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Annalena

Warum hatte ich das jetzt gesagt? Und warum zur Hölle klopfte mein Hert plötzlich so schnell?
Zugegeben, ich konnte die Ausstrahlung des Mannes mir gegenüber nicht leugnen. Und irgendwie kam mir seine Stimme auch bekannt vor. Und Fritz schien ihn zu mögen. Vielleicht, weil er Jever kaufte.
„Meistens wahrscheinlich schon", gab er zu. „Aber das muss Fritz ja nicht wissen."
„Ich glaube, das weiß er längst. Manchmal funktioniert es auch", gestand ich ihm und es entsprach der Wahrheit. Nicht selten setzte sich Fritz durch, vor allem wenn es um Fleisch ging. Wie gut, dass wir heute nicht in diesen Teil des Ladens mussten.
„Gut, dann hab ich nie etwas gesagt", kam es von dem Mann. „Und Fritz, gut gemacht", fügte er noch etwas leiser hinzu.
„Ey!", protestierte ich, aber meinte es nicht wirklich so. Ich wusste, dass ich Fritz niemals widerstehen konnte, obwohl ich ihn nicht sah. Und so ging es jedem.
„Tschuldigung", meinte der Mann, aber ich hörte ein Lächeln. Er hatte mich also ganz richtig verstanden.
Das Klingeln eines Telefons unterbrach uns. Es musste ihm gehören, denn ich hatte einen anderen Klingelton.
„Sorry", kam es von ihm, ehe die Musik verstummte. „Ja?... Ich bin noch einkaufen... Auftrag von Mats... Upsi... Ne, er kommt nicht zu dir. Wir beide fahren zu ihm... Naja, wenn ich schonmal in Berlin bin... Komm schon, Amelie. Das wird lustig... Du brauchst dich um nichts kümmern. Mats macht Essen... Ja... Dann in einer Stunde bei dir?... Perfekt. Bis dann."
Mats? Der Mats? Konnte das sein? Woher kannte ich denn seine Stimme? Ich war doch sonst besser im Merken. Verdammt!
Ich räusperte mich und überlegte, wie ich unauffällig verschwinden konnte. Offensichtlich hatte er eine Verabredung. Mit einer Frau und Mats. Also nicht, dass ich etwas dagegen hatte, aber ich sollte ihn nicht aufhalten. Es war schon schlimm genug, dass Fritz ihn aufgehalten hatte und dass ich nicht wusste, wer da vor mir stand. Wir waren uns schon begegnet, das wusste ich, aber mir fiel der Name nicht ein. Er wiederum kannte meinen auch nicht oder hatte mich gar nicht erst erkannt. Wobei, hatte ich mich jemals mit ihm unterhalten? Ich glaube nicht. Das wüsste ich doch, so sehr wie mich seine Anwesenheit aus dem Konzept brachte. Also kannte er mich wahrscheinlich gar nicht.
Ein wenig erleichterter war ich nach dieser Erkenntnis schon. Dennoch wollte ich am liebsten ganz schnell hier weg. Andererseits faszinierte mich dieser Mann irgendwie.
Fritz brach das Schweigen, indem er mich anstupste und einmal leise bellte.
„Ich muss dann mal weiter", sagte ich und hoffte, dass es nicht unhöflich klang. Dafür war er viel zu nett.
„Klar. Ich ja eigentlich auch." Er schien nicht so begeistert von dieser Erkenntnis zu sein.
Da waren wir ja schon zu zweit.
„Fritz, haben wir alles?", wandte ich mich an meinen Hund, der bestätigend bellte.

Wincent

Okay, jetzt war ich komplett verwirrt. Also nicht nur davon, was diese Frau in mir auslöste, sondern auch von ihrer Frage. Entschied bei ihr der Hund, was einzukaufen war?
Ich sah fasziniert zu Fritz und erst da fiel mir der Schriftzug auf seinem Geschirr auf. Die Brille auf der Nase seines Frauchens war also nur Atrappe. Nicht, dass mich das störte, aber ich war kurz überrascht. Wieso war mir das vorher noch nicht aufgefallen?
Irgendwie war ich jetzt noch nervöser als vorher. Ich hatte noch nie mit blinden Menschen zu tun gehabt. Am liebsten wollte ich ihr hundert Fragen stellen und gleichzeitig traute ich mich nicht, auch nur eine zu stellen. Sie erschien mir einfach so selbstständig, dass ich Angst hatte, sie mit irgendwas zu beleidigen. Die erste Frage, die mir nämlich in den Sinn kam, war, ob sie Hilfe brauchte. Natürlich kam sie alleine oder mit Unterstützung von Fritz zurecht. Immerhin war sie ganz offensichtlich nicht zum ersten Mal hier.
Fuck ey! Warum reizte mich ausgerechnet diese Frau so? Ich war doch jetzt schon komplett überfordert.
Ich ahnte, dass sie zur Kasse wollte und ging ihr deshalb aus dem Weg. Ganz automatisch folgte ich ihr auch dorthin und dachte fieberhaft darüber nach, wie ich sie wiedersehen konnte. Ihre Selbstständigkeit, die sie trotz der Blindheit hatte, faszinierte mich. Allerdings war sie hier offenbar keine Unbekannte, denn sie wurde freundlich von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begrüßt. Wie oft sie wohl hier einkaufen ging?
Jetzt reiß dich mal zusammen, sagte ich zu mir selbst. Irgendwas musste mir einfallen.
„Hey Anna, sieht man dich auch mal wieder hier?", wurde sie von der Kassiererin angesprochen.
„Ja. Irgendwann muss ich ja", antwortete sie.
„Wir haben dich schon vermisst", meinte die Kassiererin.
„Das tut mir leid." Anna klang aufrichtig. „Meine beste Freundin war viel für mich einkaufen."
„Also solange du ab und zu noch vorbeischaust, ist alles gut." Die Kassierin lächelte.
„Das mache ich auf jeden Fall."
„Und Fritz? Alles klar, mein Freund?", wandte sich die Kassierin an den Hund.
Fritz bellte und wedelte mit dem Schwanz.
„Na dann ist gut. Pass mir ja gut auf Anna auf, hörst du?"
Fritz bellte wieder.
„Ich glaube, solange niemand in seiner Anwesenheit Jever kauft, passiert nichts", meinte Anna und lachte.
Seltsamerweise wirkte sie jetzt gar nicht mehr schüchtern. War sie vielleicht nur bei Männern so zurückhaltend?
Ganz gebannt beobachtete ich, wie Anna ihren Einkauf bezahlte. Ob das jemand mitbekam, wusste ich nicht und eigentlich war es mir auch egal. Ich war nun einmal auch nur ein Mann und sie eine bildhübsche Frau.
Gerade rechtzeitig fiel mir ein, dass ich meinen Einkauf ja auch noch bezahlen musste. Ich reichte der Kassiererin meine Getränke und behielt mit einem Auge immer Anna im Blick.
„Bar oder mit Karte?", riss mich die Kassiererin aus meinen Beobachtungen.
„Mit Karte bitte", antwortete ich und hielt sie an das Gerät.
Dann packte ich den Einkauf zurück in den Wagen und beeilte mich, nach draußen zu kommen. Ich sah mich aufmerksam um und entdeckte Anna auf dem Weg zur Straße. Ich schätzte, dass sie nur wenige Meter weiter stand als mein Auto. Also schob ich den Wagen schnell in Richtung meines geliebten Oldtimers.
Anna stand am Rand des Parkplatzes und schien auf irgendwas zu warten. Ich überlegte kurz, schätzte die Entfernung ab und nahm dann meinen ganzen Mut zusammen.
„Anna?", fragte ich und hoffte, dass ich laut genug war, dass sie es hörte.
Tatsächlich drehte sie sich in meine Richtung und Fritz bellte aufgeregt. Gebannt beobachtete ich ihre Reaktion, während ich meinen Kofferraum öffnete. Kurz schien sie zu überlegen und kam dann auf mich zu. Fritz wedelte fröhlich mit dem Schwanz.
Schnell räumte ich die Getränke ein und schloss das Auto wieder ab. Genau im richtigen Moment, denn dann stand Anna nur noch einen Meter vor mir. Fritz zog an der Leine und wollte ganz offensichtlich gestreichelt werden.
Ich wollte mein Glück allerdings nicht überstrapazieren und versuchte mich außerdem auf die Frage zu konzentrieren, die ich stellen wollte. Gerade in meinem Kopf klang es noch ganz einfach, aber als ich Anna jetzt so direkt gegenüberstand, begann mein Herz wieder wie wild zu schlagen. Ich atmete einmal tief durch und kratzte die wirklich nur noch minimal vorhandenen Reste Mut zusammen.
„Hey, ähm...", begann ich zögernd. O Gott, es konnte nur peinlich werden.
„Ja?"
Moment? Klang sie auch so nervös, wie ich mich fühlte oder bildete ich mir das ein?
„Ähm, ich wollte dich eigentlich nur fragen..., ob du vielleicht noch... fünf Minuten... Zeit für... einen Kaffee hast?" Ey, was machte Anna nur mit mir? Ich klang doch bestimmt wie ein Teenager, der seine Hormone nicht im Griff hatte.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now