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Wincent

„Ach, da bist du ja endlich", begrüßte mich Kai, als ich fünfzehn Minuten zu spät am Set ankam.
„Sorry, aber Hund und Frauchen trennen, war etwas komplizierter", entschuldigte ich mich.
„Frauchen? Soso."
Fuck ey! Wie kam ich denn aus der Nummer wieder raus?
„Kai, bitte! Sie ist eine Freundin und ich passe auf Fritz auf, während sie bei ihrem Vater ist."
„Muss ich nicht verstehen, oder?"
„Nein. Ich kann dir das nachher in der Pause erklären."
„Gute Idee. Dann mal ab in die Maske, da steht auch schon Kaffee für dich und um Fritz kümmere ich mich solange."
„Mhm, keine gute Idee. Nichts gegen dich, aber er mag keine Männer. Also mit Ausnahme von mir und ihrem Vater offenbar. Frag nicht, ich versteh es auch nicht."
„Ich kann das übernehmen bis Wincent fertig ist", bot Stephanie an, die mit mir im Rateteam war.
„Gerne. Ich bin schnell wieder zurück", sagte ich und drückte ihr die Leckerlis und Fritz Leine in die Hand.
Ich hockte mich nochmal vor den Hund. „Hey, du musst jetzt ganz lieb sein, hörst du? Deinem Frauchen geht es gut und ich bin gleich wieder da. Solange passen die hier gut auf dich auf, okay? Mach keinen Ärger, sonst lässt dein Frauchen uns beide nicht mehr alleine los", schärfte ich Fritz ein. „Wir kaufen nachher auf Jever, versprochen."
Ich wuschelte ihm nochmal durchs Fell, er bellte leise und dann sprintete ich zur Maske. Hoffentlich verzögerte sich die Sendung nicht allzu sehr. Das würde meinen Nachmittag ziemlich aus dem Konzept bringen.
„Wincent! Hättest du mich nicht vorwarnen können?", schalt mich die Stylistin, als ich in der Maske auftauchte.
„Wieso denn?", fragte ich verwirrt, nahm die Kaffeetasse und ließ mich auf den Stuhl fallen.
„Die Hundehaare."
„Sorry", murmelte ich.
„Sarah, wir brauchen noch eine weitere Fusselrolle. Fix", wies sie ihre Kollegin an und begann dann mit meinem Make-up.

Annalena

„Ja, Papa. Ist er." Es war nicht gelogen, verriet aber auch nicht viel mehr.
„Gut. Passt Steffi wieder auf?"
„Nein, die muss arbeiten. Heute Abend ist Show."
„Ach ja, stimmt. Oh man, das erste Mal ohne mich." Mein Vater klang wirklich traurig
Ich wusste, wie sehr er für seinen Job lebte. Urlaub hatte er natürlich auch mal, aber eigentlich immer, wenn keine Shows waren. Für ihn war das so unfassbar wichtig.
„Hey, die schaffen das. Aber ich verstehe, wie es dir geht."
„Gehst du für mich hin?", fragte er mich.
Verdammt! Nächste Zwickmühle.
„Morgen, okay?"
„Da kann ich doch schon wieder raus. Bitte geh heute, Schatz."
Ich rang mit mir. Sollte ich ihm sagen, dass ich ein Date hatte? Und wie würde er reagieren? Aber eigentlich konnte ich ihm diesen Wunsch auch nicht abschlagen. Okay, dann musste ich meine Pläne ändern. Hoffentlich war Steffi so spontan.
„Okay, ich mach es heute. Versprochen."
„Du bist die beste Tochter der Welt." Mein Vater nahm meine Hand und drückte einen Kuss drauf.
Die Tür ging auf und Schritte näherten sich.
„Hallo, Herr Bergmann. Ich würde sie zu der Kontrollaufnahme mitnehmen", sagte eine weibliche Stimme. Vermutlich eine Krankenschwester.
„Kein Problem, Papa. Ich klär solange mit Steffi alles für heute Abend. Ich warte hier."
„Okay", meinte mein Vater und ließ meine Hand los. „Und du langweilst dich nicht?"
„Nein, Papa. Mach dir keinen Kopf."
Die Schritte kamen noch näher und dann hörte ich die Bettdecke rascheln. Ich nahm bereits mein Handy heraus und hörte nur noch ein „Bis später" von meinem Vater. Dann schloss sich die Tür und ich war alleine.
„Ruf Steffi an", befahl ich meinem Handy.
„Steffi wird angerufen."
Es klingelte eine Weile.
„Anna?"
„Moin Steffi. Ich hoffe, ich störe nicht."
„Nein, hab Pause", beruhigte sie mich. „Was gibt es denn?"
„Ja, also. Hast du heute Abend noch zwei Plätze? Vielleicht oben irgendwo?"
„Du willst kommen?", fragte sie überrascht.
„Ja. Mein Vater wünscht sich das und ich wollte mir das eh nochmal anhören. Wenn ich schonmal länger hier bin, ist das doch Pflicht. Dort ist ja quasi mein Zuhause."
„Ich freu mich richtig, dass du kommen willst. Und du bringst jemanden mit?"
„Ja, aber sag Papa bitte nichts. Er soll das noch nicht wissen", bat ich sie.
„Meine Lippen sind versiegelt", versprach Steffi.
„Und keine Fragen stellen."
„Ich bin weder deine Mutter noch Stiefmutter, das steht mir gar nicht zu. Wenn du es mir irgendwann erzählen willst, wirst du das schon alleine tun."
„Danke."
„Nicht dafür. Ach, wenn du schon früher Zeit hast, komm doch gerne vorbei. Mal sehen, wie gut du dich noch auskennst. Du musst mich nur anrufen, dann hol ich dich am Haupteingang ab."
„Das wäre traumhaft. Ich meld mich, wenn wir da sind, okay? Immerhin muss ich vorher noch einkaufen gehen. Aber das passt schon."
„Dann freu ich mich auf später."
„Ich mich auch. Toi toi toi für die Proben."
„Bis nachher, Anna. Und liebe Grüße an deinen Vater."
„Richte ich aus, versprochen. Bis nachher dann."
Das Telefonat war zu Ende und ich ließ meine Nachrichten checken. Aber nichts. Gut, Wincent war im Fernsehstudio und wahrscheinlich keine Zeit fürs Handy und Lara war arbeiten. Hoffentlich benahm Fritz sich und sorgte nicht für Chaos. Eigentlich war er ja gut erzogen, aber er war noch nie so lange ohne mich unterwegs. Ja, er mochte Wincent, aber der musste ja arbeiten. Da konnte er nicht die ganze Zeit meinen Hund verwöhnen.

Wincent

Es fiel mir heute echt schwer, mich auf die Show zu konzentrieren. Die Folge würde definitiv nicht meine beste werden, aber egal. Immer wieder drifteten meine Gedanken zu Anna ab oder zu Fritz. Zum Glück konnte ich ihm immer wieder unauffällig einen Blick zuwerfen, denn er lag direkt hinter den Gästen. In der allerletzten Reihe im Publikum hatte er es sich bequem gemacht und eine Praktikantin wurde als sein Babysitter abkommandiert. Vermutlich hatte sie heute ihren entspanntesten Arbeitstag hier.
In der Pause schnappte ich mir direkt Fritz und ging nach draußen. Kai folgte mir, aber da er dem Hund keinerlei Beachtung schenkte, störte Fritz seine Anwesenheit nicht.
„So und du bist jetzt also Hundesitter für Hunde von tollen Frauen, ja?", fragt Kai.
„Nicht ganz", antwortete ich. „Das ist reiner Zufall. Eigentlich wohnt sie in Berlin, aber ihr Vater liegt hier im Krankenhaus. Deshalb ist sie in Hamburg. Allerdings sind Kliniken und Hunde nicht wirklich kompatibel."
„Und da bist du einfach eingesprungen", beendete Kai meine Ausführungen.
„So ungefähr. Ich hatte halt drüber nachgedacht ihn heute Vormittag zu nehmen, aber mit dem Job ist das schwierig. Naja, und dann hab ich einfach dich mal gefragt und bei der Produktion."
„Und er ist Therapiehund?"
„Blindenbegleithund", erklärte ich.
„Dessen Frauchen du datest."

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now