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Annalena

„Beim ersten Mal auf jeden Fall, wenn du das willst", antwortete Wincent und das beruhigte mich ein wenig.
„Okay."
„Okay?", hakte er nach.
„Ich versuche es, aber..."
„Aber?"
„Ich brauche dich dafür. Sonst pack ich das nicht", antwortete ich und es war die pure Wahrheit.
„Ich bin immer da, okay?"
„Und deine Tour?", hakte ich nach.
„Dafür hab ich, dank Mats, eine Lösung", antwortete er.
Jetzt wurde ich neugierig. „Die wäre?"
Er richtete sich ein wenig auf, was nicht wirklich ging, weil ich ja noch halb auf seiner Brust lag.
„Wir warten die nächsten zwei Konzerte ab. Ich fahre morgen ja mit Mats nach Friedrichshafen und übermorgen dann nach Osterode. Von da aus fahre ich dann wieder zu dir und in meinen freien Tagen, gehe wir deine Therapie an", erklärte er mir dann.
„Ist das nicht zu viel?", hakte ich skeptisch nach.
„Ne. Das sind morgen acht Stunden, dann sieben nach Osterode und vier nach Berlin."
Ich hatte keine Ahnung, wie lange man Auto fahren konnte. Wenn ich mit Lara unterwegs war, machten wir immer wieder Pausen und ich konnte im Gegensatz zu ihr einfach schlafen.
„Das klingt aber echt viel. Du musst ja auch noch die Konzerte spielen", äußerte ich meine Bedenken. „Ich will nicht, dass du müde ins Auto steigst und vielleicht einen Unfall baust. Das überleb ich nicht."
„Musst du auch nicht", erwiderte er direkt. „Ich bin lange Fahrten gewohnt. Und Mats ist ganz bestimmt auch dabei, also können wir uns abwechseln. Das geht alles und wir passen gut auf. Versprochen."
„Okay", gab ich schließlich nach.
„Schaffst du zwei Tage alleine? Oder kannst du zu Lara?"
Ich hörte, wie Mats und Fritz zurück kamen und im nächsten Moment bellte mein Hund auch schon fröhlich. Er musste direkt vor dem Sofa stehen und wollte vermutlich nur eine Sache: Frühstück. So gern ich ihn auch hatte, aber im Moment wollte ich einfach nicht aufstehen.
„Na ihr zwei? Alles klar?", fragte Mats, der inzwischen auch ins Wohnzimmer gekommen war.
„Ja", antworteten Wincent und ich gleichzeitig.
„Dann ist ja gut." Mats schien wirklich erleichtert zu sein.
Gut, er hatte mich ja mehr oder weniger gefunden, da konnte ich ihm nicht verübeln, dass er sich viele Gedanken machte. Und ich würde ja seine Hilfe brauchen, denn er kannte immerhin die Therapeutin.
„Mats?", überwand ich mich also zu fragen.
Wincent hatte schon genug für mich getan, da konnte ich ja wohl wenigstens das alleine.
„Ja?"
„Kannst... kannst du mir die Nummer geben?"
„Klar." Er fragte gar nicht nach, wofür ich ziemlich dankbar war.
Es auszusprechen fiel mir nämlich noch ziemlich schwer. Doch Mats verstand mich auch so.
„Wenn du mir dein Handy gibst, speichere ich sie dir ab."
Ich reichte Mats mein Telefon.
„Ich bin so unglaublich stolz auf dich", sagte Wincent leise, gab mir einen Kuss auf den Kopf und zog mich noch ein wenig enger an sich.
Ich entspannte mich noch ein wenig mehr. Im Moment brauchte ich nichts anderes. Nur Wincents Anwesenheit, seine Nähe und das Wissen, die ganze Situation nicht alleine schaffen zu müssen.

Wincent

„Gibt es einen Plan für heute?", fragte ich in die Runde
„Nö. Hast du einen?", stellte Mats mir eine Gegenfrage.
Ich dachte nach.
„Okay, soll ich gehen?", fragte er und grinste mich an.
„Ne, bleib ruhig", antwortete ich. Was der nur wieder dachte, ey. „Was ist heute eigentlich für ein Tag?"
„Sonntag."
„Dann ist die Auswahl ja nicht so riesig", überlegte ich laut. „Sollen wir einfach bis zum Mittag ein wenig hier bleiben und später rausgehen?"
„Klingt gut", antwortete Anna und Mats stimmte auch zu.
„Anna, hast du Snacks oder so da?", fragte mein Fotograf.
„Musst du in der Küche schauen, aber bestimmt."
„Ich geh schon", sagte ich und stand auf.
Wenn ich mich bei einer Sache in Annas Küche auskannte, dann damit, wo die Snacks waren. Ich holte Gummibärchen, Chips und Schokolade und füllte jeweils eine Schüssel. Dann nahm ich drei Gläser aus dem Schrank und eine Flasche Saft. Nacheinander trug ich die Sachen ins Wohnzimmer. Mats hatte schon den Couchtisch vorbereitet, sodass ich alles entspannt abstellen konnte. Rund um den Tisch lagen Kissen und Decken auf dem Boden und er hatte sogar einige Kerzen angezündet. Der Raum duftete also schön leicht nach Vanille.
„Brauchen wir jetzt noch Lebkuchen und Glühwein?", fragte ich, denn ein bisschen Weihnachtsstimmung kam schon auf.
„Ne. Aber Tee wär vielleicht cool", meinte Mats.
„Ich hab welchen mit Bratapfel und Zimt irgendwo", warf Anna ein.
„Geil", freute ich mich. „Bin gleich wieder da."
Bei Weihnachten war ich einfach nicht zu bremsen, denn ich liebte das Fest einfach. Und da für mich in diesem Jahr bereits im Februar die beste Zeit im Jahr begonnen hatte, konnte ich auch jetzt schon alles machen, was man normalerweise an Weihnachten tat. Ich durchsuchte also die ganzen Teesorten und kochte dann gut gelaunt eine ganze Kanne davon. Mit dieser und drei Tassen ging ich ins Wohnzimmer zurück.
„Sooo. Jetzt können wir fast anfangen", sagte ich und stellte alles ab.
Mats hatte ein kleines Regal geholt, auf das wir den Tee stellten. Sonst hätten wir so langsam auf dem Tisch keinen Platz mehr zum Spielen.
„Fast?", hakte Anna nach.
„Wir brauchen noch eine leise Hintergrundmusik", beschloss ich und dachte kurz nach. „Seid ihr bereit für ein bisschen Weihnachtslieder?"
„Wenn es nicht ‚Last Christmas' ist", antwortete Anna.
„Ich hab etwas Besseres", antwortete ich und ging zu Annas Anlage.
„Was denn?", wollte nun auch Mats wissen.
„Lasst euch überraschen." Ich lächelte vor mich hin und verband mein Handy mit den Lautsprechern.
Auf mein Team war einfach Verlass, denn gerade heute Morgen bekam ich die finalen Versionen von meinem geheimen Projekt. Was die Fans noch nicht wussten und ahnten war, dass es im Dezember noch ein Album geben würde. Und das war vorerst fertig. Mats kannte es auch noch nicht in Gänze, aber das würde ich heute nachholen. Ich suchte den entsprechenden Ordner heraus, startete die Musik und setzte mich dann zu Mats und Anna. Als die ersten Töne von ‚Beste Zeit im Jahr' erklangen, war ich richtig glücklich, aber auch ein bisschen nervös, was die anderen beiden sagen würden.
„Was...?", begann Anna eine Frage, aber da war schon mein Einsatz und sie schwieg.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now