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Annalena

„Komm Fritz. Wir müssen einkaufen gehen." Ich zog mir Schuhe und Jacke an.
Fritz kam aus dem Wohnzimmer angelaufen und blieb ruhig sitzen, während ich ihn anleinte. Sein Geschirr trug er immer, denn das bekam ich alleine nicht wieder ran.
„Auf geht's", sagte ich und öffnete die Tür.
Fritz lief direkt neben mir nach draußen und wartete geduldig, bis ich abgeschlossen hatte. Dann liefen wir die Treppen hinunter, er immer neben mir. Den Weg zum nahegelegendsten Supermarkt kannte ich auswenig und auch Fritz wusste genau, wo wir lang mussten. Vor dem Laden angekommen, bellte er einmal kurz.
„Also, wir brauchen heute Obst, Gemüse, Brot, Eier und Saft", erzählte ich meinem Hund, bevor wir den Laden betraten.
„Hallo Anna. Auch wieder da?", begrüßte mich in der Obst-und Gemüseabteilung eine der Mitarbeiterinnen.
„Hey. Ja, irgendwann muss man ja. Irgendwas umgeräumt?", erkundigte ich mich.
„Nein. Alles dort, wo es immer ist."
„Danke."
„Brauchst du Hilfe?", wollte sie wissen.
„Heute ist nur wenig. Also nein, aber danke."
„Gerne. Dann viel Erfolg. Wenn du doch Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid."
„Mach ich. Dankeschön." Dann wandte ich mich an Fritz. „Äpfel, Orangen, Gurke, Paprika, Möhren und Salat?"
Er bellte kurz und damit war es beschlossen. Da Fritz und ich ein eingespieltes Team waren und ich mich hier auskannte, waren wir schnell durch. Beim Saft brauchte ich etwas länger und plötzlich war Fritz verschwunden. Panik stieg in mir hoch. Er war noch nie weggelaufen und ohne ihn war ich absolut aufgeschmissen.

Wincent

Ich holte mein Handy heraus und schickte Mats eine Sprachnachricht.
„So, ich hab jetzt 6 Radler, einige Kurze, Jägermeister dazu und jetzt Jever. Sollte reichen, oder?"
Ich schickte die Nachricht ab und wollte gerade in Richtung Kasse gehen, als ein Hund neben mir auftauchte. Er setzte sich neben mich hin und sah mich abwartend an.
Ich konnte Hunden noch nie widerstehen und so hockte ich mich neben ihn. Ich hielt meine Hand hin, damit er schnuppern konnte. Offenbar akzeptierte er mich, denn er schleckte über meine Hand.
„Na, wo kommst du denn her?", fragte ich ihn und sah mich um.
Allerdings war hier niemand zu sehen, der einen Hund zu vermissen schien.
„Du, ich muss weiter", sagte ich an den Hund gewandt.
Er schaute mich aus runden, tiefschwarzen Knopfaugen aufmerksam an. Ich streichelte ihm nochmal über den Kopf und stand dann schweren Herzens auf. Mit meinem Einkaufswagen ging ich in Richtung Kasse und der Hund folgte mir direkt. Ich konnte jetzt nicht einfach gehen, also lief ich zurück und hielt Ausschau nach jemandem, der seinen Hund vermisste. Irgendwer musste ihn ja vermissen, denn das Geschirr, das Halsband, die Marke und die Leine deuteten darauf hin, dass er kein Straßenhund war.
Als ich wieder auf Höhe der Getränkeabteilung war, hörte ich eine leise Stimme.
„Fritz! Wo bist du? Komm her!"
Ich schaute zu dem Hund, der die ganze Zeit direkt neben mir gelaufen war und er stellte die Ohren auf.
„Du bist Fritz, ja?", fragte ich und hatte prompt die gesamte Aufmerksamkeit des Hundes. „Ich glaube, du wirst gesucht. Na los, lauf schon."
Er sah mich einfach nur an, aber als die andere Stimme wieder nach ihm rief, diesmal verzweifelter, spitzte er wieder die Ohren.
Da Fritz offenbar der Meinung war, nur mir zu folgen, durchforstete ich die Gänge auf der Suche nach der Stimme. An dem Regal mit den Säften rannte Fritz plötzlich los, blieb am Ende der Reihe stehen und bellte leise.
Ich stand auf meiner Seite des Gangs stehen und mein Herz begann schneller zu schlagen.
Dort stand sie. Lange dunkelbraune Haare, schlank, wahrscheinlich etwas jünger als ich und auf der Nase eine weiße Brille.
Sie beugte sich zu Fritz hinunter, der direkt neben ihr stehengeblieben war und sich an ihr Bein schmiegte. Die beiden waren ein super eingeschweißtes Team, das sah ich sofort.
Ich ging einige Schritte auf sie zu, blieb dann aber in sicherer Entfernung stehen und beobachtete sie. Die Ausstrahlung dieser Frau rief sofort wieder den schüchternen Wincent in mir wach.
„Da bist du ja wieder", sagte sie und streichelte Fritz über den Kopf. „Wo hast du gesteckt? Mhm? Du weißt doch, dass ich ohne dich hier nicht weg komme."
Fritz winselte und es klang ganz eindeutig wie eine Entschuldigung.
Die Frau lachte leicht und mein Herz setzte kurz aus. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein!
„Ist schon gut. Du bist ja wieder da", beruhigte sie ihren Hund.
Ich dachte fieberhaft nach, wie ich sie ansprechen sollte. Verdammt, wieso konnte ich nicht einfach der coole Wincent sein, der kein Problem mit Aufmerksamkeit hatte? Ich wurde regelmäßig von Frauen angehimmelt, quatschte ganz entspannt mit ihnen und alles. Wieso ging das nicht, wenn ich nur Wincent war?
Als hätte er meine Gedanken gehört, was echt strange war, kam Fritz zu mir und setzte sich vor mich hin. Seine großen Augen sahen zu mir auf und ich wusste, dass er gestreichelt werden wollte. Als ob er nicht gerade erst gestreichelt worden war.
Ich lachte leise, hockte mich wieder hin und kraulte ihn. Fritz schien es sehr zu genießen und legte sich prompt auf den Rücken. Eins musste man ihm lassen, einschleimen konnte er sich gut.
„Was willst du?", fragte ich ihn lachend.
Er setzte sich wieder hin und fixierte das Bier in meinem Einkaufswagen.
„Du bekommst ganz bestimmt kein Bier", erkärte ich ihm streng und versuchte das Lachen zu unterdrücken.
Fritz schaute mich beleidigt an und ging zu seinem Frauchen zurück.
„Was für Bier?", fragte sie und ich war mir nicht sicher, ob die Frage an ihren Hund oder mich gerichtet war.
„Ähm, Radler und Jever", antwortete ich.
Bei zweiterem stellte Fritz die Ohren auf und wedelte mit dem Schwanz auf dem Boden.
„Du magst Jever?", fragte ich und Fritz fuhr sich mit der Zunge über die Schnauze.
Die Frau lachte wieder leise. „Fritz, auch andere dürfen mein Lieblingsbier kaufen", erklärte sie ihm. „Und wir müssen das heute nicht besorgen. Zuhause ist noch genug."
Fritz sah von seinem Frauchen zu mir und legte dann den Kopf schief.
„Sorry Kumpel, aber wenn Frauen sagen, es wird nicht gekauft, dann muss man sich daran halten."
Fritz schien das gar nicht zu gefallen, der er legte sich neben sein Frauchen auf den Boden und vermied den Blick zu mir. Vermutlich war er jetzt beleidigt, weil ich nicht zu ihm gehalten hatte.
„Ist es nicht eigentlich so, dass ihr das trotzdem kauft?", richtete sich die Frau direkt an mich, aber zu meiner Erleichterung klang auch sie leicht nervös.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now