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Annalena

Meine Hormone spielten komplett verrückt, als ich Wincents Lippen auf meinen spürte. Ich wusste absolut nicht, was ich machen sollte. Noch nie hatte mich jemand geküsst. Doch es war ein gutes Gefühl, zumindest kribbelte mein ganzer Körper. Ich genoss das, was Wincents Kuss in mir auslöste in vollen Zügen.
Das Erklingen von Rockmusik unterbrach den intimen Moment zwischen uns.
„Sorry", murmelte Wincent an meinen Lippen und dann hörte ich ihn aufstehen. „Bro, also der Preis für das beschissenste Timing geht heute ganz klar an dich", hörte ich Wincent noch sagen, bevor die Zimmertür ins Schloss gedrückt wurde.
Ich atmete lange aus und versuchte, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen. Leider erfolglos. Nun brauchte ich die Hilfe einer Expertin. Also stand ich vom Bett auf und suchte in meinem Rucksack nach dem Handy, was ich achtlos hineingeworfen hatte. Als ich es schließlich in den Händen hielt, ließ ich direkt die Nummer wählen.
„Lara, ich brauch deine Hilfe", sagte ich, sobald sie den Anruf entgegengenommen hatte.
„Anna? Was ist passiert?" Sie klang leicht besorgt, was vielleicht daran lag, dass in meiner Stimme ein wenig Panik mitschwang.
„Wincent hat mich geküsst."
Ich hörte Lara auf der anderen Seite der Leitung nach Luft schnappen. „Was?"
„Er hat mich geküsst", wiederholte ich.
„Wow." Lara schien sprachlos zu sein, was mich leider so überhaupt nicht weiter brachte.
„Was mache ich jetzt?", fragte ich.
„Also den allerersten Kuss im Leben von Wincent Weiss zu bekommen, ist echt Wahnsinn."
„Lara!" Ich wusste, dass ich verzweifelt klang, aber das war ich auch. Und maßlos überfordert.
„Was?"
„Was mache ich jetzt?", wiederholte ich langsam.
„Ähm..." Lara überlegte.
„Was machst du normalerweise?"
„Nachdem Wincent Weiss mich geküsst hat?"
„Man Lara, das bringt mich nicht weiter!", erwiderte ich. „Für mich ist das einfach Wincent."
„Ich weiß doch."
„Also, was machst du, wenn du geküsst wurdest?"
„Kommt drauf an", antwortete Lara.
„Worauf?"
„Wie viel Alkohol ich getrunken habe und auf die Situation."
„Okay. Was hast du gemacht, als, du weißt schon wer, dich geküsst hat? Also am Anfang eurer Beziehung."
„Hat er nicht. Ich hab ihn geküsst."
Ich verzweifelte hier noch komplett. Lara war so keine Hilfe.
„Lara, bitte. Du musst mir helfen", flehte ich sie an.
„Anna, ich würde ja gerne, aber ich weiß es wirklich nicht. Ich hab da keinen Masterplan, sondern entscheide das nach Gefühl. Einfach aus dem Bauch heraus. Oder bei dir vielleicht eher aus dem Herzen heraus."

Wincent

„Ich wollte nur fragen, wo du bist", erwiderte Marco. „Hast du vergessen, dass wir verabredet sind?"
„Nein, natürlich nicht. Sag mal, hast du etwas dagegen, wenn wir nur in die Hotelbar gehen?"
„Hab ich etwas verpasst?"
„Erzähl ich dir gleich, okay? Gib mir zwei Minuten", bat ich ihn.
„Okay. In zwei Minuten in der Bar. Ich bestell schon die erste Runde Bier." Ich hörte sein Grinsen.
„Super. Bis gleich."
Ich legte auf und atmete nochmal tief durch. Hoffentlich hatte ich Anna nicht komplett überfordert. Sie hatte mit genug Sachen zu kämpfen.
Gerade wollte ich ins Zimmer zurück gehen, als mir auffiel, dass ich die Karte drin vergessen hatte. Na super. Das war ja mal wieder typisch. Dann also so nach unten. Eigentlich wollte ich noch mit Anna reden, aber das konnte ich auch später oder morgen noch. Ich schickte ihr eine Sprachnachricht und lief währenddessen die Stufen nach unten.
„Da bist du ja", begrüßte mich Marco direkt, als ich zu ihm an den Tisch trat.
Er zog mich in einer kurze, aber herzliche Umarmung.
„Hey", erwiderte ich.
„Hier, dein Bier." Marco schob mir eines der Gläser hin.
Ich setzte mich ihm gegenüber an den Tisch.
„Also, erst einmal auf dich und die Frau, die dein Herz erobert hat", sagte Marco und erhob sein Glas.
„Du hast einen Knall", erwiderte ich nur und stieß mit ihm an.
„Ich will alles wissen." Marco sah mich neugierig an. „Fang am besten hinten an. Wobei hab ich gestört?"
„Ähm..."
„Soll ich raten?"
Ich zuckte nur mit den Schultern, während ich darüber nachdachte, wie ich Marco die aktuelle Situation mit Anna erklären sollte.
„Erde an Wincent."
„Was?"
„Nun rück schon raus mit der Sprache. Oder brauchst du noch mehr Bier, bevor du es mir freiwillig erzählst?"
„Ich hab Anna geküsst", gab ich zu.
Marco entgleisten alle Gesichtszüge. „Du hast WAS?!"
„Anna geküsst."
„Moment. Nochmal für mich zum Mitschreiben..." Marco zückte sein Handy. „Hab den Kalender und den roten Stift gerade nicht bei, also so. Mein bester Freund, der privat der schüchternste Typ überhaupt ist, küsst eine Frau? Von sich aus? Freiwillig?" Er legte eine Hand an meine Stirn. „Geht's dir gut?"
„Ja", antwortete ich ehrlich.
„Okay, okay." Marco atmete tief durch. „Was macht diese Anna nur aus dir?"
„Die bessere Version von mir."
„Das glaube ich so langsam auch. Ich mag sie jetzt schon."
„Das freut mich zu hören."
„Ähm und sag mal, wo ist Anna jetzt?"
„Oben in meinem Zimmer", antwortete ich.
Marco standen die Fragezeichen deutlich ins Gesicht geschrieben.
„Ihr Vater hat Besuch, den Anna nicht wirklich mag und ich nehme sie morgen mit zurück nach Berlin. Deshalb ist sie hier", erklärte ich ihm.
„Achso." Er machte eine kurze Pause. „Aber Wince, du hast schon nochmal mit Anna gesprochen, oder?"
„Wann?"
„Vorhin. Bezüglich des Kusses."
Ich dachte kurz nach. Konnte ich ihm die Wahrheit sagen oder machte er mich dann einen Kopf kürzer?
„Wincent Weiss."
Oh oh. Voller Name war kein gutes Zeichen.
„Ähm..." setzte ich an.
„Das ist nicht dein Ernst!" Marco sah mich geschockt an. „Alter, das wäre deine Chance. Wenn du das nicht mit ihr klärst, wird das nie etwas. Muss man dich jetzt ernsthaft zu deinem Glück zwingen, obwohl du es bis heute alleine geschafft hast?"
Ich dachte gerade über eine passende Antwort nach, als ich ein mir durchaus bekanntes Bellen hörte. Sofort sah ich mich um und entdeckte Fritz, der durch die Bar lief.
Ich stand auf und pfiff nach ihm. Nur wenige Sekunden später stand er vor mir.
„Hey, mein Kleiner", sagte ich und hockte mich vor ihm hin. „Bist du wieder abgehauen? Dabei habe ich dieses Mal doch gar kein Jever."
Doch Fritz hörte nicht auf zu bellen und ich bekam ein ungutes Gefühl.
„Warte. Ist etwas mit Anna?", fragte ich und Fritz bellte noch einmal und tänzelte herum.
Ich drehte mich kurz zu Marco um. „Bin gleich wieder da", verkündete ich und lief dann aus der Bar und direkt zu den Treppen.
Fritz folgte mir dicht auf den Fersen. Stufe für Stufe sprintete ich nach oben und kam etwas außer Atem an. Ich musste dringend wieder mehr Sport machen.
Die Tür zu meinem Hotelzimmer stand offen und so konnte ich direkt rein. Vermutlich hatte Fritz sie geöffnet, als er zu mir kam.
Ich betrat den Raum und sah mich suchend um, doch Anna war nicht da. Das konnte doch wohl nicht wahr sein.
Fritz lief in Richtung Badezimmer und ich folgte ihm. Mein ungutes Gefühl stieg und ich bekam ein leichtes Déjà-vu.
„Martha, verschwinde! Ich brauche dich nicht! Lass mich in Ruhe!", hörte ich Anna verzweifelt murmeln, als ich die Badtür vorsichtig öffnete.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now