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Annalena

„Sag mal, wie spät ist es eigentlich?", fragte ich Lara irgendwann.
Manu war schon vor einer Weile gegangen, aber wir hatten noch einen Film angeschaut.
„Halb sieben", kam die Antwort und ich schreckte hoch.
„Was? Ich wollte doch schon Zuhause sein", sagte ich und sprang vom Sofa auf.
„Was ist?", wollte Lara wissen.
„Wince kommt zurück", antwortete ich. „Mist! Was sag ich denn, wo ich war?"
„Die Wahrheit. Nämlich bei mir."
„Und wenn er fragt, was wir gemacht haben?", hakte ich nach, während ich meine Schuhe anzog.
„Film geschaut, geredet... So etwas halt. Du musst ja nicht lügen, sondern lediglich die Anwesenheit seines Pianisten verschweigen."
Ich verabschiedete mich von meiner besten Freundin und machte mich mit Fritz auf den Heimweg. Oh je. Wincent war bestimmt schon da.
Als ich die Wohnungstür aufschloss, wehte mir direkt ein wunderbarer Geruch entgegen. Hatte ich mich in der Tür geirrt?
„Hey Schatz", begrüßte mich Wincent. „Da bist du ja."
„Sorry, war bei Lara", antwortete ich und holte mir erst einmal einen Kuss ab.
„Kein Problem, das hab ich mir fast gedacht."
„Was riecht denn hier so gut?", fragte ich, während ich meine Sachen auszog.
„Ähm, unser Abendessen. Ich hab gekocht. Also mit Fabis Hilfe per Facetime", gab er zu.
„Wow. Womit hab ich das verdient?", fragte ich und ließ mich von Wincent in die Küche führen.
Wir setzten uns an den Tisch und Wincent verteilte das Essen.
„Ich dachte, das wäre gut für uns beide. Immerhin war ich jetzt wieder echt viel unterwegs", beantwortete er anschließend meine Frage.
„Du bist echt süß", antwortete ich.
Wieder mit meinem Freund am Essenstisch zu sitzen, gab mir direkt ein besseres Gefühl. Es schmeckte wirklich gut, was er gekocht hatte und ich ließ mir von ihm nur allzu gerne erzählen, was er die letzten Tage alles erlebt hatte. Wir hatten uns zwar abends immer mal die Highlights berichtet, aber manchmal war er noch beschäftigt oder ich zu müde. Daher war es ganz schön, mal ein wenig mehr zu erfahren.
„Übrigens, ich will dir die zwei neuen Songs noch zeigen, wenn du willst."
„Sehr gerne", antwortete ich sofort.
Wir aßen also noch zu Ende, räumten gemeinsam den Tisch ab und kuschelten uns dann auf die Couch. Es tat so gut, meinem Freund wieder so nah zu sein.
„Okay, bist du bereit?", fragte er.
„Ja."
„Gut. Der erste, der aber wahrscheinlich der letzte Song wird, heißt ‚Was für ein Jahr'. Ich spiel ihn dir mal nur kurz an fürs Erste."
Ich wartete und hörte dann ganz gespannt den Song an. Mir gefiel er sehr gut, vor allem weil er zwar unser Jahr irgendwie beschrieb, aber doch universell war.
„Und?"
„Ich finde den richtig gut gelungen. Ich mag dieses bisschen partymäßige, aber eben mit sinnvoller Message."
„Danke." Er lächelte.
„Und der zweite Song?", wollte ich wissen.
Wincent wurde ein wenig unruhig, was mich wunderte. Bisher war er immer ziemlich überzeugt von seinen Ideen.
„Alles okay?", wollte ich wissen.
„Ja. Es ist nur... der Song ist irgendwie noch persönlicher als die anderen", gab er zu.
„Aber ist das nicht bei all deinen Alben so?", hakte ich nach.
„Schon..."
„Aber?"
„Hör ihn einfach an", bat er mich und ich nickte. „Bereit?"
„Ja."

Wincent

Zum ersten Mal war ich wirklich unsicher, ob ein Song auf das Album sollte. Ich liebte den Song, ohne Frage, und er passt auch irgendwie, aber gleichzeitig hatte ich Angst. Nicht nur vor Annas Reaktion, sondern vor allem von der Reaktion der Fans. Ja, ich war wieder in festen Händen, aber allein diese ganzen Klatschartikel und die Sachen auf Instagram, machten mich wütend. Vor allem bestätigten sie mir wieder, dass es richtig war, alles privat zu halten. Ich legte meine Arme noch etwas fester um Anna und startete dann die Datei, die Philipp mir geschickt hatte.
„Es braucht nicht viel,
weil ich mich Zuhause fühl
mit dir in meinem Arm,
wenn's draußen schneit.
Träume so lang davon,
irgendwo anzukommen.
Fühl mich zum ersten Mal dafür bereit:
Weihnachten zu zweit."
Ich spürte, dass Anna sofort merkte, dass ich diese Worte nur für sie geschrieben hatte. Während der Strophe rollte ihr eine Träne über die Wange, die ich sofort wegwischte.
„Wince", hauchte sie, kurz bevor der Refrain wieder kam.
Ich drückte sie eng an mich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. Vor meinem inneren Auge sah ich die Bilder, die ich im Song andeutete, vor mir. Es war fast ein wenig zu schön, um wirklich Realität zu werden, dennoch ging ich ein wenig davon aus. Immerhin saß ich mit Anna hier auf der Couch in ihrer Wohnung und hörte meine unreleasten Songs an. Nachdem der letzte Ton verklungen war, drehte Anna sich in meinen Armen zu mir um.
„Wince?"
„Ja?"
„Ich liebe dich", hauchte sie und ich überwand den letzten Abstand zwischen uns.
„Darf... ich den Song noch einmal hören?", fragte Anna zaghaft.
„Klar", antwortete ich und drückte sie an mich, während wir zum zweiten Mal den Song anhörten.
„Ich finde, den solltest du definitiv auf das Album packen", meinte Anna irgendwann.
„Ehrlich?"
„Ja. Der Song ist wunderschön und den solltest du auf keinen Fall unveröffentlicht lassen."
Ich war noch nicht wirklich überzeugt. „Findest du? Ich meine, er ist ja mehr oder weniger deiner."
„Und ich will, dass du ihn mit auf das Album packst", erwiderte Anna.
„Okay", gab ich nach.
Den restlichen Abend lang hingen wir sehr aneinander und berührten uns immer irgendwie, wenn es ging. Nach einer Gassirunde mit Fritz, ging Anna schon ins Bad. Ich gab ihm noch Abendessen, bevor ich zu meiner Freundin ging und wir uns gemeinsam fertig machten. Im Bett kuschelte sie sich direkt an meine Brust und ich musste gestehen, dass ich es sehr vermisst hatte, jemanden so im Arm zu halten.
„Gute Nacht, Schatz", sagte ich und gab Anna einen Kuss auf die Stirn.
„Gute Nacht, Wince."
Zum ersten Mal seit Wochen schlief ich wieder richtig gut. Anna musste vielleicht doch immer mitkommen. Wobei es ja nur noch die paar Wochen bis Weihnachten waren. The Voice Kids war ja in Berlin und ich hatte eine Pause angekündigt. Also keine Tour, nur eventuell kleinere Gigs hier und da. Daher würde ich endlich die Chance haben, ganz viele Nächte mit meiner Freundin ein Bett zu teilen. Traumhaft. Endlich mal ein normales Leben. Darauf freute ich mich definitiv am meisten.

Bin ich für sie blind? Donde viven las historias. Descúbrelo ahora