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Wincent

Ich ließ das Ganze unkommentiert. Ganz unrecht hatte er ja nicht, aber so gerne ich Kai hatte, er musste noch nicht alles wissen. Er beließ es zum Glück auch dabei, wobei ich aus seinem Gesichtsausdruck las, dass er sich für mich freute. Gut, wir kannten uns nun doch schon eine Weile und er war ziemlich cool. Natürlich hatten wir auch schon das ein oder andere private Gespräch geführt, weswegen er durchaus wusste, dass ich wieder eine Freundin haben wollte. Also irgendwann. Dass Anna jetzt so überraschend in mein Leben kam, ist einfach nur pures Glück.
„Fritz, wollen wir deinem Frauchen mal sagen, dass es dir gut geht?", wandte ich mich an den Hund, der sofort anfing mit dem Schwanz zu wedeln.
„Ich lass euch mal alleine. In zehn Minuten machen wir weiter", meinte Kai.
„Danke."
Er ging wieder ins Studio und ich blieb mit Fritz allein zurück. Ich holte mein Handy heraus und schickte Anna eine Sprachnachricht.
„Moin Anna. Ich dachte, ich geb dir mal kurz ein Update. Fritz geht es super, er scheint das Studio hier zu mögen. Wie geht es deinem Vater? Ich freue mich sehr auf heute Mittag."
Als die Nachricht rausgegangen war, ich checkte das neuerdings immer zwei Mal, hockte ich mich hin und kraulte Fritz noch ein wenig, was er absolut genoss.
„So, ein wenig musst du noch durchhalten, mein Freund. Und dann ist Feierabend", erzählte ich ihm.
Er setzte sich auf und sah mich mit schief gelegtem Kopf an.
„Ja. Danach holen wir dein Frauchen ab."
„Stör ich?", fragte plötzlich Stephanie hinter mir.
„Nein", erwiderte ich und stand auf.
„Ist alles gut bei dir?"
„Ja, wieso?"
„Du wirkst heute irgendwie abgelenkt. Liegt es an ihm?" Sie deutete auf Fritz.
„Nein. Es ist... keine Ahnung."
„Bist du nervös?"
„Ein bisschen vielleicht. Auch wenn das absoluter Blödsinn ist."
„Ist es nicht. Was macht dich denn nervös?"
Wieso konnten Frauen eigentlich immer so leicht über Gefühle reden? Und wieso war ich nicht einfach der coole Wincent Weiss, sondern ein schüchterner Teenager?
„Sein Frauchen?", riet Stephanie.
„Mhm."
„Habt ihr ein Date?" Es klang nicht so, als würde sie mich aushorchen wollen, sondern eher nach ehrlichem Interesse. Und wer weiß, vielleicht konnte sie mir helfen.
„So etwas Ähnliches", gab ich zu. „Also wir waren schonmal Kaffee trinken. Direkt beim Kennenlernen. Und jetzt wollen wir Fischbrötchen essen und dann einkaufen. Anna kann das nämlich hier in Hamburg nicht alleine."
„Das klingt doch gut."
„Ich freu mich auch drauf, aber... keine Ahnung. Weißt du, seit ich mich von meiner Ex damals getrennt habe, hatte ich dieses Gefühl nie wieder. Schon gar nicht so stark. Das bringt mich voll durcheinander", versuchte ich Stephanie das Chaos in meinem Inneren zu erklären. „Mein bester Freund Johannes meinte, ich soll einfach auf mein Herz hören, aber ich weiß nicht so wirklich."
„Wincent, die Liebe ist komplex. Aber ganz ehrlich: Mach dir nicht so einen Druck. Wenn sie dich mag, was ich glaube, wenn sie dir ihren Hund anvertraut, dann reicht das. Du musst nicht versuchen, jemand anderes zu sein, als du bist."
„Ich hab einfach Angst, ihr zu sagen, wer ich wirklich bin? Sie kennt mich als Wincent. Über meinen Beruf haben wir nie gesprochen. Ich könnte es einfach nicht ertragen, wenn sie sich abwendet, weil ich eben der Wincent Weiss bin. Außerdem habe ich jetzt schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie wegen meinem Job ständig alleine lassen müsste."

Annalena

„Das klingt doch sehr gut", sagte ich, als mein Vater von der Untersuchung zurück kam und mir alles erzählte.
„Ja, morgen darf ich endlich nach Hause." Mein Vater wirkte sichtlich erleichtert.
„Ich soll dir übrigens schöne Grüße von Steffi ausrichten."
„Klappt alles?"
„Ja. Ich schau mir heute Abend für dich das Musical an und morgen verbringen wir dann den Abend zusammen, okay?"
„Deal." Mein Vater nahm meine Hand und klatschte ab. „Ich bin übrigens sehr froh, dass du da bist."
„Ich komme immer, wenn ich kann. Du bist schließlich mein Papa. Und meine Familie."
Ich redete noch eine ganze Weile mit meinem Vater über alles mögliche. Wir kramten einige alte Storys raus, als ich noch bei ihm auf Arbeit rumsprang und ein wenig Chaos stiftete. Es tat einfach so gut, mit meinem Vater zu reden, seine Hand zu spüren und mit ihm zu lachen.
Dennoch verabschiedete ich mich gegen 13 Uhr dann von ihm und schickte Wincent eine Sprachnachricht. Eine Schwester brachte mich zum Haupteingang, wo ich mich auf eine Bank setzte und wartete.
„Anna?", fragte nach einiger Zeit jemand. „Hast du Hunger?"
„Wincent?"
Im nächsten Moment spürte ich zwei Pfoten auf meinen Knien, also konnte es nur Wincent sein.
„Auf jeden Fall", antwortete ich.
„Fritz! Runter!", befahl Wincent und mein Hund gehorchte.
„Wow", entfuhr es mir.
Wincent nahm meine Hand, half mir hoch und führte mich dann zu seinem Auto.
„Die besten Fischbrötchen gibt es...", setzte ich an, als wir im Auo saßen und Wincent den Motor startete.
„... am Hafen."
„Korrekt."
„Ich hab ein bisschen recherchiert", gab er zu.
„Aha? Ich dachte, du warst arbeiten."
„Wozu gibt es Pausen?"
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Du bist unglaublich."
„Wie geht es deinem Vater?"
„Ganz gut. Morgen darf er nach Hause."
„Das klingt doch gut."
„Ja. Ach übrigens haben wir heute Abend noch etwas vor", fiel mir ein.
„Ach ja?"
„Ja. Vorausgesetzt du hast Lust drauf."
„Natürlich hab ich Lust drauf", antwortete er und mein Herz fing unerlaubt wieder schneller an zu schlagen. „Verrätst du mir, was wir machen?"
„Nein. Ist eine Überraschung."
„Okay. Dann stärken wir uns erst einmal", meinte Wincent und stellte den Motor ab.
„Ein hervorragender Plan", stimmte ich zu und kletterte aus dem Auto.
Wincent gab mir Fritz Leine in die eine und nahm meine andere Hand. Hier war echt viel los und außerdem mochte ich das Gefühl von meiner Hand in seiner. Daran konnte ich mich echt gewöhnen. Bei einer Fischbude angekommen, bestellte Wincent unsere Fischbrötchen und wir liefen dann mit dem Essen noch ein Stück, bis Wincent eine freie Bank fand. Dort setzten wir uns dann hin und genossen das Mittagessen.
„Nein, mein Freund. Wir hatten einen anderen Deal", hörte ich Wincent sagen, der vermutlich mit Fritz sprach.
„Habt ihr?", fragte ich erstaunt. Offenbar hatte ich so einiges verpasst, während die zwei alleine unterwegs waren.
„Ja."
„Aha. Da habt ihr schon Geheimnisse zusammen, ja?"
„Hey, nicht beleidigt sein."
„Bin ich nicht", widersprach ich. Eigentlich fand ich es sogar süß, dass die beiden sich so gut verstanden.
Wir blieben noch eine ganze Weile hier am Hafen sitzen und redeten einfach. Das war mit Wincent total einfach.
„Wie spät ist es eigentlich?", fragte ich irgendwann.
„Gleich 15 Uhr", antwortete Wincent.
„Dann sollten wir mal los. Sonst kommen wir nachher zu spät."
„Okay. Dann mal auf zum Einkaufen." Wincent stand auf und nahm wieder meine Hand.
Dann gab er mir Fritz Leine wieder.
„Du kannst ihn ruhig nehmen, wenn du magst", bot ich ihm an. „Solange du mich führst, passiert nichts."
„Ehrlich?" Ich hörte Wincents Strahlen.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now