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Wincent

Nach dem Essen, das wirklich lecker war, machten wir uns auf den Heimweg. Ich wollte meine Sporttasche bei Anna lassen und mein Rucksack war auch noch nicht gepackt. Wir würden ja erst nach dem Konzert in Bielefeld wieder nach Berlin kommen. Drei Tage mit Anna unterwegs zu sein, würde vielleicht nicht immer einfach sein, aber auch nicht langweilig.
„Bist du soweit?", fragte ich Anna, nachdem ich mir sicher war, alles eingepackt zu haben.
„Ja. Und du?"
„Auch."
„Dann können wir ja los."
„Erst muss ich mich von dem kleinen süßen Kerl hier verabschieden", sagte ich und setzte mich auf den Fußboden.
Fritz schien mich verstanden zu haben, denn er kam direkt auf mich zu und ließ sich ordentlich durch kraulen.
„Wince, ihr seht euch drei Tage nicht. Das überlebt ihr schon", warf Anna ein.
„Ja, aber es sind drei Tage."
„Du hast schon länger durchgehalten."
„Stimmt schon. Und ich hab ja dafür dich dabei."
„Ja."
„Dann können wir vielleicht doch los. Komm, mein Freund." Ich stand auf und Fritz ebenfalls.
Seine Sachen hatte Anna schon zusammengepackt und so nahm ich meinen Rucksack, Annas Rucksack und Fritz Tasche. Anna nahm ihren Hund und schloss die Wohnung ab. Gemeinsam gingen wir zum Auto, wo ich alles in den Kofferraum lud. Fritz sprang auf die Rückbank und Anna nahm natürlich wieder auf dem Beifahrersitz Platz.
Nachdem wir Fritz bei Lara abgeliefert hatten und ich ihn nochmal ermahnte, lieb zu sein, fuhren wir wirklich los. Nach viereinhalb Stunden kamen wir in Münster an und ich ging mit Anna nochmal kurz einkaufen. War zwar mit Mats nicht abgesprochen, aber Bier konnte man nie genug haben. Er hatte mir die Adresse schon geschickt und so parkte ich kurze Zeit später dort. Mit dem Kasten Bier und einer Tüte Crush Eis drauf, machte ich mich auf den Weg zur Tür. Anna hatte sich untergehakt, denn Hände frei hatte ich ja leider nicht. Sie klingelte und drückte dann die Tür auf.
„Ey, wo sollte das Bier hin?", rief ich, nachdem wir die Wohnung betreten hatten.
Es wurde schlagartig still und dann gab es Gemurmel.
„Hey Wince, hallo Anna. Schön, dass ihr da seid", begrüßte uns Mats. „Ich räum das Bier eben weg."
Nachdem er mir den Kasten abgenommen hatte, nahm ich Annas Hand, die mich sofort festhielt. Ganz sicher schien sie sich noch nicht zu fühlen.
„So, da bin ich wieder. Jetzt nochmal richtig." Mats nahm erst meine Freundin und dann mich nochmal kurz in den Arm.
„Tobi ist leider etwas angeschlagen und auch noch nicht da. Keine Ahnung, was wir solange machen sollen", sagte er.
„Du kannst dich auflegen", schlug ich vor. „Ahnung hast du doch."
„Ich weiß nicht", gab Mats zu bedenken. „Ich hab doch Topic angekündigt."
„Ey, ich hab mich zwar auch auf Tobi gefreut, aber primär sind wir deinetwegen hier. Du kannst doch einfach anfangen und wenn er da ist, übernimmt er direkt. Dann herrscht auf jeden Fall schonmal die richtige Stimmung."
„Okay, überredet. Ich mach's."
„Geht doch." Ich grinste Mats an.
„Achso, Getränke sind in der Küche. Nehmt euch einfach, was ihr braucht."

Annalena

Kurz zweifelte ich an meiner Entscheidung, mit Wincent auf eine Party mit lauter fremden Menschen zu gehen. Irgendwie verwirrten mich die ganzen Stimmen und als dann noch Musik obendrauf kam, bekam ich kurz Panik. Wincent schien das direkt zu merken, denn er lotste mich durch die Menge. Als es ruhiger wurde, blieb er stehen.
„Besser?", fragte er.
„Ja. Danke."
„Nicht dafür. Ich hab doch gesagt, wir machen das so, wie es für dich passt."
„Aber es ist immer noch Mats Party, zu der du wolltest", warf ich ein.
„Und ich hab dich mitgenommen, nachdem du versprochen hattest, Bescheid zu sagen, wenn es zu viel wird."
Ich wollte nicht mit Wincent streiten. „Okay. Ich sag dir Bescheid. Aber nur, wenn du bis dahin versuchst, diese Party zu genießen. Ich schaff das schon irgendwie."
„Du musst hier aber niemandem etwas beweisen, okay?", ermahnte er mich.
„Ich weiß."
„Dann ist ja gut. Ach, wenn wir gerade in der Küche sind, brauchst du etwas zum Trinken?"
„Was ist denn da?"
„Von Cola bis Jever gefühlt alles."
„Ich fang mal langsam mit Cola an."
„Okay, warte." Ich hörte Wincent ein wenig klappern und knistern. „Hier."
Ich nahm vorsichtig den Becher entgegen.
„Ich mach mir noch ein Jever auf und dann schauen wir mal, was DJ Mats macht", sagte Wincent und ich nickte.
Den Becher in der rechten Hand und meine linke mit Wincents verschränkt, gingen wir ins Wohnzimmer zurück. Dort herrschte schon ordentlich Stimmung und als ich mich nur auf die Musik konzentrierte, fiel mir auf, dass Mats einen ziemlich guten Geschmack hatte. Ich war eigentlich kein Partymensch und Lara respektierte das. Hiervon durfte sie nie etwas erfahren, aber ich fürchtete, wenn Wincent irgendwas postete, bekam meine beste Freundin das auch mit. Meine Partyerfahrungen beschränkten sich auf Aftershows im Musical und da lief wirklich nicht viel. Immerhin standen am nächsten Tag immer Proben und/oder Aufführungen an. Die Schulstunden für uns Kinder und Jugendliche kamen natürlich auch noch dazu. Alles in allem kein Vergleich zum heutigen Abend.
Ich hörte auf zu zählen, wie oft Wincent mir schon einen neuen Becher Cola in die Hand gedrückt hatte. Es wurde einfach von Minute zu Minute wärmer in dieser Wohnung. Ich bekam nur halb mit, dass mein Freund irgendwann bei Mats hinterm DJ-Pult gelandet war. Als er dann das nächste Mal neben mir stand und ich mich an ihn kuschelte, fühlte ich direkt seine verschwitzte Haut. Was hatten die Jungs gemacht?
„Alles gut bei dir?", fragte ich Wincent.
„Ja. Nur ein bisschen warm hier drin. Wie geht's dir?", wollte er dann von mir wissen.
„Ganz gut. Aber ja, es ist ziemlich warm."
Falls Wincent etwas sagte, ging es in Jubel unter.
„Tobi ist da", erklärte mir Wincent.
Er hielt es noch eine Weile bei mir aus. Dann jedoch schickte ich ihn los. Immerhin hatte er heute die einmalige Chance, mit Mats und Tobi zu feiern und ich spürte, dass ihn das extrem glücklich machte. Hier war er einfach nur Wincent und es interessierte niemanden, dass er eigentlich ein Star und Mats Chef war.
Ich zog mich in die Nähe der Küche zurück, denn dort hatte ich ein wenig das Gefühl von Sicherheit. So langsam wurde ich müder und das wirkte sich immer direkt auf alles andere aus. Vor allem auf die Konzentration, was es immer schwerer machte. Laute Musik, Hitze und Müdigkeit waren keine gute Kombination.
„Hey Schatz, hier bist du", hörte ich Wincent da sagen.
„Ja", antwortete ich.
„Du siehst ganz schön fertig aus."
„Bin nur ein bisschen müde", erwiderte ich.
„Du solltest doch Bescheid sagen."
„Mir geht's gut. Wirklich."
„Schatz, Topic spielt jetzt noch knapp eine Stunde auf dem Festival. Bist du sicher, dass du das schaffst? Sonst können wir auch einfach ins Hotel gehen. Du kannst Schlaf bestimmt gut gebrauchen, bevor wir morgen nach Kassel fahren."
„Schlaf klingt gut", murmelte ich. „Aber du willst bestimmt noch zu dem Auftritt."
„Erst einmal bist du wichtiger."
„Okay. Aber nur, wenn du danach noch dahin gehst. Wenn ich schlafe, passiert nichts."
„Ich denk drüber nach", erwiderte Wincent.
Dann nahm er meine Hand und führte mich durch sie Menge. Sein kurzes Gespräch mit Mats bekam ich nur so halb mit. Als mir vor der Tür die kühle Nachtluft ins Gesicht pustete, atmete ich automatisch tief durch.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt