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Wincent

Ich liebte es, Anna lachen zu hören. Vor allem freute es mich, dass sie jetzt wieder so entspannt drauf war. So konnte ich mich auch etwas entspannen und ich freute mich schon sehr auf das kleine schnuckelige Häuschen in den Bergen.
Als wir von der Autobahn runter waren, tauschte ich mit Mats die Plätze und wählte Marias Nummer.
„Maurer?"
„Hallo Maria. Wincent nochmal."
„Ach, hallo. Was gibt's?"
„Ich wollte nur sagen, dass wir in fünfzehn Minuten da sind."
„Wince, das Navi sagte gerade etwas von zwanzig Minuten", warf Mats vom Beifahrersitz aus ein.
„Also fünfzehn", lachte Maria. „Alles klar. Du kannst direkt oben parken, ich komme hin."
„Okay. Danke."
„Pass bitte auf die Kurven auf."
„Sind eure Schafe wieder ausgebüchst?"
„Nein. Aber die Straßen hier sind trotzdem nicht ganz ohne."
„Ich weiß. Ich pass auf, versprochen."
„Okay. Bis gleich."
„Bis dann."
„Wie lange kennt ihr euch schon?", fragte Mats, als der Anruf zu Ende war.
„Ich war letztes Jahr eins, zwei Mal dort. Perfekter Ort, wenn man mal raus will. Dort hab ich auch einige Songs geschrieben", erzählte ich ihm.
„Wann?"
„Letztes Jahr im Herbst."
„Da warst du doch im Urlaub."
„Ja, genau. In Österreich in einem kleinen Häuschen. Und bei Kerzenschein und Kaminfeuer, mit der Gitarre in der Hand, ist der ein oder andere Song entstanden."
„Du machst nie so richtig Urlaub, oder?"
Ich warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel und sah zu Anna.
„Hab ich bisher selten", gab ich zu. „Aber ich glaube, das wird sich ändern. Ich hab einiges gelernt im letzten Jahr. Und ohne Tour oder Album wird das auch alles einfacher."
„Ich werde das kontrollieren", erwiderte Mats. „Nicht, dass du noch ein Workaholic wirst."
„Ich glaube, das weiß Fritz schon zu verhindern", warf Anna ein und ihr Hund bellte zustimmend.
Tatsächlich parkte ich das Auto nur fünfzehn Minuten nach den Telefonat mit Maria vor dem Haus.
„Wow", staunte Mats. „Ich verstehe, was du meinst. Es ist echt schön."
„Hallo Wincent", ertönte es hinter uns, als wir ausgestiegen waren.
Ich drehte mich um. „Ah, hallo Maria."
Sie nahm mich kurz zur Begrüßung in den Arm.
„Darf ich vorstellen? Mats, mein Fotograf", sagte ich und deutete auf ihn.
„Maria", stellte sie sich vor und ich nutzte die Chance, Fritz aus dem Auto zu lassen.
„Alles gut bei dir?", wandte ich mich dann an Anna.
„Ja. Danke." Sie lächelte mich an und ich griff nach ihrer Hand.
Fritz schnupperte und schien sich sehr zu freuen.
„Oh, du hast noch mehr Verstärkung dabei", freute sich Maria.
„Das ist Anna, meine Freundin. Und das ist Fritz, ihr Hund", stellte ich vor.
„Hallo", sagte Anna schüchtern und ich drückte ermutigend ihre Hand.
„Dann kommt mal alle rein", sagte Maria und ging zur Tür.
„Ich würd kurz mit Fritz ein Stück gehen. Willst du mit Mats schon rein und ihr schaut euch um?", wandte ich mich an Anna.
„Okay."
„Mats! Ich geh kurz mit dem Hund. Du kannst dich mit Anna ja schonmal umschauen."
„Alles klar."
So ließ ich die beiden mit Maria alleine und lief mit Fritz in den angrenzenden Wald. Dort fühlte ich mich ziemlich wohl und sofort kamen mir wieder die Erinnerungen an meinen Urlaub hoch. Da war ich stundenlang hier im Wald unterwegs.
„Dir gefällt es hier auch, oder?", fragte ich Fritz, der fröhlich bellte. „Los, lass uns mal ein kleines Stück laufen."
Da ich wusste, dass hier quasi nie etwas los war und dass Fritz eigentlich sehr gut hörte, leinte ich ihn ab.
„Komm!", forderte ich ihn auf und rannte los.
Fritz rannte mir hinter her, war aber deutlich schneller als ich. Das war natürlich schon vorher klar, aber mich spornte das an. Also sprinteten wir noch einige Meter, bevor ich ihn zurückpfiff. Dann leinte ich ihn wieder an und wir liefen zum Haus zurück.
Im Flur zog ich mir Schuhe und Jacke aus und löste Fritz Leine. Dann ging ich ins Wohnzimmer, wo Mats schon einiges vorbereitet hatte. Auf den Mann war einfach Verlass.
„Ich lass euch mal alleine. Hier, der Schlüssel. Du kennst dich ja aus", wandte sich Maria an mich und drückte mir den Schlüssel in die Hand.
„Danke."
„Nicht dafür."
„Ich sehe, du warst schon fleißig", sagte ich zu Mats.
„Ein wenig, ja. Du siehst aber nicht so aus, als wärst du bereit", konterte mein Fotograf. „Was hast du denn gemacht?"
„Bisschen less excuses mit Fritz", antwortete ich. „Gib mir noch fünf Minuten."
Ich setzte mich neben Anna auf die Couch und zog sie in meine Arme. Dann beschrieb ich ihr ein bisschen die Einrichtung des Hauses. Anna lächelte mich dankbar an und wieder einmal fragte ich mich, was sie schon alles erlebt hatte. Für mich und auch für Mats war Annas Blindheit kein Problem, auf das man extra achten musste. Ich überlegte mir dann einfach je nach Situation, wie ich ausgleichen konnte, dass Anna nichts sah.

Annalena

Es fiel mir so leicht, mich zu entspannen, da Wincent und Mats, sogar Maria, mich einfach normal behandelten. Und ich fühlte mich hier in diesem Haus echt wohl. Fritz scheinbar auch, denn er legte sich vor die Couch und blieb einfach dort liegen. Vermutlich schlief er.
„Wie sieht's aus, Wince? Kannst du dich von deiner besseren Hälfte trennen?", fragte Mats.
„Los. Geh schon arbeiten", forderte ich Wincent auf. „Wir sind ja nicht für's Urlaub machen hier."
„Dafür müssen wir auf jeden Fall nochmal herkommen", sagte Wincent.
„Ja. Aber nicht heute."
„Schon klar." Er grinste und gab mir nochmal einen Kuss, bevor er aufstehen wollte.
„Achtung Hund", warnte ich ihn.
„Danke."
„Ärger Mats nicht so."
„Mach ich niemals."
Mats räusperte sich sehr geräuschvoll und ich musste grinsen. Wincent war kein besonders geschickter Lügner.
„Hast du deine anderen Klamotten dabei?", wollte Mats von meinem von meinem Freund wissen.
„Äh, ja. Im Auto. Ich geh sie schnell holen." Mit diesen Worten verließ Wincent den Raum, was dafür sorgte, dass Fritz kurz aufstand.
„Alles gut. Er kommt gleich wieder", sagte ich und mein Hund legte sich wieder hin.
„Wozu hat der Mann eigentlich seinen Kopf?", fragte Mats und es klang fast nach einer rhetorischen Frage.
Ich antwortete dennoch: „Um sich Blödsinn auszudenken, schätze ich mal."
„Aber auch nur dafür."
„So langsam kennst du ihn doch aber."
„Das macht es nicht unbedingt besser", lachte Mats. „Aber ja, man gewöhnt sich dran. Wobei die Hoffnung noch besteht, dass er irgendwann ein kleines bisschen erwachsen wird."
„Vielleicht irgendwann, Mats."
„Da bin ich wieder", verkündete Wincent und tauchte im nächsten Moment im Wohnzimmer auf.
„Sehr schön. Dann können wir ja anfangen."

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now