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Wincent

Da heute vorerst der letzte Drehtag war, nahm ich alles nochmal genauer wahr. Ich liebte es, hier zu sein und war ein wenig traurig, dass das nun vorbei war. Gut, ich hab mehr Zeit mit Anna verbracht, als ich gedacht hätte und ich bereute keine einzige Sekunde. Außerdem standen absehbar auch die nächsten Sommerkonzerte an, auf die ich mich schon richtig freute. Dazwischen kamen dann noch einige Vorbereitungen für Crewmas, die sehr cool werden würden. Ende des Sommers schon in Weihnachtsstimmung kommen, fand ich einfach geil. Andere hielten mich für verrückt, aber ich liebte es. So wurde die Zeit im Dezember auf jeden Fall ein wenig entspannter.
Mit der Vorfreude auf einen gemeinsamen Abend mit Marco und einer weiteren Nacht neben Anna verging der Tag wie im Flug. Als Kai den letzten Gast ankündigte, wurde ich dennoch etwas wehmütig. Die Show machte mir einfach nur extrem viel Spaß und es wurde einfach nicht geurteilt. Klar zogen wir uns nach den Aufzeichnungen manchmal noch mit bestimmten Sachen auf, aber das war cool und vollkommen in Ordnung so. Das zeigte einfach, was für ein tolles Team das hier war.
Ich verabschiedete mich nach Drehschluss nochmal von allen. Mit Stephanie quatschte ich kurz, bevor Kai uns mehr oder weniger unterbrach. Sie wollte aber sowieso los und so redete ich noch mit Kai. Heute wollte ich ausnahmsweise einmal pünktlich sein, weswegen ich mich relativ schnell von ihm verabschiedete. Aus meiner Garderobe holte ich meine Sachen, schmiss sie ins Auto und fuhr zu Tims Wohnung. Den Weg kannte ich inzwischen sogar ohne Navi.
Unterwegs wählte ich Annas Nummer.
„Ja?", meldete sie sich nach dem zweiten Klingeln.
„Hey Anna."
„Hallo Wincent."
„Na, alles gut?"
„Ja. Danke."
„Bist du schon wieder Zuhause?", fragte ich sie.
„Fast. Wieso? Hast du Schluss?"
„Jap. Und bin auf dem Weg zu euch."
„Du hast noch 10 Minuten, also kannst du ganz entspannt fahren", erwiderte Anna.
„Okay, alles klar. Dann bis gleich."
„Bis gleich."

Annalena

Natürlich war Wincent vor uns da. Fritz bellte sofort, als wir um die Ecke bogen und war kaum noch zu halten.
„Hab ich etwas verpasst?", fragte mein Vater.
„Ähm, ich hab dir das noch gar nicht erzählt", gab ich zu.
„Was?"
„Naja, ich wollte heute Abend zu Wincent und gleich bei ihm übernachten. Du hast ja eh Besuch und außerdem hat Wincent angeboten, mich morgen mit nach Berlin zu nehmen. Du weißt ja, wie sehr ich Zug fahren hasse", ratterte ich herunter.
„Okay", war die einzige Reaktion meines Vaters.
„Okay?" Ich war verwirrt.
„Schatz, du bist 27 Jahre alt. Ich werde dir ganz sicher nicht vorschreiben, wann du wo zu sein hast. Außerdem ist er ein lieber Kerl. Und du bist ihm wichtig, das merkt man."
Ich wusste nicht, was ich sagen soll.
„Anna, das ist wirklich okay. Ich habe mich gefreut, dich endlich wiederzusehen. Und es war ja klar, dass du nur eine Woche bleibst. Mach dir keine Gedanken, okay?"
„Okay."
„Hey Anna", begrüßte Wincent mich und ich ließ mich nur zu gerne in den Arm nehmen.
„Hey", murmelte ich.
„Hallo Tim", wandte er sich an meinen Vater, nachdem wir uns aus der Umarmung gelöst hatten.
„Hallo Wincent. Schön, dich zu sehen", antwortete mein Vater und es klang ehrlich.
Ich war froh, dass er Wincent akzeptiert hatte. Und Fritz Meinung kannte ich inzwischen ja auch schon. Es erschien mir fast unwirklich, mal wieder neben Wincent die Treppen nach oben zu laufen. Nur war diesmal mein Vater dabei und weil ich mich auf die Treppen konzentrieren musste, hörte ich nur mit halbem Ohr zu, wie sich die beiden unterhielten.
Wie konnte sich mein Leben dermaßen ändern? Plötzlich war da Wincent, der sich so mit meinem Vater unterhielt, als wäre es nie anders gewesen. Wincent, den Fritz liebte und eigentlich nie gehen lassen wollte. Wincent, der meine Blindheit akzeptierte und mich dennoch ganz normal behandelte. Wincent, der mein Herz schneller schlagen und Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen ließ.

Wincent

„Anna?", fragte ich, als sie weiterlaufen wollte.
„Mhm?"
„Du musst nicht noch höher", erklärte ich.
„Oh." Sie kam die zwei Stufen wieder nach unten und kam dann auf mich zu.
„Wo warst du denn mit deinen Gedanken?", wollte ich wissen.
„Ähm, nicht so wichtig", erwiderte sie.
Okay, sie wollte es nicht sagen. Vielleicht hielt sie Tims Anwesenheit davon ab. Okay, Moment. Nicht von dir und deinen Freunden auf andere schließen, befahl ich mir selbst.
Wir betraten die Wohnung und zogen erst einmal unsere Schuhe aus.
„Ich geh kurz packen", sagte Anna an mich gewandt.
„Okay."
Anna verschwand im Schlafzimmer und ich begab mich mit Fritz auf die Suche nach Tim. In der Küche fanden wir ihn schließlich.
„Anna packt ihre Sachen zusammen", erzählte ich ihm.
„Okay. Ich geh gleich mal nach ihr schauen", erwiderte Tim und setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch.
„Du vermisst sie hier ganz schön, oder?"
„Oh ja", gab er zu. „Aber Anna braucht ihr eigenes Leben und das ist nun einmal in Berlin. Ihr tut das sehr gut und ich bin stolz darauf, wie sie das alles macht. Aber ja, ich sehe sie eigentlich viel zu selten."
„Das kenne ich", rutschte mir heraus.
„Du bist auch nicht viel bei deinen Eltern, richtig?"
„Das stimmt", antwortete ich. „Mit meiner kleinen Schwester schreibe ich mehr oder weniger regelmäßig, aber so richtig gesehen habe ich sie und meine Mutter lange nicht. Klar kommen sie zu Konzerten und so, aber richtig viel Zeit ist da nicht."
„Kann ich mir vorstellen."
„Aber das ändert sich ja ab nächstem Jahr."
„Wieso?" Tim sah mich aufmerksam an.
„Ich mache nächstes Jahr eine Art Konzertpause. Das heißt, ich werde zum ersten Mal seit acht Jahren keine Tour spielen", erklärte ich.
„Und was machst du stattdessen?"
„Viel Zuhause sein. Zeit für mich, meine Freunde und Familie. Mal sehen, was sich so ergibt."
„Klingt gut." Tim lächelte mich an.
„Ja, in der Theorie schon."
„Heißt?"
„Ich liebe es, unterwegs zu sein. Die Konzerte, die Stimmung, Songs live spielen und all das. Im Grunde lebe ich jeden Tag meinen Traum. Ich weiß nicht, wie ich ein Jahr ohne die ganzen Sachen aushalten soll." Keine Ahnung, ob Tim das verstand, aber es war gut, mal darüber zu reden.
Tim schwieg kurz. „Also abgesehen davon, dass du bereits zwei Jahre ohne Konzerte überlebt hast..."
„Corona war etwas anderes", unterbrach ich ihn.
„Mag sein", fuhr er unbeirrt fort. „Dennoch. So eine Pause muss ja nichts Schlechtes sein. Ich denke, dir tut das mal gut. Irgendwo länger zu sein, ein Zuhause haben, kein Termindruck. Es ist alles irgendwie leichter. Also manchmal."
„Und wenn nicht?"

Bin ich für sie blind? Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ