81

142 13 9
                                    

Wincent

Nach wenigen Stunden sehr unruhigem Schlaf war ich wieder wach. Zumindest konnte ich nicht mehr schlafen. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass sich Anna noch nicht gemeldet hatte. Aber sie schien die Nachricht abgehört zu haben. Ich sah auf die Uhrzeit und stellte fest, dass es erst fünf Minuten her war. Sie war auch noch online, weswegen ich auf eine Antwort hoffte. So langsam machte ich mir nämlich ziemliche Sorgen.
Sie begann eine Antwort aufzunehmen und ich hielt automatisch den Atem an. Doch es kam nichts. Keine Nachricht. Seufzend legte ich das Handy wieder weg und versuchte noch einmal einzuschlafen. Immerhin war es erst kurz nach ein Uhr nachts.
Gegen acht Uhr wachte ich auf. Mein erster Blick fiel auf meine Nachrichten und tatsächlich war da eine von Anna. Ich atmete auf.
„Hey. Sorry, dass ich mich nicht mehr gemeldet habe. Ich bin einfach nur müde."
Ich dachte über eine Antwort nach, aber entschied mich dann doch um. Irgendwie blieb ein leicht flaues Gefühl in meinem Bauch. Anna war noch online, weswegen ich einfach ihre Nummer wählte.
Kurze Zeit später meldete sie sich. „Ja?"
„Hey", sagte ich.
„Hi."
„Wie geht's dir?"
„Geht so. Bin nur müde." Sie klang auch echt nicht so fit, was mich traurig machte.
Ich wollte, dass es ihr gut ging. Andererseits wollte ich meine Familie nicht im Stich lassen.
„Dann schlaf. Das wird dir gut tun."
„Mhm."
„Wo ist Teddy?"
„Hab ich hier. Und riecht auch noch nach dir."
„Dann ist ja gut", sagte ich und stellte mir vor, wie sie im Bett lag und mit dem Teddy kuschelte.
„Kannst du etwas erzählen?", fragte sie leise.
„Klar. Ich kann dir zum Beispiel von meiner kleinen Schwester erzählen, die dich unbedingt kennenlernen will. Ach und meine Mutter und sie haben sehr gut aufgenommen, dass du blind bist. Also können wir sie ganz entspannt besuchen, wenn du willst." Ich berichtete ihr ein wenig von meinem Tag Zuhause. Irgendwann begann ich automatisch zu summen.
Vielleicht lag es an meinem Kinderzimmer, denn mir fiel als Erstes die Melodie vom Sandmännchen ein. Ich hörte Anna auf der anderen Seite ein wenig rascheln, wahrscheinlich drehte sie sich im Bett um. Ich summte einfach weiter und irgendwann wechselte ich zu anderen Schlafliedern, die ich als Kind gehört hatte. Da ich den Text meistens nicht mehr konnte, erfand ich einfach welchen.
Nach einer ganzen Weile lauschte ich, aber von Anna kam nur ein gleichmäßiges Atmen. Also flüsterte ich noch ein „Ich liebe dich" und legte dann auf. Damit sie morgen früh keinen Schreck bekam, schickte ich ihr noch schnell eine Nachricht. Dann legte ich das Handy zur Seite, drehte mich um und schlief kurz darauf ein.

Annalena

Als ich am nächsten Morgen wach wurde, hörte ich von Wincent gar nichts mehr. Ich war verwirrt, denn mein Telefon hing am Strom. Vielleicht war Wincents Handy ausgegangen. Ich checkte unseren Chat und dort war eine neue Nachricht von ihm.
„Guten Morgen. Zumindest gehe ich davon aus, dass du das hier erst morgens hörst. Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Um zu vermeiden, dass unsere Handys wieder den Geist aufgeben, hab ich aufgelegt, nachdem du eingeschlafen warst. Ich melde mich aber nachher nochmal, also wenn ich wach bin und du das hier hoffentlich gehört hast. Ich liebe dich."
Dieser Mann war einfach zu gut für diese Welt.
„Guten Morgen. Danke für gestern Nacht, ich hab wirklich besser geschlafen. Ich wünsche dir auch einen schönen Tag. Ich liebe dich."
Keine zwei Minuten später meldete mein Handy mir eine neue Nachricht von ihm. Offenbar war er auch schon wach.
„Hey. Du bist ja schon wieder online. Es freut mich, dass du gut geschlafen hast. Wie geht's dir sonst? Und was machen Fritz und Teddy?"
Ich dachte kurz nach.
„Mir geht's ganz okay. Fritz ist wahrscheinlich beleidigt, dass du ihn im Zusammenhang mit Teddy genannt hast. Sonst liegt er neben meinem Bett und ist vermutlich auch schon wach. Und Teddy habe ich noch im Arm. Ich muss gestehen, ich liebe ihn ziemlich. Allerdings braucht er auch eine Menge Platz im Bett."
Ich ging kurz ins Badezimmer und als ich wieder ins Bett krabbelte, hatte ich eine neue Nachricht auf dem Handy.
„Fritz verkraftet das schon." Er lachte kurz und mein Herz klopfte automatisch schneller.
Ich liebte es, ihn lachen zu hören. Live noch mehr als über Telefon.
„Und mit Teddy gibt es einen Deal. Wenn ich da bin, schläft er auf der Couch."
Ich brauchte eine gute Antwort. Während ich nachdachte, ging ich in die Küche und trank ein Glas Wasser. Auf Kaffee hatte ich noch keine Lust, genauso wenig wie auf richtiges Aufstehen. Also füllte ich mir noch ein Glas und beehrte mein Bett wieder mit meiner Anwesenheit.
„Und was ist, wenn ich Teddy im Bett haben will? Ich weiß ja nicht, was ich davon halten soll, dass ihr so einen Deal habt. Gibt es eigentlich auch einen dafür, was zu tun ist, wenn Teddys Hoodie nicht mehr nach dir riecht?"
Fritz sprang neben mich auf's Bett und ich kraulte ihn ein wenig.
„Ne, den gibt es noch nicht, aber ich denke darüber nach. Versprochen."
Im Hintergrund rief jemand.
„Sorry, meine Mum hat gefragt, ob ich zum Frühstück komme. Ich würde sehr gerne weiter mit dir quatschen, aber Kaffee ist einfach zu verlockend. Ich melde mich danach bei dir."
„Hey, mach dir keinen Stress, okay? Wir könnten ja vielleicht heute Abend wieder in Ruhe quatschen. Genieß du mal die Zeit mit deiner Familie."
Ich selbst merkte nach diesen Worten, wie sehr ich meinen Vater vermisste. Dabei hatte ich ihn vor Kurzem ja erst besucht. Irgendwie wollte ich wieder bei ihm sein. Am besten mich wie damals als Kind auf seinen Schoß kuscheln und die Welt ausblenden.
Fritz riss mich aus meinen Gedanken, weil er unruhig wurde. So beschloss ich, mich doch mal anzuziehen und für den Tag fertig zu machen. Fertig angezogen, ging ich in den Flur und Fritz folgte mir. So starteten wir unsere morgendliche Runde durch den Park. Doch irgendwie erinnerte mich hier alles an Wincent. Warum das ausgerechnet heute so war, wusste ich nicht, aber es zog mich komplett runter. Sofort vermisste ich ihn wieder und der Teddy, der mich bisher ein wenig getröstet hatte, lag gerade unerreichbar in der Wohnung. Obwohl ich wusste, dass ich sowohl Wincent als auch Lara nur kurz schreiben müsste, fühlte ich mich plötzlich sehr alleine.
Kurz bevor wir den Park verließen, schnappte ich so halb einen Satz auf, der mich genau im falschen Moment erwischte.
„Ist das nicht der Hund, mit dem Wincent mal gesehen wurde?"

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now