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Annalena

Hilfe! Überforderung!
Anna, jetzt antworte etwas Sinnvolles, sagte ich zu mir selbst.
Ich hatte absolut null Erfahrungen mit Dates und hätte nicht gedacht, dass sich das mal ändern würde. Aber nun stand ich hier, auf dem Parkplatz meines Standard-Einkaufladens mit einem Mann, der mich komplett aus dem Konzept brachte. Fritz schien ihn zu mögen, was mich echt überraschte.
„Klar", sagte ich und im nächsten Moment wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Ja, ich mochte ihn irgendwie, aber andererseits begab ich mich nun auf komplettes Neuland.
„Cool." Er klang sehr erleichtert und das beruhigte mich ein kleines bisschen. „Ich bin übrigens Wincent", stellte er sich vor.
„Anna", sagte ich unnötigerweise. Immerhin hatte er mich mit Namen angesprochen.
Halt! Wincent?! Aber nicht... Oh mein Gott. Deshalb kannte ich seine Stimme. Oder? Wenn das stimmte, durfte Lara niemals davon erfahren. Die würde ausflippen.
„Ich glaube, hier um die Ecke ist ein gutes Café. Wollen wir dahin?", fragte Wincent.
„Gerne. Da war ich ewig nicht", gab ich zu. „Wenn ich mich richtig erinnere, hier links und dann an der nächsten Kreutzung rechts."
„Wir versuchen es einfach mal", schlug Wincent vor und ich nickte.
„Fritz, los!", befahl ich ihm und er kam wieder an meine Seite. „Du bist also Hundeflüsterer, ja?", fragte ich Wincent, als wir eine Weile gegangen waren. Zumindest ging ich davon aus, dass er noch neben mir und Fritz lief.
„Eigentlich nicht, aber ich liebe Hunde", antwortete er.
„Fritz scheint dich sehr zu mögen."
„Du klingst überrascht", bemerkte Wincent. „Mag er keine fremden Menschen?"
„Er mag keine Männer", korrigierte ich.
„So kam er mir gar nicht vor." Jetzt war Wincent überrascht.
„Dich scheint er eben zu mögen."
„Ist das so abwegig?"
Was sollte ich nur antworten? Schließlich war ich nur dank Fritz mit ihm hier auf dem Weg ins Café, zu meinem ersten richtigen Date.
"Naja, wie gesagt. Er mag keine Männer und geht normalerweise einen riesigen Bogen. Aber dich scheint er akzeptiert zu haben. Fritz hat ein gutes Gespür, wen ich vertrauen kann und wen besser nicht." Fritz bellte leise als Bestätigung.
"Und er scheint jedes Wort zu verstehen", lachte Wincent.
"Zumindest die, die er will. Weggelaufen ist er mir zum Beispiel noch nie."
Den restlichen Weg schwiegen wir, aber es war nicht unangenehm. Ich musste mich ja sowieso auf die ganzen Geräusche konzentrieren. Und meine Hormone wieder in den Griff bekommen.
„Du hattest Recht", brach Wincent das Schweigen. „Hier ist es."
Ich blieb stehen und Fritz ebenfalls. Das jahrelange Training hatte sich gelohnt.
„Kommst du?", fragte Wincent mich.
„Ja."
„Brauchst du eine Hand? Hier kommen drei Stufen."
„Das wäre gut. Treppen sind manchmal echt schwer", sagte ich und war auf keinen Fall auf das vorbereitet, was kam.
Wincent ging auf meine andere Seite und nahm meine Hand, was Stromstöße durch meinen ganzen Körper jagte. Gemeinsam betraten wir das Café und Wincent führte mich bis zum Tisch. Wir setzten uns, ich dirigierte Fritz unter dem Tisch und gab ihm das Zeichnen, dass er sich dort hinlegen sollte. Zum Glück hörte er diesmal auf mich.
"Weißt du schon, was du trinken möchtest?", fragte Wincent mich nach einer kurzen Stille.
"Einen Latte Macchiato. Kannst du sehen, ob sie noch Kuchen in der Theke haben?"
"Ne, aber wenn du mich kurz entschuldigst, dann gucke ich nach. Soll ich auch gleich bestellen?"
"Wenn sie Käse- oder Erdbeerkuchen haben, würde ich ein Stück nehmen."
"Alles klar. Ich gucke eben und bestelle dann."
Ich hörte das Kratzen von Wincents Stuhl auf dem Boden und Schritte, die sich langsam entfernten.
Sollte ich ihn fragen, ob er der Wincent ist, den ich vermutete? Aber wie komisch würde das denn rüber kommen? Nein, Anna, das kannst du beim besten Willen nicht bringen. Es fühlt sich doch gerade so gut an, wie es ist. Und Fritz scheint ihn auch zu akzeptieren. Warum also jetzt alles kaputt machen?
"Nicht erschrecken, Anna, ich bin wieder da", hörte ich die Stimme von Wincent.
"Das ging aber schnell."
"Habe mich auch extra beeilt."
„Und?", wollte ich wissen.
„Alles bestellt, wird gleich gebracht", antwortete ich und dem Kratzen des Stuhls über dem Boden entnahm ich, dass er sich wieder setzte.
So, wie ging jetzt Smalltalk? Wobei, eigentlich wollte ich ihn nicht oberflächlich kennenlernen. Ich wollte alles wissen.

Wincent

Ich beobachtete Annas Finger, die nervös auf dem Tisch trommelten. Es beruhigte mich, dass nicht nur ich nervös war.
Der Kellner, der unseren Kaffee brachte, lenkte mich kurz ab. Doch sobald er verschwunden war, hatte Anna wieder meine gesamte Aufmerksamkeit. Irgendwie fesselte mich diese Frau, auch wenn sie einfach nur mir gegenüber saß. Das hatte ich noch nie.
„Na mein Kleiner? Geben dir Frauchen und Herrchen gar nichts von ihrem leckeren Kuchen ab? Nun komm doch mal unter dem Tisch hervor."
„Fritz bleib hier", befahl Anna ihrem Hund etwas strenger.
„Ach kommen Sie, junge Frau. Ich will ihrem Hund nur kurz ein Leckerchen geben, er guckt so traurig."
„Nein, Fritz ist im Dienst", sprach Anna in die Richtung der fremden Frau, obwohl sie sie ja nicht sehen konnte.
„Aber er liegt da doch nur unter dem Tisch."
„Ich wiederhole mich ungern, aber Fritz ist im Dienst. Er ist mein Begleithund. Solange wir unterwegs sind und er sein Geschirr trägt, hat Fritz einen Job." Anna klang sehr bestimmt.
Vermutlich hatte sie solche Situationen schon häufiger erlebt. Wieso konnten manche Menschen nicht einfach zuhören, wenn man etwas sagte?
Die fremde Frau lockte Fritz auf jeden Fall weiter und da beschloss ich, mich einzumischen.
„Sind Sie taub?", fragte ich die Frau und versuchte noch ruhig zu bleiben. „Lassen Sie den Hund in Ruhe. Er arbeitet!"
Mein Blick und der Klang meiner Stimme musste wohl gewirkt haben, denn die Frau stand auf.
„Der arme Hund ey. Manche Menschen sollten einfach keine Tiere halten", murmelte sie noch und verschwand dann endlich.
Ich sah zu Anna, die die letzten Worte vermutlich auch noch gehört hatte.
„Hey, hör nicht auf sie. Die hat keine Ahnung, okay? Du bist ein super Frauchen und Fritz geht es mehr als gut bei dir", sagte ich und hoffte, dass Anna sich meine Worte mehr zu Herzen nahm als die der Frau.
Zumindest lächelte sie mich jetzt an. „Danke."
„Gerne." Ich lächelte auch.
Sie entspannte sich wieder und wir knüpften einfach an das Gespräch an, was wir vorher geführt hatten. Mit Anna war es so schön einfach über alles zu reden. Sie war zwar blind, aber nicht blöd. Mit Fußball kannten wir uns beide nicht aus, aber ansonsten überraschte sie mich immer wieder, wovon sie schon gehört hatte. Selbst wenn sie wenig Ahnung hatte, hörte sie einfach nur aufmerksam zu.
Als Amelie das fünfte Mal anrief, drückte ich sie erneut weg, sah aber das erste Mal wieder auf die Uhr.
Fuck! Ich wollte schon längst bei Amelie sein. Wie konnte die Zeit so schnell vergehen?
Ich wollte hier nicht weg. Dennoch musste ich zu meiner besten Freundin und dann zu Mats. Immerhin hatte ich zugesagt und daran hielt ich mich. Doch heute fiel es mir echt schwer. Die Zeit mit Anna war viel zu schön, um sie jetzt so abrupt zu unterbrechen. Ich wollte noch viel länger in ihrer Nähe sein und das nicht nur wegen Fritz.

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Hinweis:
Das, was Anna hier erklärt gilt immer. Merkt euch das einfach. Begleithunde niemals ansprechen oder anfassen. Sie arbeiten und müssen sich konzentrieren!

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now