93

126 16 4
                                    

Annalena

„Hättest du mich nicht vorwarnen können, dass es so schwer ist?", fragte Wincent mich und ich musste lachen.
„Das ist eigentlich ganz einfach", antwortete ich.
„Da bin ich wieder", verkündete Mats. „Hier, Wince. Wir versuchen das jetzt mal so."
„Mit verbundenen Augen?" Wincent klang sehr skeptisch. „Das wird doch niemals etwas."
„Doch. Dann kannst du nämlich fühlen und dann geht das wie von selbst", behauptete Mats.
Wincent ließ mich los und dann hörte ich ihn kurz mit seinem Fotografen diskutieren. Ich wusste auch noch nicht wirklich, was ich von der Idee halten sollte, aber langweilig würde es definitiv nicht werden. Und wer wusste schon, ob Mats Theorie nicht vielleicht doch aufging.
„Sag mal, warum mischt du dich eigentlich ein? Ich dachte, du kannst nicht tanzen", wandte sich Wincent an Mats.
„Vertrau mir einfach", überging dieser eine direkte Antwort.
„Ich weiß ja nicht."
„Komm, Wince. Trau dich", half ich Mats.
„Okay, okay. Aber keine Garantie."
Wincent brauchte tatsächlich einige Anläufe, aber dann wurde es besser und der Grundschritt klappte fehlerfrei. Sogar genau auf die Musik, wenn ich leise mitzählte. Ich zeigte Wincent noch einige weitere Schritte, die man gut kombinieren konnte. Jedes Mal, wenn es nicht sofort klappte, bekam er einen halben Anfall, aber aufgeben kam nicht in Frage. So konnte er am Ende tatsächlich eine ganze kleine Choreografie, die wir insgesamt dann einige Male auf ‚Bist du bereit' tanzen konnten. Ich war richtig stolz auf ihn, dass er das so durchgezogen hatte und er schien sich auch darüber zu freuen.
„Jetzt brauche ich aber eine Pause", verkündete er ein wenig außer Atem und leicht verschwitzt.
„Die hast du dir verdient", sagte ich und gab ihm einen Kuss.
„Es ist alles vorbereitet. Setzt euch, ich hab sogar nochmal warmen Tee gekocht", sagte Mats.
„Danke", erwiderte Wincent und wir machten es uns rund um den Couchtisch bequem.
So viel zum Thema Spielen. Aber das Tanzen hat mir echt Spaß gemacht. Vielleicht musste ich damit wieder anfangen.
Zur Stärkung gab es Snacks und Mats schaltete zwischendrin wieder auf alle Tracks von Wincents Album um. Die waren allesamt ziemlich cool geworden und ich war sehr auf Laras Reaktion gespannt, wenn er das Album ankündigte.
„Was haltet ihr von ein bisschen frische Luft?", fragte Mats.
„Gute Idee", antwortete ich. „Eine kleine Runde wäre gut und die schaffe ich auch."
„Dann los", forderte Wincent uns auf.
Ich ging kurz ins Bad, während die Jungs alle Kerzen löschten und dann zogen wir uns an. Fritz schien sich sehr zu freuen und streifte die ganze Zeit um unsere Beine. Im Endeffekt wurde die Runde ein wenig größer, aber die frische Luft tat einfach absolut gut. Wieder zurück in der Wohnung holte ich dann wirklich einige Spiele raus, die ich mitspielen konnte.
Bei Memorie zog ich die Jungs natürlich wieder haushoch ab, aber sie nahmen es ganz locker. Zumindest solange bis es mir zu langweilig wurde.
„Okay, Jungs. Wenn ihr in der nächsten Runde wieder verliert, bekommt ihr eine zweite Tanzstunde. Aber ich leite euch dieses Mal nur an. Der mit den meisten Karten muss führen", schlug ich vor.
Sie zögerten einen Moment, aber stimmten dann zu. Tatsächlich schien der Deal einen gewissen Druck auszuüben, denn so ganz einfach wie davor war es nicht. Doch ich gewann dennoch, was bei beiden Männern kurzzeitig zu Verzweiflung führte. Allerdings standen sie dann doch auf und waren bereit, den Deal einzulösen, was mich natürlich freute. Wincent hatte überraschenderweise mehr Pärchen gefunden und durfte damit ganz normal den ‚Männerpart' tanzen. Ich stellte fix mein Handy bereit und während die beiden diskutierten, ließ ich eine Videoaufnahme starten. Ich hatte mir überlegt, dass Walzer ganz cool wäre und erklärte Wincent und Mats die Schritte. Nach einigem Üben und sobald ich kein Fluchen mehr hörte, schaltete ich Musik dazu an.
„So, damit du wirklich überprüfen kannst, ob wir es können, musst du jetzt tanzen", fand Wincent und ich gab nach.
Mit ein wenig Übung konnte er bestimmt annähernd mit meinem Vater mithalten.

Wincent

Der Tag war wunderschön und es tat auch mir unfassbar gut, Anna wieder richtig glücklich zu erleben. Mats verabschiedete sich dann recht spät und fuhr nach Hause. Anna und ich drehten noch eine kurze Runde mit Fritz, bevor wir uns dann ziemlich müde ins Bett kuschelten. Die letzte Nacht mit Anna in meinem Arm und ich vermisste es jetzt schon ein wenig. Aber es war ja nur eine Nacht und das sollte ich schaffen. Es dauerte nicht lange, bis wir beide eingeschlafen waren.
Am nächsten Morgen wachte ich vor Anna auf, aber sie hatte sich so an mich gekuschelt, dass ich nicht aufstehen konnte, ohne sie zu wecken. Und ehrlicherweise wollte ich das auch gar nicht. Vielmehr genoss ich es, sie so nah zu wissen. Gegen neun Uhr wurde meine Freundin dann langsam wach, aber wir waren beide zu faul aufzustehen. Deshalb gab es erst noch eine ganz lange Kuscheleinheit, bevor ich aufstand, um duschen zu gehen. Fertig angezogen ging ich anschließend in die Küche, wo Anna schon Kaffee und Frühstück vorbereitet hatte. Wir ließen uns Zeit beim Essen, doch mein Handy unterbrach uns.
„Jo, was los?", fragte ich nach einem kurzen Blick auf das Display.
„Wann willst du los?"
„Nicht vor 14 Uhr. Sind ja nur vier Stunden. Also geh wieder pennen oder so."
„Alles klar. Dann grüß Anna von mir und wir sehen uns später. Achso, wo treffen wir uns?"
„Ich hol dich ab", antwortete ich.
„14 Uhr bei mir?"
„Ja."
„Okay, dann bis später, Chef."
„Bis später."
Ich legte auf und das Handy zur Seite.
„Mats?", riet Anna.
„Ja. Er wollte wissen, wann wir losfahren. Und jetzt haben wir noch knapp vier Stunden für uns. Was willst du machen?"
„Erst muss Fritz raus und danach... mal sehen", antwortete sie.
„Okay. Machen wir so."
Wir aßen zu Ende und dann stand Fritz Gassirunde auf dem Plan. Er freute sich sichtlich, dass wir wieder zu dritt unterwegs waren und wie gestern wurde die Runde größer als geplant. Aber es war einfach so schön, entspannt mit Anna durch die Stadt zu laufen und über alles Mögliche zu reden.
„Was machst du jetzt eigentlich für heute Abend und die Tage, wo ich unterwegs bin?", fragte ich irgendwann.
„Ich hab mich bei Laura eingeladen. Sie hat kein Problem damit, sondern freut sich richtig."
„Das ist gut. Und wir telefonieren jeden Abend, versprochen."
„Ich denke, mir geht es ganz gut, wenn ich nicht alleine bin. Wenn etwas ist, schreib ich dir. Versprochen."
„Okay", gab ich nach, denn an der Stelle musste ich Anna einfach vertrauen.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now