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Wincent

In den letzten Wochen vermisste ich Anna und Fritz sehr. Ich hatte mich in der kurzen Zeit schon so sehr an die beiden gewöhnt, da war das viele unterwegs sein wieder richtig doof. Aber Promo machte sich leider nicht alleine und wenn das Weihnachtsalbum erfolgreich sein sollte, kam ich nicht drumherum. Mats versuchte es mir so leicht wie möglich zu machen, denn er wusste, wie sehr ich Social Media-Content hasste. Hundert Mal die gleiche Aufnahme, nur weil immer irgendwas nicht stimmte. Das nervte mich ziemlich, aber er lockerte es immer mal wieder auf, bzw. verstand genug Spaß, wenn ich Pause definierte. Nach einer intensiven Promo-Woche war ich endlich auf dem Weg nach Berlin. Ich wollte Anna heute Abend noch die beiden Songs zeigen, die ich mit Philipp geschrieben hatte und die sie noch nicht kannte. Einer davon war ganz eindeutig für sie und da interessierte mich ihre Meinung wirklich. Auf dem Weg nach Berlin pfiff ich die Radiosongs vor mich hin, denn ich hatte wirklich richtig gute Laune.
Als mein Auto einen eingehenden Anruf meiner Managerin anzeigte, war sie allerdings nicht mehr so super. Wenn Anna anrief, bedeutete das in der Regel nichts Gutes. Dennoch ging ich ran.
„Moin Anna, was gibt's?"
„Hey Wince. Ich hoffe, ich störe nicht."
„Ne. Bin im Auto unterwegs nach Berlin. Wie kann ich dir helfen?"
„Ich hab hier eine Anfrage auf dem Laptop offen", antwortete sie. „Allerdings für den Beginn des neuen Jahres. Ich weiß, dass du eigentlich eine Pause machen wolltest."
„Worum geht es?", fragte ich neugierig.
„Eine neue Runde mit den gleichen Chaoten wie letztes Jahr."
Spielten wir jetzt wirklich Ratespiele? Ich dachte nach, wen sie damit meinen könnte.
„Ist übrigens in Berlin, also spielt es dir ja eigentlich in die Karten. Aber es sind Wochenenden", fuhr Anna fort,
„The Voice Kids?", fragte ich hoffnungsvoll.
„Jap. Sie wollen wissen, ob du wieder dabei sein willst."
„Klar, will ich", antwortete ich sofort. „Die paar Drehtage schaffe ich schon. Vielleicht hat Anna ja Lust, mich bei einigen Shows zu begleiten."
„Das kannst du ja dann mit ihr klären", erwiderte meine Managerin und ich hörte ihr Lächeln. „Dann sag ich mal zu."
„Unbedingt!"
„Alles klar. Dann wünsche ich dir noch eine gute Fahrt und ganz liebe Grüße an Anna."
„Danke, richte ich aus. Wir hören oder lesen voneinander."
„Aber sicher. Tschau."
Noch ein Jahr The Voice Kids. Richtig geil! Ich liebte die Show und mit den anderen Coaches machte es einfach richtig Spaß.

Annalena

Es war ein super seltsames Gefühl, wieder alleine mit Fritz in der Wohnung zu sein. Obwohl ich viel mit Lara unternahm, war etwas anders. Mir fiel das Essen wieder schwerer, auch wenn meine beste Freundin da sehr drauf achtete. Ich war dankbar, dass ich es ihr endlich gesagt hatte. Manchmal war mir wirklich nicht nach Essen und das brachte mir jedes Mal einen skeptischen Blick von Lara ein. Allerdings akzeptierte sie es, auch wenn ich später am Tag dann etwas essen musste. Dennoch war ich nicht mehr so glücklich, wie mit Wincent an meiner Seite. Vor allem die Nächte quälten mich wieder ein wenig. Bei meiner Therapiesitzung besprach ich alles, was mich gerade so bewegte. Mir wurde bewusst, dass ich zum allerersten Mal wirklich alleine hier war. Und Wincent würde mich auch ausnahmsweise nicht abholen. Es war ein seltsames Gefühl, vor allem, weil jetzt doch die Sache mit den Fans wieder hochkam. Ich hatte irgendwie immer wieder das Gefühl, beobachtet zu werden.
„Anna, du schaffst das alles. Und wenn nicht, weißt du doch, an wen du dich wenden kannst. Du musst dich einfach trauen, mit anderen Menschen zu reden."
„Ich versuche es, danke", erwiderte ich.
„Wir sehen uns nächste Woche."
„Bis dann", verabschiedete ich mich.
Das Reden hatte gut getan, das merkte ich immer wieder. Ich verstand, wieso Wincent mir das so sehr ans Herz gelegt hatte.
„Buh!", kam es von Richtung Wartezimmer, als ich den Raum verließ.
Erschrocken zuckte ich zusammen, was ein Lachen zur Folge hatte.
„Alter, Lara!"
„Sorry", erwiderte sie, aber ich hörte ihr Grinsen ganz deutlich.
„Was machst du hier?"
„Dafür sorgen, dass du pünktlich bei deinem nächsten Termin bist", antwortete meine beste Freundin.
„Was?"
„Du hast eine Verabredung und die ganz offensichtlich vergessen. Färbt das schon ab?"
Ich kramte in meinem Gedächtnis, aber mir fiel wirklich nichts ein. Was hatte ich denn vergessen? Therapie war zu Ende. Ich hatte nichts mehr vor.
„Ich merk schon, du stehst richtig auf dem Schlauch", schmunzelte Lara. „Kein Problem, du wirst es gleich wieder wissen."
Den ganzen Weg zu ihrer Wohnung grübelte ich, aber mir fiel es einfach nicht ein.
„Wie läuft es eigentlich mit Mats?", wechselte ich dann schnell das Thema.
„Alles wie immer. Wir schreiben ab und zu."
„Habt ihr wenigstens nochmal geredet nach unserem... ähm Mädelsabend?"
„Nein. Also nicht darüber."
„Mensch, Lara. Wieso nicht?", fragte ich.
„Ach, keine Ahnung. Das ist alles irgendwie total verwirrend."
„Das nennt sich Liebe."
„Mhm." Sie klang nicht sehr überzeugt.
„Lara", setzte ich gerade an, als sie verkündete, dass wir angekommen waren.
Also schluckte ich den Rest des Satzes hinunter und versuchte mich stattdessen mental auf alles Mögliche einzustellen. Als Fritz zu bellen begann, bekam ich langsam eine Ahnung. Es gab nur eine Person, die hier auftauchen würde und an die sich Fritz irgendwie noch nicht gewöhnt hatte. Woran das lag, keine Ahnung.
„Hallo, ihr drei", wurden wir begrüßt und ich bekam eine herzliche Umarmung.
„Hey Manu", erwiderte ich.
„Bereit?", fragte er mich. „Fritz, ich hab heute auch nichts für dich dabei. Sorry."
„Der braucht eigentlich auch nichts", erwiderte ich.
Lara begann zu lachen. „Sieht er anders."
„Vielleicht bellt er ja nicht mehr, wenn ich irgendwann mal etwas für ihn dabei habe", überlegte Wincents Pianist laut.
„Kannst du ja das nächste Mal ausprobieren."

Wincent

Fast Zuhause. Ich fuhr gerade von der Autobahn und hatte nur den üblichen Nachmittagsverkehr. Daran gewöhnte man sich in Berlin sehr schnell. Als ich vor Annas Haustür parkte, stieg meine Laune ziemlich in die Höhe. Ihre Wohnung war unsere Wohnung geworden und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, wirklich ein Zuhause zu haben. Also klar, meine Heimat war und blieb der Norden, aber meine letzten Wohnungen waren eher sporadisch eingerichtet und ich hielt mich ungern dort auf. Hier hingegen fühlte ich mich für den Moment richtig wohl.
„Schatz? Fritz?", fragte ich, als ich die Wohnung betrat.
Doch es war alles ruhig und als ich meine Sachen auszog und wegräumte sah ich, dass Annas noch fehlten. Ich checkte meine Uhr, aber ihre Therapie war schon einige Stunden vorbei. Da ich so langsam Hunger bekam, ging ich in die Küche und sah nach, was so da war. Anschließend nahm ich mein Handy heraus und startete einen Facetime-Anruf.
„Wince? Was für eine Ehre", tauchte einen Moment später ein bekanntes Gesicht auf meinem Bildschirm auf.
„Moin Zwerg. Wieder in München?"
„Jap. Alles klar bei dir?", wollte er dann wissen.
„Ich brauch mal deine Hilfe."
„Worum geht's?"

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now