Bin ich für sie blind?

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Lara

„Ich kann nicht mehr... Ich dachte,..." Anna weinte. „Ich dachte, wir wären beste Freunde. Warum? Wie konntest du...?"
Ich starrte auf mein Handydisplay. Doch nach dieser Audio kam nichts mehr von ihr.
Was war passiert? Hatte ich irgendwas falsch gemacht? Ich konnte mich nicht erinnern. Seit sie in München war, hatten wir kaum Kontakt. Mal wieder, leider.
„Anna?? Was... ist passiert? Wir sind noch immer beste Freunde. Ich... bitte sag mir, was los ist. Ich mach mir Sorgen um dich."
Ich schickte die Nachricht ab und hoffte, dass sie sich das auch anhörte. Immerhin schien sie echt traurig und auch sauer zu sein.
‚Matsmitzett hat eine neue Story gepostet' meldete mein Handy mir. Da ich Zeit hatte und Mats Storys mich meistern aufmuntern konnten, öffnete ich direkt Instagram. Die erste Story war tatsächlich von Mats, allerdings war sie schon einige Stunden alt.
„Sooo, ich bin mit Wincent in München und wir drehen mal wieder ein bisschen Videos. Ich kann euch sagen, es wird mega geil und vermutlich auch sehr spät und sehr lang. Aber... Wince hat Kaffee besorgt."
Wincent kam tatsächlich gerade mit zwei Bechern in den Raum, stellte sie ab und winkte kurz in die Kamera. Obwohl er lächelte, sah ich ihm an, dass irgendwas nicht stimmte.
War etwas mit Anna? Was ging da unten ab?
„Auf geht's!", beendete Mats die Story und Instagram öffnete automatisch die nächste.
Allerdings war diese von einer anonymen Wincent-Fanpage und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Wurde das wirklich gepostet?
Scheiße. Anna hatte offenbar davon mitbekommen. Wahrscheinlich über Wincent. Doch wie kam sie darauf, dass ich es war? Weil ich als einzige wusste, dass sie bei ihm war?
Es tat ziemlich weh, dass Anna mir so misstraute. Andererseits konnte ich es irgendwo auch verstehen. Sie stand plötzlich im Mittelpunkt, Tausende Menschen bildeten sich gerade eine Meinung über sie. Und das komplett ungefragt.
Ich dachte kurz darüber nach, Mats per Insta nach Anna zu fragen. Doch dann zog eine Benachrichtigung meine Aufmerksamkeit auf sich.
‚Wincent Weiss hat ein neues Reel hochgeladen.'
Mit angehaltenem Atem klickte ich drauf und fand mich wenige Sekunden später auf Wincent Instagram-Account wieder. Im Video war er zu sehen, offenbar hatte er es beim Sport gedreht.
„Moin Leute, ich wollte mich mal ganz kurz melden und muss leider einige Sachen aus unschönem Anlass loswerden. Erstens, ich poste im Moment nicht viel, weil es nicht viel Spannendes gibt. Ich bin halt in der Reha. Und das zweite betrifft die Gerüchte darüber, dass ich wieder in einer Beziehung bin."
Er machte eine Pause.
„Ich werd mich dazu nicht äußern, denn wie ich bereits mehrmals gesagt habe: Meine Beziehungen bleiben privat. Ich kann euch so viel dazu sagen: Ich bin zurzeit glücklich."
Der Wincent in dem Video sah nicht sehr glücklich aus, aber ich verstand es. Immerhin war da gerade einiges einzudämmen. Ich bewunderte ihn immer wieder zutiefst dafür, wie er mit dem ganzen Stress umging. Gut, wahrscheinlich lernte man das zwangsläufig, wenn man in der Öffentlichkeit stand, aber er war eben auch noch der Mensch Wincent. Und die Person hinter dem Künstler war jemand, der es verdient hatte, privat glücklich zu sein, ohne dass jemand anderes darüber urteilte.
Eigentlich wollte ich etwas kommentieren, wie ich das normalerweise als Fan fast immer tat.
Wusste Wincent davon, dass Anna nicht mehr mit mir sprach? Dachten sie beide vielleicht, ich hatte etwas damit zu tun? Immerhin war ich als einzige Person eingeweiht, dass Anna in München war.
Die Erkenntnis machte mich fertig, weswegen ich Instagram schnell schloss. Ich musste nachdenken und irgendwas unternehmen.

Wincent

„Anna, bitte. Du musst nicht viel essen, aber wenigstens ein bisschen."
Ich wusste, dass es fast aussichtslos war. Seit heute Morgen hatte sie außer einigen Schlucken Wasser nichts zu sich genommen. Ich ahnte, dass es mit den Gerüchten bei meinen Fans und dem Verdacht bezüglich Lara zu tun hatte. Wirklich vorstellen konnte ich mir nicht, dass sie so ihre beste Freundin hintergehen würde. Dafür hatte sie sich bei unserem Kennenlernen viel zu sehr für Anna (und mich) gefreut.  Doch wer war es dann? Und woher hatte die Person alle Infos?
Meine Gedanken kreisten seit Stunden um genau diese Frage, aber ich kam zu keinem Ergebnis. Dass Anna zusätzlich in alte Muster verfiel, war echt nicht gut. Nicht einmal mit Sushi konnte ich sie dieses Mal überzeugen. So langsam verzweifelte ich und ich wusste, ich brauchte Hilfe. Es gab zwei Optionen: Mats oder Marco.
Ich ließ Anna in Ruhe und ging in die Küche, um zu telefonieren. Nach dem dritten Klingeln wurde schon abgehoben.
„Moin Chef, was gibt's?"
„Hey Mats, ähm... ich brauch nochmal deine Hilfe", fing ich unsicher an.
„Wobei?"
„Seit heute Morgen ist Anna total komisch. Ich dachte, wir hätten es geklärt, aber irgendwie... Ich glaub, Lara fehlt ihr, aber sie will es nicht zugeben. Und außerdem wissen wir immer noch nicht, wer hinter den ganzen Gerüchten steckt."
„Und was soll ich jetzt machen?"
„Keine Ahnung", gab ich ehrlich zu. „Ich komm einfach nicht mehr weiter."
„Wo seid ihr?"
„Zuhause."
„Gib mir... zehn Minuten? Dann komm ich rum."
„Okay. Danke."
„Du weißt, du kannst auf mich zählen, Wince. Hoffen wir, dass ich helfen kann."
„Danke. Ich weiß das sehr zu schätzen."
„Bis gleich!"
„Bis dann."
Ich ließ das Handy sinken. Mats war echt ein guter Freund und ich war dankbar, dass er kommen wollte. Eigentlich wollte er die Sachen von heute schon schneiden, aber das war mir gerade egal. Anna ging gerade definitiv vor.
Während der 10 Minuten, in denen ich auf meinen Fotografen wartete, schrieb ich mit Marco. Er riet mir, offen mit Anna zu reden, ihr aber auch Zeit zu geben. Immerhin war es nicht gerade harmlos, was über sie geschrieben wurde. Vielleicht hätte ich es ihr nicht erzählen soll, aber andererseits hatte sie ein Recht darauf, auch solche Sachen zu wissen. Als es an der Tür klingelte, verabschiedete ich mich von Marco mit dem Versprechen, mich wieder zu melden. Seit Hamburg hatte er immer wieder danach gefragt, wie es Anna ging. Ich schätzte es, dass meine Freunde, ohne nach Details zu fragen, sich Sorgen um meine Freundin sorgten.
Ich öffnete die Tür und umarmte Mats kurz zur Begrüßung.
„Hey, komm rein", sagte ich und er kam meiner Aufforderung nach.
„Wie geht's dir?", fragte Mats und zog Jacke und Schuhe aus, während ich die Tür wieder schloss.
„Naja, geht so. Hab seit dem Video nicht mehr auf Insta geschaut. Das interessiert mich nicht. Primär quält mich die Sorge um Anna und die Frage, wer die ganzen Infos hatte und woher", erzählte ich Mats ehrlich.
„Und Anna? Wie geht's ihr?"
„Nicht gut. Aber ich kann ihr irgendwie nicht helfen." Verzweifelt fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar. Diese Erkenntnis machte mich fertig. Ich hasste es, nichts tun zu können.
„Wo ist Anna?"
„Oben."
„Ich geh mal hoch, okay?"
„Mach das. Aber Achtung, Fritz hat gerade keine sonderlich gute Laune", warnte ich Mats vor.
„Okay, ich versuche mal mein Glück. Sonst musst du ihn irgendwie ablenken."
Mats lief die Treppen nach oben, während ich unten sitzen blieb und betete, dass sie mit ihm sprach. Oder er mir sonst irgendwie helfen konnte. Ich wollte, dass es Anna wieder gut ging. Ich wollte mit ihr lachen und wissen, dass sie glücklich war.
„Wince?!", rief Mats von oben und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch.