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Wincent

„Ja?", fragte ich ins Handy.
„Guten Morgen, Wincent. Anna hier. Sorry für die frühe Störung."
„Ist schon okay", log ich.
„Du bist noch in Hamburg, oder?"
„Ja."
„Pass auf..." Anna machte eine Pause. „Ich hab hier eine spontane Anfrage bekommen."
„Wofür?", hakte ich nach, obwohl ich heute eigentlich ganz andere Pläne hatte.
„Die haben da irgendein Rennen mit Autos, glaube ich. Keine Ahnung, so genau haben die das nicht erzählt."
„Und was soll ich da?"
„Sie wollen dich für eine Talks und Q&A haben."
„Wie kommen sie denn darauf? Ich bin alles, aber kein Experte", erwiderte ich verwirrt.
„Wincent, alle wissen, dass du Autos liebst. Und du bist nun einmal prominent. Das zieht Leute an", versuchte mir meine Managerin zu erklären.
„Anna."
Anna neben mir zuckte kurz zusammen. Schon kompliziert mit den beiden wichtigsten Frauen in meinem Leben. Ohne meine Managerin würde ich sehr wenig auf die Kette bekommen. Und ohne Anna hätte ich meine Träume und den Glauben an die wahre Liebe einfach begraben können. Wieso hatten die beiden denn ausgerechnet den gleichen Namen? Das konnte ja nur für Verwirrung sorgen.
„Anna, ich ziehe vielleicht meine nordischen Fans an. Die kaufen doch aber kein Auto, geschweige denn haben Ahnung davon."
„Ich interpretiere das mal als nein. Hättest du das nicht einfach sagen können?"
„Hättest du mich nicht auf'm frühen Morgen wegen einer vernünftigen Anfrage stören können?", stellte ich eine Gegenfrage.
Das klang sehr gemein. Dabei konnte Anna ja nicht wissen, dass ich nicht alleine war.
„Sorry", murmelte ich noch schnell.
„Schon okay. Ich weiß ja, du bist kein Morgenmensch. Und was die Anfrage betrifft. Ich bin nur meiner Pflicht als deine Managerin nachgekommen. Die Entscheidung liegt bei dir. Hätte ja sein können, dass du Lust hast." Anna klang zum Glück wirklich nicht sauer.
„Sonst gerne, aber nicht heute."
„Das ist doch ein Wort. Dann geb ich das weiter und wir sehen uns übermorgen im Büro."
„Ja. Bis dann."
„Ciao, Wincent. Genieß das Wochenende."
„Danke, du auch."
„Sorry", wandte ich mich an die Anna, mit der ich hier im Hotelzimmer saß.
„Du hast nie frei, oder?"
„Doch, eigentlich schon. Aber manchmal kommen ganz spontane Anfragen."
„So wie heute."
„Ja, aber nicht alle nehme ich an. Ich hab da auch so meine Prioritäten. Alles kann und will ich gar nicht machen."
„Und was sind deine Prioritäten?"
Ich wusste nicht, ob Anna sich nur auf den Job bezog, aber ich wollte absolut ehrlich zu ihr sein. Immerhin war sie nicht sauer, weil meine Arbeit den schönen Morgen unterbrochen hatte. Und das auch noch an einem Samstag, wo viele Menschen eigentlich frei hatten.
„Auf jeden Fall verschiebe ich niemals private Termine, wenn es nicht unbedingt notwendig ist", antwortete ich und das bezog sich vor allem auf den heutigen Tag. Aber auch perspektivisch wollte ich es genau so.
„Okay. Und heute war es nicht notwendig?"

Annalena

„Auf keinen Fall", antwortete Wincent so energisch, dass ich lächeln musste.
„Meinetwegen hättest du aber nicht verzichten müssen", sagte ich dennoch.
Er schwieg kurz. „Das ist gut zu wissen, aber ich habe es auch aus anderen Gründen abgesagt."
„Okay."
„So, Themenwechsel. Wollen wir noch etwas in Hamburg machen oder willst du wieder nach Berlin?"
„Können wir noch einmal ans Wasser?", fragte ich hoffnungsvoll, denn ich liebte es, dort zu sein. Und wer wusste schon, wann ich wieder die Chance dazu hatte.
„Nur an die Elbe oder richtig ans Meer?"
„Wie richtig ans Meer?"
„Naja, die Ostsee ist nicht so weit. In anderthalb Stunden wären wir in Eckernförde. Ist ein schöner Ort, direkt am Meer", erzählte Wincent mir.
„Ostsee klingt traumhaft", gab ich zu.
„Dann fahren wir dort hin."
„Ernsthaft?"
„Ja. Wenn du das machen willst, dann machen wir das."
„Aber ist das nicht die falsche Richtung?"
„Und? Dann brauchen wir nachher halt etwas länger nach Berlin. Ist doch nicht schlimm. Außerdem ist der Tag noch lang genug", wischte Wincent meine Bedenken zur Seite.
„Okay. Dann fahren wir an die Ostsee."
„Super." Wincent klang wirklich begeistert.
In Ruhe packten wir unsere Sachen zusammen. Oder versuchten es zumindest.
„Fritz! Hör auf jetzt! Wir spielen nachher, okay?", hörte ich Wincent lachend sagen.
Doch mein Hund wollte ganz offensichtlich nicht warten. Er wollte jetzt mit Wincent spielen.
„Hey Kumpel, später. Da gibt es Sand und Wasser und wir toben ganz viel. Versprochen."
Fritz bellte. Und er hatte Wincent definitiv im Griff, denn er versuchte noch einige Male, meinen Hund zu beruhigen.
Eigentlich war es ziemlich lustig, wie die beiden mehr oder weniger diskutierten, aber andererseits würden wir so nicht zeitnah los kommen.
„Fritz! Decke!", befahl ich also.
Er winselte kurz und dann hörte ich, wie er durch den Raum lief und sich hinlegte.
„Wow", kam er anerkennend von Wincent.
„Wenn du einen Hund hast, musst du konsequent sein können."
„Bei dem süßen Blick? Keine Chance."
„Dann lernst du das jetzt. Sonst kann ich euch zwei ja nie alleine lassen."
„Klar kannst du", widersprach Wincent.
„Na dann hast du heute die Verantwortung für ihn. Ich mische mich gar nicht ein", forderte ich ihn heraus.
„Ehrlich? Das ist dein Hund."
„Ja, wirklich. Du bist ja dabei. Außerdem werde ich mich nachher einfach an den Strand legen. Da könnt ihr euch in Ruhe auspowern."
„Okay." Winent klang noch nicht ganz überzeugt, aber beließ es dabei.

Wincent

Als wir endlich alle Sachen gepackt hatten, nahm ich Fritz Leine. Sofort sprang er auf, tanzte um mich herum und wedelte mit dem Schwanz.
„Beruhig dich", sagte ich lachend. „Wir nehmen dich schon mit."
Ich leinte ihn schnell an, setzte meinen Rucksack auf und checkte nochmal mit einem letzten Blick, ob wir alles hatten. Anna war schon auf dem Flur und so zog ich dann die Tür zu, bevor ich ihre Hand nahm. Gemeinsam gingen wir nach unten.
„Wartest du kurz hier?", fragte ich, als wir in der Lobby ankamen. „Ich check schnell aus. Du kannst mit Fritz ja hier bleiben."
„Okay", erwiderte Anna und ich gab ihr Fritz Leine.
Er sah mich leicht beleidigt an.
„Bin gleich wieder da", sagte ich und streichelte ihm kurz über den Kopf.
Dann ging ich zur Rezeption und checkte aus. Irgendwie stimmte es mich ein wenig traurig, dass ich hier im Norden immer nur in Hotels war. Ich wollte endlich wieder richtig Zuhause sein und ankommen. Vielleicht sollte ich mal über eine Wohnung im Norden nachdenken. Nach der Tour hatte ich ja Zeit.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt