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Wincent

„Komm schon, Anna. Geh ran."
Ich saß im Hotelzimmer auf dem Bett und betete schon fast, dass meine Freundin bereits wach war. Oder durch das Klingeln ihres Handys wach wurde. Ich musste einfach mit ihr sprechen. Wissen, ob sie es schon wusste. Hören, dass es ihr gut ging. Falls nicht, müsste ich mir echt etwas einfallen lassen. Zur Not brach ich die Reha ab, aber eigentlich wollten weder Anna noch ich das.
Doch nach dem, was Amelie mir leider zu berichten hatte, stand alles wieder auf der Kippe. Ich wollte nicht, dass Anna in die Öffentlichkeit geriet. Schon gar nicht, wenn wir gerade am Anfang unserer Beziehung waren.
„Ja?"
Endlich!
„Hey Maus. Hab ich dich geweckt?", fragte ich.
„Nein. Das hat Lara schon übernommen."
„Hä?"
„Sie stand um halb sieben vor der Tür und hat fast Sturm geklingelt", erklärte Anna mir.
„Wieso das?"
„Weil sie mir etwas Wichtiges erzählen wollte." Ich hörte Annas Unbehagen in der Stimme.
„Moment. Das heißt, du weißt..."
„Ja."
„Schatz, das tut mir mega leid. Ich wollte dich niemals in die Öffentlichkeit bringen. Es fühlte sich alles so gut und richtig an und jetzt das. Bitte glaub mir, dass ich es verhindert hätte, wenn ich es könnte."
„Hey, alles gut. Ich weiß, dass du nun einmal nicht ganz unbekannt bist. Und das ist okay."
„Das ist nicht okay. Du hast Privatsphäre verdient", widersprach ich direkt.
„Du auch."
Ich wusste erst einmal nicht, was ich sagen sollte. Ja, Anna hatte Recht, aber ich war schon gewohnt, dass ich nicht alles geheim halten konnte.
„Übrigens hatte Lara eine Idee, wie wir die Gerüchte entkräften könnten", erzählte Anna.
„Ach ja?"
„Ja."
„Du wirkst nicht sehr überzeugt", stellte ich fest.
„Naja, wenn die uns schon gesehen haben, kaufen die das eventuell gar nicht erst ab."
„Was?"
Während Anna Laras Plan erklärte, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Diese ganze Situation war einfach nur blöd. Und ich stimmte Anna zu. Meine Fans waren leider nicht doof. Mich bedrückte es, dass Anna jetzt alleine in Berlin war. Gut, mit Fritz, aber trotzdem. Ich war ihr Freund, also sollte ich jetzt für sie da sein. Immerhin ging es ja um meine Fans.
„Wince?"
Anna benutzte zum ersten Mal meinen Spitznamen.
„Ja?"
„Was machen wir jetzt?"
Ich hörte ihre Verzweiflung, auch wenn sie es versuchte, zu verbergen. Mein erster Impuls war, mich ins Auto zu setzen und nach Berlin zu fahren. Reha hin oder her. Meine Freundin brauchte mich jetzt.
„Warte mal bitte kurz. Lara will irgendwas", unterbrach mich Anna und ich wartete.
„Und?", fragte ich nach drei Minuten.
„Sie hat vorgeschlagen, nach München zu fahren. Also, wenn das für dich okay ist. Ich will dich auf keinen Fall bei der Reha stören."
„Hey, du störst nicht. Niemals, okay? Und wahrscheinlich wäre es wirklich einfacher, wenn du mit Fritz nach München kommst. Sonst wäre ich auch nach Berlin gefahren."
„Und deine Reha?"
„Hätte warten müssen."
„Nein. Wince, bitte mach die Reha."
„Wenn du nach München kommst, ja. Ich will nicht, dass du alleine bist", gab ich zu.
„Ich will auch nicht alleine sein."
Ich dachte kurz nach. „Traust du dir zu, die Strecke mit Zug zu fahren? Von Berlin nach München fährt ein ICE durch. Lara muss doch sicher arbeiten. Sie soll auf keinen Fall meinetwegen spontan Urlaub nehmen."
„Ich weiß nicht..."
„Warte mal. Ich meld mich gleich wieder bei dir, okay? Ich habe eine Idee."
„Okay."
„Bis gleich, Schatz."
„Bis dann."
Kaum hatten wir aufgelegt, scrollte ich durch mein Adressbuch. Wo war denn jetzt die Nummer? Ich hatte eindeutig zu viele Kontakte.
Endlich! Hier! Und wehe, er geht nicht ran.
Ich wartete und hörte dem gleichmäßigen Tuten zu. Ich hoffte, dass mein Plan aufging.
„Wince? Was verschafft mir denn diese Ehre?"
„Moin Mats. Ähm, kurze Frage. Wann wolltest du nach München kommen?"
„Hast du das etwa verpeilt?", lachte er.
„Vielleicht."
„Also geplant war der Zug in zwei Stunden."
„Oh, das ist perfekt."
„Wofür?" Er klang etwas skeptisch.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?"
„Kommt drauf an."
Ich erzählte ihm kurz und knapp das Drama mit den Fans und dass Anna nach München kommen wollte. Ich wusste, dass Mats die Klappe halten konnte und deshalb verriet ich ihm auch, dass Anna und Zug fahren eigentlich keine gute Kombi war.
„Und jetzt soll ich auf sie aufpassen?"
„Ja. Also einfach, damit sie nicht mit Fritz alleine ist", bestätigte ich.
„Fritz?"
„Ihr Hund."
„Ah, der süße Kerl auf deinem Profilbild?"
„Jap."
„Okay, ich bin dabei. Aber nur, wenn es für Anna okay ist."
„Ihr kennt euch doch schon", warf ich ein.
„Trotzdem."
„Ich red mit ihr und meld mich dann wieder."
„Alles klar. Schreib einfach. Ich arbeite noch ein bisschen und pack dann meine Sachen."
„Alles klar. Danke, Mats. Du bist meine Rettung."
„Ich helf dir gerne, Wince."
„Dann bis später."
„Bis dann."
Ich atmete tief durch. Womit hatte ich bitte so gute Freunde verdient?
Dann rief ich Anna nochmal an.
„Hey Wince", begrüßte sie mich.
„Hey Maus. Ich hab eine Lösung gefunden."
„Okay?"
„Du erinnerst dich ganz bestimmt noch an Mats."
„Ja."
„Er wollte in zwei Stunden eh nach München kommen. Ihr könntet also gemeinsam mit dem Zug fahren. Ist das einfacher für dich?"
Ich wartete gespannt auf ihre Reaktion. Ja, sie kannte Mats, aber trotzdem. Mindestens Fritz konnte schwierig werden, fiel mir wieder ein. Ich schlug mir gedanklich gegen die Stirn. Schon wieder nur an die Hälfte gedacht.
„Ist auf jeden Fall besser als ganz alleine", erwiderte Anna. „Kann Mats mit Hunden?"
Wieder war ich ein wenig erleichterter. „Ja, kann er. Ich hoffe mal, Fritz findet ihn auch okay."
„Wir bekommen das schon irgendwie hin."
„Das glaube ich auch. Dann sag ich ihm Bescheid, dass ihr gemeinsam her kommt, okay?"
„Ja. Schick ihm ruhig meine Nummer wegen Treffen und so."
„Mach ich."
„Wince?"
„Ja?"
„Danke für alles."
„Kein Problem. Wirklich. Ich freu mich auf heute Abend."
„Ich mich auch. Ich liebe dich."
„Ich liebe dich auch", erwiderte ich und mein Puls stieg automatisch.
Ich konnte diesen Satz nicht oft genug von Anna hören.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt