27

183 18 12
                                    

Wincent

„Wincent?" Annas Stimme klang leicht panisch.
„Ja, ich bin hier. Alles ist gut."
Sie tastete nach meiner Hand und als ich ihre ergriff, spürte ich, dass sie kalt war.
Fuck, was war denn jetzt los?
Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn sie mich vorhin nicht angerufen hätte. Ich hatte ja selbst lange genug Panikattacken. Das war absolut nicht cool. Schon gar nicht, wenn man alleine war.
Anna war zwar wieder ruhiger, aber an Schlaf war bei uns beiden erst einmal nicht zu denken.
„Geht's wieder?", fragte ich sie leise.
„Ja. Danke."
„Willst du darüber reden?"
„Noch nicht", antwortete Anna und ich beließ es dabei.
Stattdessen zog ich sie einfach in meine Arme und sie kuschelte sich direkt an mich. Irgendwann hörte ich Anna dann ruhig und gleichmäßig atmen und ich schloss auch endlich meine Augen. Ziemlich schnell schlief ich ein.
Am nächsten Morgen, also nur einige Stunden später, war ich wieder wach. Anna schlief noch genau so in meinen Armen, wie wir heute Nacht eingeschlafen waren. Ich beobachtete sie einfach eine Weile und stellte mal wieder fest, wie schön sie war. Dass sie blind war, sah man ihr überhaupt nicht an, wenn sie schlief schon gar nicht.
Als hätte Fritz gemerkt, dass ich wach war, tapste er auf meine Seite vom Bett und schaute mich an. Ich zog meinen Arm vorsichtig unter Annas Körper hervor und stand auf. Mit Fritz im Schlepptau ging ich ins Wohnzimmer. Dort setzte ich mich auf den Fußboden.
„Guten Morgen, mein Freund", sagte ich leise und kraulte Fritz, der sich direkt auf den Rücken legte.
„Das gefällt dir, oder?" Ich grinste. „Ich glaube, ich verwöhne dich ganz schön. Nicht, dass es noch Ärger mit deinem Frauchen gibt."
Prompt setzte Fritz sich auf und schaute mich mit schief gelegtem Kopf an.
„Meinst du nicht?"
Fritz schüttelte sich.
„Okay, okay. Dann hab ich nie etwas gesagt", lachte ich leise und streichelte ihn wieder.
Irgendwie hatte ich Lust auf frische Luft. Also sah ich nochmal kurz nach Anna, die allerdings noch tief und fest schlief. Kurz zögerte ich noch, aber dann zog ich mir fix meine Hose, ein sauberes Shirt, meinen Hoodie und Schuhe an. Fritz folgte mir in den Flur und setzte sich abwartend neben seine Leine.
„Du willst mit?", fragte ich ihn.
Ich sah mich um, fand dann die Tasche mit den Leckerlis, steckte sie in die Bauchtasche meines Hoodies und leinte Fritz dann an, der freudig mit dem Schwanz wedelte.
Annas Schlüssel steckte noch in der Wohnungstür. Ich schloss auf und nahm ihn dann mit, damit ich sie nicht wach klingeln musste. Ich zog die Tür hinter Fritz und mir ins Schloss und lief die Treppen nach unten. Hoffentlich bekam Anna keinen Schreck, falls sie vor meiner Rückkehr aufwachte. Ich überlegte, ihr eine Nachricht zu schicken, aber natürlich hatte ich Depp mein Handy oben liegen gelassen.
„Egal, wir gehen ja nur eine kleine Runde", sagte ich mehr an mich selbst als an Fritz gewandt und lief los.

Annalena

Ich wachte auf und stellte fest, dass ich tatsächlich ganz gut geschlafen hatte. Und das trotz der Panikattacke heute Nacht. Eigentlich dachte ich, dass diese Zeit vorbei war, aber ich hatte mich wohl getäuscht. Zum Glück war Wincent noch da.
Wo war der eigentlich? Ich tastete vorsichtig auf die andere Bettseite, aber sie war kalt und leer. Hatte ich nur geträumt?
„Fritz?", rief ich leise, aber es kam keine Reaktion.
Was war denn heute für ein komischer Tag? Fritz reagierte sonst immer. Das konnte doch nicht sein. War das ein Albtraum und ich schlief eigentlich noch?
Ich blieb einfach im Bett liegen, denn ich hatte keine Lust aufzustehen. Und ich war zu müde für weitere Grübeleien, weswegen ich mich einfach umdrehte und die Augen wieder schloss. Vielleicht konnte ich ja nochmal schlafen. Leider klappte das nicht, denn die Gedanken an meine Panikattacke ließen mich nicht in Ruhe. Durch was wurden sie ausgelöst? Ich hatte doch alles im Griff.
Das Karussell in meinem Kopf wurde unterbrochen, als ich einen Schlüssel in der Wohnungstür und kurz darauf Hundepfoten hörte.
„Psst, Fritz. Sonst wecken wir Frauchen", sagte Wincent leise, aber bei mir kam es trotzdem an.
Irgendwie war es ja süß, dass er mich nicht wecken wollte. Auch, wenn er mir mit seiner und Fritz Abwesenheit kurz einen Schreck eingejagt hatte. Immerhin wachte ich sonst immer mit meinem Hund neben dem Bett auf.
Ich hörte Schritte und Hundepfoten, die in Richtung Küche gingen. Fritz war ja mal absolut vernarrt in Wincent und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Kurz überlegte ich, einfach im Bett zu bleiben, aber meine Blase war dagegen. Also stand ich schweren Herzens auf und tappte ins Bad. Gar nicht so einfach, denn ich versuchte, möglichst leise zu sein. Wincent musste nicht wissen, dass ich schon wach war, und Fritz wusste es wahrscheinlich sowieso schon. Ein Wunder, dass er noch nicht neben mir stand. Was auch immer Wincent tat, es fesselte die gesamte Aufmerksamkeit meines Hundes.
Zumindest solange, bis ich den Wasserhahn öffnete und kurz danach das Schubfach, in dem mein Vater meine ganzen Kosmetiksachen aufbewahrte. Da hörte ich dann nämlich ein Kratzen an der Badezimmertür. Fritz hatte offenbar mitgeschnitten, dass ich wach war.
„Fritz? Was ist denn mit dir jetzt los?", fragte Wincent und seine Stimme kam währenddessen immer näher.
Fritz kratzte wieder an der Tür.
„Was denn? Wieso willst du ins Bad?"
Fritz bellte kurz und ich stellte mir vor, wie Wincent verzweifelt vor der Tür stand und über das Verhalten grübelte. Ich musste das Lachen unterdrücken, denn der Gedanke war zu witzig. Sollte ich Wincent erlösen? Immerhin war ich ja fertig.
„Fritz, du warst doch schon draußen. Oder ist dein Frauchen da drin? Meinst du, sie ist wach?", hörte ich Wincent ganz offensichtlich mit meinem Hund reden. „Du findest, es ist Zeit fürs Frühstück?"
Bei diesem Wort drehte sich mir der Magen um und ich tastete mich schnell zur Toilette. Scheiße ey! Diese Zeit war doch längst vorbei. Warum kam jetzt der ganze Scheiß von damals wieder hoch? Ich wollte doch nur einmal ein kleines bisschen Glück haben. Fritz kratzte wieder an der Tür, diesmal mit deutlich mehr Nachdruck. Kurz darauf folgte ein Klopfen.
„Anna?", fragte Wincent nun deutlich besorgt.

Bin ich für sie blind? Where stories live. Discover now