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Wincent

„Wieso?" Fragend sah ich meine kleine Schwester an.
„Na ja, für mich sieht das eher aus, als würdest du das am liebsten haben wollen und tarnst es nur als Geschenk für Anna."
„Ey, was unterstellst du mir denn? Das ist wirklich nicht für mich", verteidigte ich meine Idee.
„Okay, okay. Ich will mich nicht mit dir streiten. Es war nur ein Gedanke."
„Vertrau mir Schwesterchen, ich weiß, was ich tue", beruhigte ich Shay.
„Dann ist ja gut. Viel Erfolg. Ich geh jetzt mit deiner Freundin spielen."
„Mach das. Viel Spaß. Aber in einer halben Stunde wollen wir los."
Da meine Freundin gut versorgt war, nutzte ich die Zeit und ärgerte noch ein wenig meine Jungs. Immerhin war das unser vorletztes Konzert in dieser Konstellation für dieses Jahr und das nächste. Wobei ich schon immer mal mit dem Gedanken spielte, nächsten Sommer doch wieder live zu spielen. Es war einfach zu geil, das hatten die Konzerte bisher mehr als bewiesen. Die Verabschiedung von Ann fiel Shay ziemlich schwer, das sah ich ihr an. Aber mit dem Versprechen, dass wir uns vor Weihnachten nochmal sehen würden, ließ sie uns dann irgendwann doch gehen. Die Autofahrt war sehr ruhig und da kaum jemand unterwegs war, kamen wir gut durch. Glücklich, aber dennoch ein wenig kaputt, fiel ich schließlich in Berlin ins Bett.
Während der Woche ging Anna ganz normal zur Arbeit, während ich mit Philipp im Studio an einem neuen Song fürs Weihnachtsalbum bastelte. Da ich einmal in Berlin war, nahm ich direkt noch einige Meetings mit meiner Managerin wahr. Die kamen meistens eh viel zu kurz, wenn ich so viel unterwegs war. Am Mittwoch hatte Anna nochmal Therapie, sodass ich mir den Nachmittag ein wenig frei nahm. Die Stunden waren zurzeit sehr nervenaufreibend, weshalb ich mir überlegt hatte, Anna ein wenig abzulenken. So entführte ich sie erst zum Mittagessen in ein asiatisches Restaurant und anschließend fuhren wir eine Stunde mit dem Auto nach Potsdam raus. Der Sacrower See war um diese Tageszeit zum Glück nicht so voll und Anna, Fritz und ich nutzten diese kleine Auszeit zum Entspannen. Am Donnerstag musste ich mich dann von den beiden verabschieden, denn es ging nach Hockenheim. Morgen durfte ich auf dem Glücksgefühle-Festival auftreten und da freute ich mich echt drauf. Festival war halt nochmal anders als normale Sommershow. Den Offday verbrachte ich dann ausnahmsweise nicht mit meiner Freundin, sondern gönnte mir mit Mats mal einen schönen Tag Pause im Spa-Bereich des Hotels. Natürlich setzten wir uns dann auch zusammen und gingen die Fotos und Videos durch, um herauszusuchen, was ich posten konnte. Dabei fiel mir auch wieder ein, dass morgen einfach das allerletzte Konzert war. Krass, wie schnell der Sommer vorüber ging. Meinetwegen könnten noch zwanzig Shows kommen. Wobei ich mich schon auch darauf freute, mal wieder länger an einem Ort sein zu können. Einerseits standen noch die letzten Dreharbeiten für ‚Kaum zu glauben' an und das Album musste im Studio in Berlin auch noch finalisiert werden.

Annalena

„Anna! Komm jetzt!", rief Lara und klapperte mit ihrem Autoschlüssel.
„Entspann dich doch mal", sagte ich und packte meine Tasche weiter.
„Nein. Heute spielt Sophia Vorband und da will ich ganz vorne stehen."
„Ist ja gut. Meinetwegen können wir."
„Na endlich." Lara schien sich sehr zu freuen. „Komm Fritz! Ausflug."
Mein Hund kam sofort und zappelte beim Versuch ihn anzuleinen ziemlich herum. Ich war noch immer skeptisch, ihn mitzunehmen, denn Konzerte waren eigentlich zu laut für ihn. Wincent wusste bisher nicht, dass ich da sein würde, sonst hätte er bestimmt wieder eine Lösung aus dem Hut gezaubert. Doch heute musste ich das irgendwie alleine hinbekommen. Eigentlich wollte ich heute einfach nur auf der Couch liegen, aber Lara hatte mich heute Morgen aus dem Bett geklingelt und mich mit den Konzertkarten überrascht. Sie hatte die wohl schon länger, aber die ganze Zeit überlegt, wie sie mich dazu bekam, mitzukommen. Dass sie einfach nur fragen musste, kam ihr wohl nicht in den Sinn.
Auf der Fahrt nach Heidenheim ließ Lara die Songs von Sophia auf Dauerschleife laufen, denn die Setlist von Wincent konnten wir ja bereits auswendig. Mit dem gefühlt hundertsten Mal ‚Rettungsmission' kamen wir dann endlich an. Marie und Hannah, die wir bereits beim letzten Tourabschluss kennengelernt hatten, waren auch schon da und begrüßten uns sehr herzlich.
„Seid ihr jetzt die Tourabschluss-Crew?", fragte ich.
„Wir und ja. Irgendwie schon", sagte Lara lachend.
„Das sind einfach nochmal ganz besondere Konzerte", erklärte mir Hannah.
„Achso. Gut zu wissen", meinte ich.
„Wie sehr freut ihr euch auf Sophia?", warf Marie ein.
Ich nutzte die Chance und verschwand mit Fritz, denn bei dem Gespräch jetzt konnte ich eh nur zuhören, denn fürs Mitreden hatte ich zu wenig Ahnung. Da lief ich lieber mit meinem Hund noch eine kleine Runde und grübelte, wie er das Konzert ohne Quälerei überstehen konnte.
„Anna, was für eine Überraschung", sprach mich nach zehn Minuten jemand an. „Wince hat gar nicht erzählt, dass du da bist und auch noch Verstärkung dabei hast."
„Ähm, ja. Er weiß das auch nicht", gab ich zu. „Meine beste Freundin hat mich mit den Karten überrascht."
„Und wen hast du noch dabei?" Jetzt endlich konnte ich die Stimme zuordnen. Amelie stand vor mir.
„Das ist Fritz", stellte ich meinen Hund vor.
„Darf ich?", fragte sie und ich nickte.

Wincent

„Wince? Hast du Amelie gesehen?", fragte mich Stefan.
„Nö. Aber sie springt hier bestimmt irgendwo herum. Vielleicht vorne bei den Fans?", schlug ich ihm vor.
„Da war ich schon", antwortete Stefan.
„Mhm. Dann könnte ich mir noch vorstellen, dass..." Etwas sprang an mir hoch und forderte meine Aufmerksamkeit, bevor ich den Satz beenden konnte.
„Fritz! Was machst du denn hier?", fragte ich überrascht und kraulte ihn.
„Der wollte mal sehen, ob du deinen Job richtig machst", beantwortete Amelie meine Frage.
„Stefan, Amelie ist hier!", rief ich und sah, wie er wieder zurückkam.
„Wo hast du ihn denn her? Ist Anna auch hier?", fragte ich Amelie.
„Hab mich als Hundesitter angeboten und ja."
„Fritz, alter Freund", kam Mats zu unserer Runde dazu.
Der Hund genoss die Aufmerksamkeit natürlich und ließ sich von Mats kraulen.
„Ich seh schon, ich hätte ihn verstecken sollen", kommentierte Amelie. „So könnt ihr euch ja nicht konzentrieren."
„Doch", behaupteten Mats und ich gleichzeitig.

Bin ich für sie blind? Onde histórias criam vida. Descubra agora