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Wincent

Wir schrieben noch eine ganze Weile hin und her. Ich klappte nur irgendwann den Laptop zu, räumte ihn weg und machte es mir auf dem Bett bequem.
Wo Anna wohl gerade war? Lag sie auch im Bett? Durfte Fritz auch mit hoch? Oder lümmelte sie vielleicht auf einem Sofa? Stellte sie sich bei mir die gleichen Fragen?
Nach einer weiteren Stunde kam keine Antwort mehr und ich beschloss es als Zeichen zu werten, schlafen zu gehen. Vor einer halben Stunde wäre ich schon fast eingenickt, aber der Nachrichtenton meines Handys hatte mich wieder wach gemacht. Da aber Anna vermutlich nicht mehr schreiben würde, hängte ich mein Telefon an den Strom und machte mich fertig. Dann kuschelte ich mich unter die Decke und zum ersten Mal schlief ich wieder mit einem guten Gefühl ein.
Viel zu früh klingelte mein Wecker, aber als ich mich erinnerte, dass ich nachher Anna treffen würde, war ich wach. Ich stand auf, duschte fix und zog mich dann an. Mit AirPods in den Ohren, dem Handy und der Schlüsselkarte in der Tasche ging ich zum Frühstück. Unten angekommen scrollte ich nochmal durch Spotify, wenn die Metalklänge von meiner Roadtrip-Playlist waren doch etwas hart für den frühen Morgen. Ich fand passende Musik und ging mir dann erst einmal einen Kaffee und ordentliches Frühstück holen. Als ich an meinem Platz saß und eine neue Nachricht von Anna auf meinem Display aufleuchtete, bekam ich sofort gute Laune. So fing der Tag doch mal gut an.
„Guten Morgen. Sorry, ich bin gestern einfach eingeschlafen und hab festgestellt, dass Betten durchaus bequemer sind als Sofas. Naja, Fritz fand es super. Ich werde mal nach meinem Vater sehen. Ich wünsche dir einen schönen Vormittag und freue mich auf nachher."
Am liebsten hätte ich ihr direkt geantwortet, aber ich war nicht alleine hier beim Frühstück. Ich würde mich bei ihr melden, wenn ich im Auto war. Jetzt startete ich erst einmal wieder die Musik, zumindest solange, bis eine eingehende Nachricht sie kurzzeitig unterbrach. Sofort legte ich das Brötchen weg und nahm mein Handy zur Hand.
‚Anna hat dir ein Video geschickt' stand da auf meinem Display und mir wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen. Anna schickte mir ein Video? Womit hatte ich das denn verdient? Was hatte ich verpasst?
Mit wild klopfendem Herzen öffnete ich den Chat, atmete noch einmal tief durch und klickte dann auf das Video. Der Anblick ließ mein Herz dahinschmelzen. Fritz sprang offensichtlich im Wohnzimmer von Annas Vater herum, jagte seinen Schwanz, sprang hoch, kam ganz nah an die Kamera und bellte fröhlich. Was hatte Anna dem denn zum Frühstück gegeben? Jever?

Annalena

Ich startete eine neue Sprachnachricht für Wincent. Also ungeachtet dessen, dass er die letzte noch nicht beantwortet hatte. Vielleicht war er noch nicht wach oder beschäftigt. Immerhin musste er ja auch noch arbeiten und natürlich hatte ich nicht gefragt, wann sein Drehtag anfing.
„Also, ich weiß gerade noch nicht, wer sich mehr auf heute Nachmittag freut. Fritz, lass das!", wies ich meinen Hund zurecht, der gerade an mir hochsprang. „Sorry, aber seit er gestern Abend deine Stimme gehört hat, dreht der durch. Hatten wir ja gestern Abend schon. Ich weiß noch nicht, was ich mit ihm mache, während ich bei meinem Vater bin. So, wie der gerade drauf ist, reißt der sich los, wenn ich ihn draußen lasse. Oder nimmt alternativ die Wohnung auseinander. Naja, ist ja auch egal und ganz bestimmt nicht dein Problem. Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass nicht nur ich mich auf nachher freue."
War ich jetzt komplett blöd geworden? Jetzt erzählte ich ihm schon jedes kleine Problem, was ich bisher immer irgendwie gelöst bekommen hatte. Offensichtlich hatte Wincent nicht nur Fritz verhext.
Ich sollte vermutlich mal dringend frühstücken. Vielleicht war mein Kopf danach etwas klarer. Ich ging in die Küche und holte mir Müsli und Milch. Das hatte mein Vater zuverlässig in großen Mengen Zuhause. Eine Sache, auf die ich mich schon immer verlassen konnte. Während ich mir das Frühstück schmecken ließ, dachte ich nochmal an den gestrigen Abend. Mit Wincent zu schreiben, oder besser gesagt zu reden, und seine Stimme zu hören war einfach so unglaublich schön und löste ein warmes Gefühl in mir aus. Fritz war mir zwar nicht eine Sekunde von der Seite gerutscht, aber das störte mich nicht. Hatte ich wenigstens ein Kuscheltier und brauchte gleichzeitig keine Decke.
Mein Handy riss mich aus der Erinnerung, als eine neue Nachricht angekündigt wurde. Sie kam von Wincent, der offenbar auch mal wach war.
„Guten Morgen. Ich melde mich jetzt erst, weil ich dir ungern im Frühstücksraum sitzend antworten wollte. Bin jetzt aber wieder in meinem Hotelzimmer, also alles entspannt. Danke auf jeden Fall für das Video. Ich hatte mich schon gefragt, was du mit Fritz gemacht hast. Ich glaube ja nicht, dass das meine Schuld ist, aber gut. Du kennst den Hund besser. Ich freue mich auf jeden Fall schon sehr darauf, euch beide nachher zu sehen. Kannst du Fritz ausrichten. Sollte ich fragen, warum du statt im Bett auf der Couch geschlafen hast? Ach und bezüglich dem Besuch bei deinem Vater. Ich hab da eventuell eine Idee."
Okay, jetzt machte er mich neugierig. Und es ließ mich schmunzeln, dass er seine Wirkung auf Fritz nicht wahrhaben wollte. Vermutlich wurde er heute Nachmittag dann eines Besseren belehrt, so wie ich Fritz kannte.
Ich dachte gar nicht groß über eine Antwort nach.
„Du wirst ja nachher sehen, ob ich Recht hatte. Auf jeden Fall springt er hier schon wieder herum. Für die nächsten Nachrichten brauche ich wohl meine AirPods, sonst kriegt der sich hier gar nicht mehr ein. Ach und ja, warum ich auf dem Sofa geschlafen habe... Da gibt es so einen Typen... Wie lautet deine Idee? Du machst es ganz schön spannend."
Hoffentlich fiel ihm der schnelle Themenwechsel nicht auf. Ja, es war entspannt mit Wincent zu schreiben und ich genoss es. Dennoch kam immer wieder meine eigentliche Schüchternheit durch. Wincent hingegen schien übers Telefon nur halb so nervös zu sein. Zumindest meistens. Wieso konnte ich das nicht auch? So schwer konnte das doch nicht sein. Wobei Wincent ja durchaus einen Vorteil hatte. Er war berühmt und es gewohnt, Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ich musste nicht lange auf Wincents Antwort warten.
„Also ob AirPods helfen, weiß ich nicht. Fritz hat doch bestimmt ein super Gehör. Aber einen Versuch ist es wert. Das mit der Sofa-Geschichte musst du mir mal nochmal ausführlicher erzählen. Das interessiert mich jetzt. Und bezüglich meiner Überlegung... Ich weiß nicht, ob sie dir gefällt. Allerdings hab ich es theoretisch schon alles geklärt, also alles super. Wenn du ja sagst, heißt das." Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Was hältst du davon, wenn..."
In diesem Moment wurde die Audio unterbrochen.
„Papa ruft an", vermeldete mein Handy stattdessen.

Bin ich für sie blind? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt