dreißig Jahre alter Mann aus den Norden.
Heute saß das Geburtstagskind mal wieder auf dem Rang und so bahnte ich mir einen Weg durch die Fans. Ich liebte es, durch die Menge zu laufen. Ohne all die Menschen wäre ich nichts und deswegen wollte ich ihnen immer so nah wie möglich sein. Wenigstens ab und zu im Laufe des Konzerts. Ich wusste, dass mir ein Kameramann und Mats folgten, aber das war mir inzwischen eher egal. Als ich über die Absperrung sprang, die den unteren Raum von den Rängen trennte, fiel mir die Abwesenheit von Mats auf. Dabei war der doch mit uns losgelaufen. Wo steckte er denn? Normalerweise war er immer zuverlässig.
Ich ließ mich davon allerdings nicht beirren und zog das Konzert weiter durch. Er würde schon wieder auftauchen. Nach zwei Stunden verließ ich komplett verschwitzt, aber überglücklich die Bühne. Mats war wieder nicht zu sehen, obwohl er während des Konzerts noch da war. Ich ging erst einmal duschen. Ihn suchen konnte ich auch danach noch. Wieder frisch und in neuen Klamotten betrat ich den Backstage-Bereich, wo schon der Rest meines Teams, der nicht abbauen musste, saß.
„Bier?", fragte Benni mich und ich nickte dankbar.
Ich nahm das kühle Getränk entgegen und genoss die ersten Schlucke.
Wir quatschten kurz über die Show und ich ließ nebenbei immer mal meinen Blick schweifen.
„Habt ihr Mats gesehen?", wandte ich mich irgendwann an die Jungs. So langsam wurde es seltsam.
Alle schüttelten den Kopf und so stand ich auf und ging in Richtung Bühne.
„Nico!" hielt ich ihn auf, weil er mir als Erster über den Weg lief.
„Was ist los?", wollte er direkt wissen.
„Hast du Mats gesehen?"
„Ne. Wobei doch, vor der Bühne. Aber das war gegen Ende der Show", antwortete er.
„Kannst du Stefan anfunken?"
„Ist etwas passiert?", fragte Nico direkt.

Annalena

„Mats!" Die Stimme kannte ich. Das war die von Stefan, meinem Helfer von vor dem Konzert.
Ich war gerade mit Mats auf dem Weg zur Tür, denn obwohl ich fast alleine war, hatte ich die Orientierung verloren. Schon während des Konzerts war mir das passiert und Mats hatte mir geholfen, wieder an den FOH zu kommen. Irgendwie schien mein Glückstag zu sein oder die Leute hier waren einfach nur super nett.
Auf jeden Fall reagierte Mats gar nicht, sondern konzentrierte sich darauf, mir zu helfen.
„Mats!", rief Stefan noch einmal.
„Was denn?", fragte Mats laut und ich zuckte kurz zusammen. Er klang leicht genervt.
„Der Chef sucht dich."
Mats seufzte.
„Geh ruhig. Nicht, dass du noch Ärger bekommst. Ich schaffe den Rest auch alleine. Du hast mir schon sehr geholfen", sagte ich zu ihm.
„Nein, ich bringe dich zur Tür. Der kann auch mal warten", erwiderte er direkt.
„Sicher?"
„Ja."
„Mats, ich fürchte, Wincent treibt so langsam alle da hinten in den Wahnsinn." Stefan stand vermutlich nur noch wenige Meter vor uns, denn seine Stimme klang viel näher dran.
Mats seufzte noch einmal und ich spürte seinen Blick auf mir.
„Der Mann nervt", murmelte er. „Irgendwann ist er noch für mein erstes graues Haar verantwortlich."
Stefan lachte. „Nicht nur für deins." Er wurde wieder ernst. „Ich helfe Anna beim letzten Rest, dann kannst du los", bot er an.
„Ihr kennt euch?", fragte Mats überrascht.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now