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Wincent

Als ich endlich im dritten Stock ankam, atmete ich erleichtert auf. Eventuell hatte ich meine Kondition ein wenig unterschätzt und war die Treppen zu schnell hoch gelaufen. Naja, meine eigene Dummheit. Dafür wurde ich oben von einem fröhlichen Bellen belohnt. Eine Tür öffnete sich und Fritz kam heraus und direkt auf mich zu gerannt. Seine Leine zog er einfach hinter sich her und der Schwanz wedelte. Offensichtlich freute er sich sehr, mich wiederzusehen und Anna hatte nicht übertrieben.
„Hey Anna", sagte ich und war unsicher, wie ich sie begrüßen sollte, ohne sie zu erschrecken.
„Hi Wincent", antwortete sie und kam einen Schritt auf mich zu. Dann blieb sie unsicher stehen.
Ich dachte nicht weiter drüber nach, verringerte den Abstand zwischen uns und zog sie in meine Arme.
Leider unterbrach Fritz uns direkt wieder, indem er bellte und an mir hochsprang. Lachend löste ich mich von Anna und schaute zu Fritz hinunter.
„Bist du jetzt etwa eifersüchtig?", fragte ich ihn grinsend.
Er schaute mich vorwurfsvoll und leicht beleidigt an.
„Sorry Kumpel."
„Gewöhn dich dran. Ich dachte, du magst Wincent", wandte sich nun Anna an ihren Hund.
Fritz schien zu überlegen und leckte dann über meine Hand, an die er locker herankam.
„Ich glaube, das Thema ist erledigt", sagte ich an Anna gewandt. „Er scheint es zu akzeptieren."
„Wenigstens etwas." Sie lächelte und ich bekam sofort ein starkes Kribbeln im Bauch.
„Übrigens darfst du ihn ruhig streicheln, solange wir hier drin sind", ergänzte sie noch.
Das ließen Fritz und ich uns nicht zwei Mal sagen. Ich hockte mich hin und er stellte sich sofort mit den Pfoten auf meine Knie. Also, wenn er das öfter tat, musste ich dringend wieder ins Gym gehen. Ich streichelte Fritz über den Kopf und er ließ sich knapp neben Annas Füße auf den Boden fallen. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Der Hund war einfach nur süß und unglaublich kuschelbedürftig.
„Seid ihr irgendwann fertig oder lass ich einfach den Schlüssel hier?", fragte Anna und hatte damit kurz meine und Fritz Aufmerksamkeit.
„Ich glaube, wir können los", meinte ich und stand auf. „Komm, mein Freund. Wir können in der Drehpause weiter kuscheln."

Annalena

Obwohl ich die beiden nicht sehen konnte, spürte ich direkt Vertrautheit. Fritz stellte mich damit echt auf die Probe. Einerseits wusste ich jetzt, dass ich Wincent absolut vertrauen konnte, aber andererseits machte mir eben genau diese Erkenntnis Angst. Dass Fritz nicht zwischen uns stand, sondern einfach dazu gehörte und er Wincent akzeptierte, war für mich ein unglaublich schönes und gleichzeitig beängstigendes Gefühl. Wenn ich mir kurz die Vorstellung erlaubte, dass es wirklich so war, dass ich Wincent nicht nur datete. Dann könnte ich jetzt einfach gehen, den Schlüssel da lassen und wüsste, wenn ich zurück wollte, musste ich ihn nur anrufen. Und Fritz würde es die ganze Zeit gut gehen. Ob Wincent die Arbeit schwänzen und mit meinem Hund die ganze Zeit auf dem Sofa lümmeln würde? Oder sähe die Bude hinterher aus wie Sau, wo meinen Vater dann nach seiner Rückkehr der Schlag traf? Ich meine, ich sah das Chaos nicht, spürte es aber vermutlich, wenn ich gegen etwas lief.
Okay genug!, unterbrach ich mich selbst. Bis es soweit war, würde vermutlich noch viel Wasser die Elbe hinunterfließen.
„Auf geht's, Fritz. Ich zeig dir mal eine andere Welt", meinte Wincent und ich hörte den Karabiner von Fritz Leine über den Boden schleifen, bevor er verstummte. Vermutlich hatte Wincent jetzt die Leine in der Hand.
„Warte. Hier, das brauchst du heute", fiel mir ein und ich reichte ihm die Tasche mit Leckerlis.
„Danke." Er nahm sie mir ab, ich hörte Schritte, die sich entfernten und dann Fritz Bellen im Treppenhaus. „Psst", hörte ich Wincent sagen. „Anna, kommst du?"
„Ja." Ich hängte meine Tasche um, verließ die Wohnung und schloss sorgfältig ab.
Dann tastete ich mich zum Treppengeländer und lief neben Wincent die Treppe hinunter. Fritz war als Puffer zwischen uns, was mir zumindest das Gefühl gab, dass alles normal war. Nur auf den letzten Stufen war er verschwunden, aber als ich einen Luftzug spürte, ging mir auf, dass Wincent vermutlich vorgelaufen war, um mir die Tür zu öffnen.
„Danke", sagte ich und ging an ihm vorbei nach draußen.
„Mein Auto steht nur wenige Meter weiter. Willst du mit oder musst du in die andere Richtung?", fragte Wincent mich.
„Wo steht dein Auto denn genau?"
„Achso, sorry. Wenn du so stehen bleibst, dann nach links."
„Da muss ich auch lang. Ich komme noch kurz mit zum Auto."
„Cool."
Wir liefen los und ich versuchte herauszufinden, wo Wincent lief. Offenbar wich er mir nicht von der Seite, denn ab und zu streiften sich unsere Arme. Sofort breitete sich eine Wärme durch meinen Körper aus und die Schmetterlinge in meinem Bauch feierten eine Party. Fühlte sich so das verliebt sein an? War ich diesem Mann schon vom ersten Moment an verfallen?

Wincent

Mit Fritz an der Leine neben Anna herzugehen, fühlte sich schon unglaublich gut an. Vor allem, weil jede zufällige Berührung schon Gänsehaut auf meinem ganzen Körper auslöste. Von dem Kribbeln in meinem Bauch mal ganz zu schweigen. Wenn ich jetzt noch ihre Hand halten würde, wäre es perfekt.
Halt! Stopp! Wincent, ruhig bleiben!, befahl ich mir selbst. Das ging definitiv zu schnell in die falsche Richtung.
„Okay, hier ist es", sagte ich, als wir direkt vor meinem Lieblings-Oldtimer Marki standen. Für die Fahrt nach Hamburg reichte er mir vollkommen, ich hatte ja Zeit.
„Alles klar. Dann..." Anna wirkte ziemlich unsicher.
„Hey, ihr seht euch in wenigen Stunden wieder", versuchte ich sie zu beruhigen. „Schaffst du es zum Krankenhaus ohne ihn oder soll ich dich schnell bringen?"
„Ich glaube, ich schaff das."
So ganz kaufte ich ihr das nicht ab. Vermutlich war sie noch nie ohne Fritz und eine weitere Person unterwegs gewesen. Doch, bei dem ersten Konzert, wo Mats sie kennenlernte. Aber Berlin war nicht Hamburg. Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn und hoffte, sie hörte es nicht. Wieso hatte ich Trottel daran nicht gedacht?
„Okay, pass auf, Anna. Du sagst mir, welches Krankenhaus und ich fahre dich hin."
„Aber dein Job", versuchte sie zu protestieren, doch ich legte ihr schnell meinen Zeigefinger auf die Lippen.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now