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Lara

„Und du bist dir sicher?" Skeptisch schaute ich Anna an.
„Ja. Ich schaff das. Fritz ist ja dabei und Mats auch. Ich muss einfach nach München und Wincent hat Recht. Du kannst nicht einfach Urlaub nehmen. Sie brauchen dich im Laden."
„Okay. Aber pass bitte auf dich auf und meld dich. Sonst mach ich mir noch mehr Sorgen. Und glaub mir, ich kann schlimmer sein als Wincent."
„Ich weiß." Anna lachte leicht. „Ich denke, ich hab alles gepackt."
„Dann auf zum Bahnhof. Dahin bringe ich dich auf jeden Fall noch."
Wir verließen gemeinsam mit Fritz die Wohnung und Anna schloss sorgfältig ab. Zum Glück hatte ich direkt vor dem Haus geparkt, sodass wir Annas Sachen direkt in den Kofferraum schmeißen konnten. Fritz durfte, wie immer, auf die Rückbank und dann half ich Anna beim Einsteigen.
Die Fahrt zum Bahnhof verlief schweigsam, aber das war okay so. Immerhin war das einfach eine Ausnahmesituation.  Ich war eigentlich gerne Wincent-Fan, aber manchmal übertrieben sie wirklich. Warum hatte jeder, wirklich jeder außer ihm das Recht auf Privatsphäre?
Am Bahnhof angekommen, parkte ich das Auto und wurde ein wenig traurig. Nicht nur darüber, dass es echt bescheuerte Leute in diesem Land gab. Vor allem fiel es mir schwer, mich schon wieder von meiner besten Freundin zu verabschieden. Ja, die Zeit mit Wincent tat ihr vermutlich mehr als gut und ich war keineswegs eifersüchtig. Dennoch wäre ich gerne mit Anna zusammen wieder im Alltag angekommen.
„Du kommst zurecht?", wandte ich mich an meine beste Freundin.
„Ja. Ich denke schon. Mats müsste auch gleich hier sein", antwortete sie.
„Okay. Pass bitte auf dich und euch auf, ja? Und meld dich."
„Mach ich. Versprochen."
„Dann bis Freitag?"
„Ja. Bis Freitag."
Ich nahm Anna nochmal ganz fest in den Arm.
„Du bist die beste Freundin, die man sich wünschen kann", murmelte sie.
„Anna?", fragte plötzlich eine mir nicht ganz unbekannte Stimme und ich zuckte leicht zusammen.
Ich löste die Umarmung, sah hinter meine beste Freundin und musste schlucken.
„Hey Mats." Anna drehte sich ganz locker zu Wincents Fotografen um und bekam von ihm eine Umarmung.
Normalerweise war ich die Taffe von uns beiden, aber bei den Jungs machte Anna mir echt etwas vor. Also abgesehen davon, dass sie die Stimmen selbst hier am Bahnhof erkannte.
„Mats, das ist Lara, meine beste Freundin. Lara, Mats kennst du ja", stellte Anna uns vor.
„Hi", sagte ich schüchtern.
„Hey Lara." Mats nahm mich ebenfalls in den Arm und ich war komplett überfordert.
Was machte dieser Mann eigentlich? Ich war doch sonst nicht so. Und es war NUR Mats.

Annalena

„Und? Alles klar soweit?", fragte Mats, als wir uns nach der Verabschiedung von Lara auf den Weg zum Gleis machten.
„Ich glaub schon", antwortete ich.
„Warst du schonmal in München?"
„Nein. Ich kenne außer Hamburg und Berlin nur Konzertlocations in anderen Städten. Lara (und Wincent) sei Dank."
„Ah, ein kleiner Fan, ja?"
„Mhm."
„Ist das nicht seltsam, wenn die beste Freundin Fan von deinem Freund ist?" Mats klang ehrlich interessiert.
Ich dachte nach. „Ein bisschen vielleicht. Aber sie hat den Schock gut verkraftet."
„Welchen Schock?"
Ich erzählte Mats von Laras Überraschungsbesuch und dem ersten Aufeinandertreffen von Lara und Wincent in meiner Küche.
Mats lachte. „Naja, darauf kann sie sich ja jetzt einstellen."
„Ja. Ich glaube auch."
„Eins kann ich dir jetzt schon sagen: Langweilig wird es niemals."
„Das hab ich befürchtet", sagte ich und Mats schien die Ironie zu verstehen, denn er lachte.
Die Zugfahrt verlief relativ entspannt, denn Mats und ich verstanden uns echt gut. Sogar Fritz schien die Aussicht darauf, Wincent wiederzusehen, friedlich zu stimmen. Damit hatte ich eine Sorge weniger. Und da Wincent Mats und mir erste Klasse-Tickets besorgt hatte, für die ich nicht ganz undankbar war, mussten wir auch nicht über mögliche Fans nachdenken. Ich fand Zug fahren heute auch gar nicht so schlimm, denn Mats informierte mich über alles, was ich wissen musste, obwohl ich nicht danach gefragt hatte. Es half ziemlich, dass jemand dabei war, der einfach mit dachte. So konnte ich etwas entspannen und sogar kurz vergessen, dass ich gerade unfreiwillig ziemlich viel Interesse auf mich gezogen hatte.
In München angekommen, leitete mich Mats sicher zum Ausgang und ich atmete erst einmal tief durch.
„Alles gut?", fragte Mats sofort.
„Ja. Ich brauchte nur mal frische Luft."
„Du hast es toll gemacht. Wirklich. Aber ja, nach viereinhalb Stunden im Zug tut frische Luft echt gut", erwiderte Mats.
Automatisch fing ich an zu summen. Mats lachte kurz auf und stimmte dann ein.
„Habt ihr jetzt genug frische Luft?", unterbrach uns nach dem Refrain die Stimme, auf die ich mich seit heute Morgen schon freute.
Ich drehte mich zu ihm um und fand mich direkt an seiner Brust wieder. Er drückte mir einen Kuss auf den Kopf.
„Ich hab dich so sehr vermisst", murmelte er.
„Ich dich auch", gab ich ehrlich zu.
Mats ließ uns den Moment, wofür ich echt dankbar war. Zumindest, bis Wincent zusammen zuckte.
„Alter! Geht's noch?", fragte er und Mats fing im nächsten Moment an zu lachen.
„Sorry, Berufskrankheit", entschuldigte er sich nach zwei Minuten.
„Du hast einen persönlichen Stalker? Davon hast du gar nichts erzählt", sagte ich an Wincent gewandt und versuchte, nicht zu lachen.
„Er bezahlt mich dafür sogar", ergänzte Mats.
„Ich bezahl dich dafür, dass du gute Fotos und Videos machst", mischte sich Wincent ein.
„Tu ich doch."
„Jaja." Wincent war ganz sicher nicht beleidigt, aber es war so schön, mit den beiden einfach mal zu lachen und Blödsinn zu labern.
Doch nun war es vorbei, denn da war noch jemand, der unbedingt noch begrüßt werden wollte.
„Mats, wo gibt es Kaffee? Wir haben jetzt mindestens eine Stunde Zeit", sagte ich.

Lara

Dieser Laden kam mir den ganzen Vormittag schon ein wenig einsam vor. Ohne Anna machten manche Dinge einfach nur halb so viel Spaß. Eigentlich hatte ich gleich Pause, aber ohne die Diskussion darum, wo wir Essen gingen, hatte ich keine Lust drauf.
„Na? Ist deine bessere Hälfte gar nicht da?", fragte plötzlich eine mir bekannte Stimme.
Ich sah auf und direkt in das Gesicht von Carla. Ich hatte sie vor einigen Jahren auf einem Konzert von Wincent kennengelernt und wir waren gut befreundet.
„Wenn du Anna meinst, nein."
„Hast du dann Zeit für einen Kaffee? Wir machen viel zu wenig zusammen."
Ich dachte nach. Eigentlich sprach nichts dagegen und ich konnte ja jederzeit wieder gehen.
„Klar, warum nicht?"
„Super."
„Ich mach noch kurz alles soweit fertig."
„Kein Stress. Ich warte einfach draußen."
„Okay."
Als ich für die Pause bereit war, ging ich zu Carla nach draußen und schloss den Laden ab. Die Straße runter gab es ein sehr gutes Café und das steuerten wir an.
„Erzähl mal. Wie geht's dir?", wollte Carla wissen.
„Gut", log ich. So ganz hatte ich die Trennung von meinem Ex nämlich noch nicht verkraftet und dass ich Anna zur Zeit so wenig sah, war auch nicht zufriedenstellend.
„Und bei dir? Wie läuft's?"
„Richtig gut. Ich hab schon soo viele Anfragen bekommen. Als nächstes geht es zu einem Musikvideodreh mit richtigen Weltstars. Da freu ich mich schon ultra drauf. Morgen hab ich aber erst einmal einen Wellness-und Beautytag. Sonst überlebe ich die anstehenden Sachen nicht..."
Während Carlas Monolog hörte ich nur halb hin. Ja, wir waren eigentlich befreundet, aber ihr großkotziges Getut ging mir gerade heute ziemlich auf den Zeiger. Carla war so der Typ Frau, der von sich selbst mehr als nur überzeugt war. Wenn es nach ihr ginge, dann müssten ihr die Männer zu Füßen liegen und die Journalisten sie geradezu verfolgen.
„Und? Wo treibt Anna sich schon wieder herum?", unterbrach Carla ihren Monolog.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt