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Annalena

„Hey, beste Freundin. Wieder zurück in Berlin City?", fragte Lara mich.
„Ja. Bin seit gestern wieder hier. Muss ja Montag wieder arbeiten."
„Endlich." Lara klang erleichtert. „Also, es war vollkommen richtig, dass du bisher nicht da warst. Doch ich hab dich im Laden echt vermisst. Arbeit macht dann nur halb so viel Spaß."
„Du hast mich in zwei Tagen wieder an der Backe, keine Sorge."
„Ich glaube, das überlebe ich ganz knapp."
„Aber ich vielleicht nicht", scherzte ich.
„Hey, hey, hey."
Ich wusste, dass Lara den Witz ganz genau verstanden hatte.
„Du hast jetzt Wochen mit Wincent verbracht..."
„Und Mats", ergänzte ich.
„Ja, gut. Auf jeden Fall kann ich dir sagen, dass die nächste Woche definitiv weniger aufregend wird. Gut, du könntest vor Langeweile sterben, aber dafür hast du ja mich."
„Damit du mich umbringen kannst?"
„Nein! Damit du eben nicht stirbst."
„Achso."
„Sag mal, was hälst du davon, wenn wir einkaufen gehen und uns heute einen schönen Abend machen? Das haben wir schon eine ganze Weile nicht gemacht und ich bin mir sehr sicher, dass du einiges zu erzählen hast."
„Auf jeden Fall habe ich gefühlte hundert Fragen an dich", gab ich zu.
„Das werte ich mal als ja. Sagen wir, ich hole dich in zwanzig Minuten ab?"
„Okay. Bis gleich."
„Bis dann."
Ich legte das Handy zur Seite und schaltete das Hörspiel aus. Das letzte Kapitel ging nämlich länger als zwanzig Minuten.
„Also doch kein fauler Tag", wandte ich mich an meinen Hund. „Aber einkaufen ist sicherlich eine sehr gute Idee."
Als es an der Tür klingelte und ich mir sicher war, dass es sich um Lara handelte, nahm ich meine Tasche und verließ mit Fritz die Wohnung.
Unten angekommen, nahm meine beste Freundin mich direkt in den Arm.
„Schön, dass du wieder da bist", sagte sie.
„Ich hab dich auch vermisst."
„Lüg nicht." Ich hörte ihr Grinsen.
„Doch, hab ich. Also ein kleines bisschen bestimmt."
„Jaja. Aber gut. Wenn du mit Wincent unterwegs bist, ist es schon okay, dass du mich vergisst."
„Als ob man dich vergessen könnte", konterte ich und stupste Lara in die Seite. „Wollen wir dann los?"
„Ja. Auf geht's. Einmal einsteigen bitte."
„Wie viel willst du kaufen, dass wir Auto fahren?", fragte ich, als wir beide angeschnallt und Fritz ebenfalls im Fahrzeug war.
„Genug, damit wir es uns so richtig gut lassen können. Und dass du die Woche über nicht verhungerst."
Dass die Gefahr auch mit gefüllten Kühlschrank bestand, konnte ich Lara nicht sagen. Ich wollte sie da auch gar nicht erst mit reinziehen. Also ließ ich mich ein wenig von ihrem Enthusiasmus anstecken. Einkaufen mit Lara machte durchaus ziemlich Spaß. Da wir den Laden beide quasi in-und auswendig kannten, spielten wir uns gerne Streiche. Jeder zog los, um eine andere Sache zu kaufen und dann versuchten wir uns gegenseitig zu erschrecken. Durch Fritz hatte ich fast genauso gute Chancen wie Lara, die ja manchmal sehen konnte, wenn ich kam. Diesen Part übernahm einfach mein Hund, der mich rechtzeitig warnte, wenn er Lara erblickte. Am Ende landeten auch meistens mehr Sachen im Wagen, als wir brauchten, aber das war okay. Durch unser ganzes Herumalbern brauchten wir immer mindestens eine Stunde, selbst wenn wir nur ganz wenig Sachen kaufen wollten. Heute standen wir anderthalb Stunden später wieder auf dem Parkplatz und luden den Einkauf in Laras Auto.
Bei mir angekommen, schleppten wir alles nach oben, wobei Lara dann nochmal nach unten ging, während ich die ersten Sachen wegräumte.
„Das war alles", schnaufte Lara, als sie wieder in der Küche stand. „Jetzt brauch ich eine Pause."
„Mach es dir auf der Couch bequem. Ich schaff das hier auch alleine."
„Du bist ein Schatz."
„Aber Lara, wie wäre es mal mit Sport?", neckte ich meine beste Freundin.
Sie hasste es und das wusste ich ganz genau. Sport war einfach nicht ihr Ding.
„Seh ich etwa aus wie Wincent oder Mats? Mich bekommen keine zehn Pferde ins Gym und schon gar nicht freiwillig. Ich bin doch nicht lebensmüde."
„Also würdest du niemals ins Fitnessstudio gehen?", hakte ich interessiert nach.
„Nein."
„Nicht einmal, wenn du da jemanden treffen könntest?"
Sie zögerte. „Kommt drauf an."
„Worauf? Wer es ist oder wer dich fragt?"
„Beides."
„Dann nehmen wir mal an, Mats würde dich fragen."
„Niemals."
„Was?"
„Der würde mich erstens nie fragen und zweitens will ich mich doch nicht blamieren."
„Aber einen Kaffee würdest du schon mit ihm trinken, oder?"
„Anna, was wird das hier? Ein Verhör?" Lara klang ziemlich skeptisch.
„Darf ich nicht fragen?", wollte ich wissen.
„Warum? Weißt du etwas, was ich nicht weiß?"
„Lara, ich bin zwar blind, aber nicht blöd", tadelte ich sie. „Ich hab das am Bahnhof schon gemerkt. Und außerdem hast du Mats geschrieben statt Wincent, obwohl der eigentlich gar nichts damit zu tun hat. Ihr habt aber ganz sicher nicht nur darüber geschrieben. Die Lüge glaub ich dir nicht."
„Haben wir auch nicht", gab meine beste Freundin nach.
„Ich wusste es."
„Hey hey hey. Freu dich nicht zu früh, ja? Wir haben nur geschrieben. Mehr nicht."
Das werden wir ja noch sehen. Ich musste nachher mal mit Wincent reden. Vielleicht gab es da eine Möglichkeit.
„Komm, wir drehen den Spieß jetzt mal um. Nimm Platz." Lara klopfte auf das Polster der Couch.
Ergeben ging ich zu ihr und setzte mich.
„Du meintest, dass du ganz viele Fragen hast. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dabei um Mats ging. Also, wie kann ich helfen? Oder anders gefragt. Wie war die Woche mit Wincent?"
Ich begann zu erzählen, wurde allerdings immer müder. Das ging mir gestern ja auch so. Angestrengt versuchte ich Laras Kommentaren zu folgen, aber irgendwann konnte ich nicht mehr. Das letzte, was ich hörte, war ihre Ausführung darüber, ob ich mit Wincent in Österreich Urlaub machen sollte.
Als ich wieder wach wurde, war Lara verschwunden, aber ich hatte eine Decke bekommen. Sie war einfach eine tolle Freundin. Hoffentlich war sie nicht böse, dass ich einfach eingeschlafen war, aber vermutlich nahm sie mir das nicht übel.
Ich checkte mein Handy, eigentlich um herumzufinden, wie spät es war. Lara hatte mir eine Nachricht geschickt.
„Hey du Schlafmütze. So langweilig war ich gar nicht, oder? Auf jeden Fall hoffe ich, dass du jetzt genug geschlafen hast. Den Mädelsabend holen wir dann einfach nach. Abgemacht?"
Ich antwortete ihr kurz und legte mich dann wieder hin. Heute würde ich wirklich mal gar nichts machen. Also außer mich um Fritz kümmern natürlich, aber der konnte noch eine Stunde warten. Ich stellte mir also einen Wecker und war im nächsten Moment wieder eingeschlafen.
Danach war ich noch müder als vorher, doch es half ja nichts. Ich zog mich an und drehte dann mit Fritz die normale Runde durch den Park. Er bekam anschließend Futter und dann kuschelten wir uns einfach auf die Couch. Ich hatte so gar keine Lust auf gar nichts und so herrschte Stille. Nur das gleichmäßige Atmen meines Hundes erklang in der Wohnung. Sonst nichts. Keine Musik, kein Hörspiel, kein Podcast, nichts.
So verging der ganze Tag und außer eins, zwei Nachrichten von Wincent, auf die ich direkt antwortete, passierte nichts weiter.
Am Montag schaffte ich es, mich pünktlich aufzuraffen und so war ich um halb acht fertig. Ich war angezogen, Fritz komplett versorgt und meine Sachen für die Arbeit gepackt. So machte ich mich auf den Weg. Lara war schon da, als ich am Laden ankam. Sie brachte mich auf den Stand, was sich in meiner Abwesenheit geändert hatte und was heute auf dem Plan stand. Ich konnte ihren Ausführungen mal wieder nur halb folgen, doch ließ mir das nicht anmerken. Vermutlich musste ich mich einfach nur wieder daran gewöhnen, zu arbeiten.
Die Frühstückspause ließ ich ausfallen, denn Hunger hatte ich nicht. Lara gegenüber sagte ich das auch, die daraus schloss, dass ich Zuhause bereits gegessen hatte. Ich korrigierte sie nicht, denn dann würde sie mich damit nerven. So brachte sie nur einen Kaffee für mich mit.
Die Stunder vergingen und da ich meistens alleine hinten arbeitete, während Lara sich vorne um die Kundschaft kümmerte, fiel meine nicht vorhandene Konzentration gar nicht auf.
„Guten Tag. Ein Paket für Anna Bergmann."
„Anna! Post für dich!", rief Lara, obwohl ich den Paketboten durchaus gehört hatte.
Ich war wieder einmal erfreut, wie gut das klappte. Wenn ich nicht Zuhause war, bekam ich Pakete immer in den Laden geliefert. Das hatte meine Chefin kurz nach meinem Beginn hier, bereits genehmigt. Genau wie Fritz Anwesenheit. Doch wieso bekam ich denn Post? Ich hatte doch gar nichts bestellt.
Ich ging nach vorne zu Lara.
„Oh mein Gott. Anna, bitte mach es auf. Sofort."
„Beruhig dich mal. Was ist denn?"

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt