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Annalena

„Da bist du ja", begrüßte mich Wincent, noch bevor ich klingeln konnte. „Wo warst du?"
„Nur kurz bei Maria", antwortete ich. „Sie trocknet Fabis Sachen und bringt sie nachher hoch."
„Wow. Danke, Anna", mischte sich Fabi ein.
„Dank Maria nachher. Aber jetzt geh ich mich schnell umziehen und dann können wir los."
Ich ging an den beiden vorbei ins Schlafzimmer und leinte dann erst Fritz ab. Der wollte mir wohl meine Privatsphäre gönnen, denn er ließ mich alleine. Wahrscheinlicher war allerdings, dass er kontrollierte, ob Wincent als Leckerchen für ihn gedacht hatte. Ich suchte mir neue Sachen und vor allem outdoor geeignete Klamotten heraus und zog mich schnell um. Dann zog ich mir meine Schuhe und die Jacke wieder an, bevor ich zu Fabi und Wince in den Flur ging.
„Meinetwegen können wir los", verkündete ich.
„Okay. Wir haben eine Route rausgesucht, die so ca. 10 Kilometer lang ist. Fabi meint, die ist richtig gut", erklärte Wincent mir.
„Dann auf", kam es von Fabi.
Ich kontrollierte nochmal den Sitz von Fritz Geschirr und leinte ihn dann dort mit seiner langen Schleppleine an. Die konnten wir hier richtig gut nutzen, denn es kamen uns seltener Menschen entgegen. War halt außerhalb der Saison. Außerdem hatte ich Wincent dabei, der mich führen konnte, sodass Fritz eher wenig zu tun hatte. Es sei ihm auch mal gegönnt, immerhin musste er sich schon fünfzehn Jahre lang nur auf mich konzentrieren. Da sollte er die Jahre, die ihm noch blieben, ruhig auch mal entspannt angehen können. Ich wollte mir ein Leben ohne Fritz nicht vorstellen, aber er wurde halt auch nicht jünger.
„So, hab abgeschlossen. Wir können", verkündete Wincent.
Er nahm meine Hand und dann zogen wir vier los. Irgendwie war ich als Frau immer in der Unterzahl, wenn ich mit Wincent unterwegs war. Ich brauchte dringend mal Verstärkung, wobei ich sagen muss, dass sich alle Männer bisher ziemlich gut benommen haben. Ich ließ mich von Wincent führen, während Fritz die vollen 7 Meter Länge seiner Leine ausnutzte und vor uns her lief. Fabi lief auf Wincents anderer Seite, soweit ich das mitbekommen hatte. So legten wir Kilometer für Kilometer zurück und wie Maria gesagt hatte, kam die Sonne heraus. Das veranlasste sowohl Fabi als auch Wince dazu stehen zu bleiben, um Fotos zu machen.
„Ernsthaft?", fragte ich die beiden.
„Ja", kam es gleichzeitig als Antwort.
Ich schüttelte den Kopf und pfiff Fritz wieder zurück. Der war auch nicht so begeistert von der Pause. Als Wincent jedoch mit den Leckerchen raschelte, hatte mein Hund vergessen, dass er weiterlaufen wollte.
„Wince, soll ich dir helfen?", fragte Fabi. „Es sieht nicht so aus, als würdest du Hundedompteur und Fotograf gleichzeitig hinbekommen."
„Ja, hilf mir mal bitte."
„Jungs, mein Hund ist doch kein Model", warf ich ein, doch natürlich ignorierten sie mich.
Na toll. Jetzt hatten sich alle drei gegen mich verschworen, wobei es bei Fritz nur daran lag, dass Wince Leckerchen hatte. Hoffte ich zumindest.
Natürlich musste nicht nur mein Hund vor die Kamera. Zum Glück hatte ich selten ein Problem mit Erinnerungsfotos, weil ich wusste, wie wichtig sie für die anderen waren. Als die beiden dann endlich zufrieden waren, setzten wir den Weg ganz entspannt fort und genossen einfach alle die frische Luft.

Wincent

Als wir in einen Wald kamen, wo die Wege etwas breiter wurden, hatte ich einen Gedanken.
„Hey Anna, kann ich dich in Fabis Obhut lassen?", fragte ich.
„Wieso?", wollte sie wissen.
„Dann power ich einmal Fritz aus."
„Du meinst wohl eher dich selbst, oder?", hakte Fabi nach.
Ich ließ das so stehen und wartete auf eine Antwort von meiner Freundin.
„Okay", sagte sie und das war mein Stichwort.
Ich pfiff nach Fritz und als Anna mir bestätigte, dass er sehr gut hörte, leinte ich ihn ab. Meine Freundin nahm die Leine an sich und Fabi nahm mir den Rucksack ab. Dann bot Fabi Anna seinen Arm an. Als ich sicher war, dass die beiden zurechtkamen, gab ich Fritz das Kommando und wir veranstalteten ein kleines Wettrennen. Er war schnell, das musste ich zugeben, und irgendwie hatte ich nicht ganz so damit gerechnet. Ich musste definitiv jetzt wieder regelmäßiger trainieren. Doch aufgeben war noch nie mein Ding, deshalb sammelte ich alle meine Kräfte und versuchte, Fritz einzuholen. Ehrlicherweise hatte ich keine Chance, aber er schien seinen Spaß zu haben. Ich pfiff ihn zurück und als Fritz wieder auf meiner Höhe war, rannte ich los. Sofort nahm er die Verfolgung auf und das Spiel spielten wir eine Weile. Ich gab zuerst auf, denn meine Kondition war wirklich nicht die beste.
„Na? Neuen Trainingspartner gefunden?", fragte Fabi, als wir wieder zu den beiden kamen.
„Weiß noch nicht", gab ich zu.
„Weil du nicht verlieren kannst?", zog mich Fabi weiter auf.
Anna griff wieder nach meiner Hand und während ich mir mit dem Zwerg noch kurz einen Schlagabtausch lieferte, setzten wir unseren Weg fort. Kurz bevor wir die Route beendet hatten, beschlossen wir, noch gemeinsam etwas zu essen. Fabi konnte das Gasthaus sehr empfehlen und daraufhin kehrten wir dort ein. Wir bekamen einen Tisch recht abgelegen in einer Ecke und das war uns allen ziemlich recht. Fritz war ein wenig kaputt und legte sich direkt unter den Tisch. Das erste Mal knurrte er noch den Kellner an, aber Anna untersagte es ihm direkt. Daher war auch Ruhe, als uns die Getränke gebracht wurden.
„Ich lass euch mal kurz alleine", sagte Anna, nachdem wir unsere Essensbestellungen aufgegeben hatten.
„Okay", sagte Fabi und widmete sich seinem Handy.
„Du musst nur links lang und dann die zweite Tür rechts, wenn ich das von hier aus richtig sehe", erklärte ich ihr.
„Danke."
Sie stand auf und so blieben nur noch der Zwerg und ich übrig.
„So, hab meiner Family kurz Bescheid gesagt", meinte er und steckte dann das Handy wieder ein.
„Vorbildlich", rutschte es mir heraus.
„Deine Familie kennt das wahrscheinlich nicht so von dir, oder?", zog er mich natürlich direkt auf.
„Nope. Nicht so wirklich."
„Was nicht ist, kann ja noch werden."
„Vielleicht irgendwann", konterte ich, was Fabi zum Lachen brachte.
Irgendwie fühlte ich mich kurz beobachtet, verdrängte es aber wieder. Das war bestimmt nur Einbildung. Diese ganze Sache beschäftigte mich doch mehr, als mir lieb war.
„Hey, alles gut?", wollte Fabi wissen.
„Ja, glaub schon. Hab mich nur kurz beobachtet gefühlt", gab ich zu.
„Du auch?"
„Du etwa...?"
„Ja. Kannst du mal unauffällig schauen?", fragte er mich leise.
Ich sah mich kurz um und entdeckte dann tatsächlich zwei junge Mädels, die auffällig oft zu uns sahen.
„Ich glaube, wir wurden erkannt", erklärte ich Fabi. „Schräg rechts hinter dir."

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now