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Wincent

Das Gespräch mit Johannes ging mir auch dann nicht aus dem Kopf, als ich im Hotel lag und eigentlich schlafen sollte. Irgendwo hatte er Recht, aber war das nicht zu viel? Und zu früh? Ich hatte diesen Fehler schon so oft gemacht. Ich wollte das nicht mehr, schon gar nicht bei Anna. Die Vorstellung, sie zu verletzen, versetzte mir einen Stich. Wahrscheinlich wäre es besser, sie in Ruhe zu lassen. Immerhin war ich ständig unterwegs und auch wenn im nächsten Jahr keine Tour geplant war, hieß das nicht, dass ich Zuhause saß. Klar, Anna hatte sicherlich auch einen Job, aber ich ertrug die Vorstellung nicht, dass sie abends alleine war, während ich durch die Gegend fuhr. So sollte eine Beziehung nicht sein und vor allem bei Anna erschien mir das noch schlimmer. Ich sollte Zeit mit ihr verbringen, ihre Welt kennenlernen und nicht durch die Weltgeschichte reisen. Andererseits brach mir der Gedanke, Anna nie wieder zu sehen, ebenso das Herz.
Fuck ey! Wieso lief bei mir privat eigentlich nie etwas so, wie ich wollte? Und warum musste Liebe so fucking kompliziert sein? Konnte ich nicht einmal in meinem Leben glücklich sein? Ohne Kompromisse? Einfach frei sein und nur meinem Herzen folgen, ohne ständig auch an andere Menschen denken zu müssen. Das war mein Traum. Mit Anna.
Anna! Ich wollte mich doch noch melden!
Ich suchte verzweifelt nach meinem Handy und entsperrte es sofort. Die ungelesene Nachricht von vorhin sprang mir direkt entgegen. Ich legte mich aufs Bett, machte es mir bequem, verband meine AirPods und hörte mir die Nachricht an. Der Klang von Annas Stimme ließ mich sofort alle negativen Gedanken vergessen. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, dass sie jetzt mit mir hier war. Wie wir den morgigen Tag planten. Und unsere nächsten Abendessen. Sie an meiner Seite. Wie wir gemeinsam eine neue Welt schufen, in der ihre Blindheit keine Rolle spielte. Wo es nur uns beide gab.
"Okay Wincent, jetzt reiß dich mal zusammen", ermahnte ich mich selbst und öffnete die Augen wieder. "Träumen kannst du im Schlaf. Jetzt musst du erst einmal eine vernünftige Antwort formulieren."
Seit wann führte ich Selbstgespräche? Ich sollte vermutlich mal weniger Alkohol trinken und mehr schlafen. Also ab morgen Abend vielleicht. Oder erst im neuen Jahr. Vielleicht irgendwann.

Annalena

Ich lag noch lange wach und wartete auf die Info, dass Wincent geantwortet hatte. Wieso meldete er sich nicht? War er noch unterwegs? Aber er sagte doch, dass er sich nochmal meldet. War ich ihm jetzt schon zu viel? Vielleicht egal? Nicht spannend genug?
Eigentlich wollte ich das nicht glauben. Wahrscheinlich hatte er einfach nur zu viel zu tun, um zu antworten. Er konnte ja nicht wissen, dass ich seit Stunden sehnsüchtig auf eine Nachricht wartete. Woher denn auch?
Ich lenkte mich eine ganze Weile mit Musik ab und schließlich hielt ich es in meiner Wohnung nicht mehr aus. Ich rief nach Fritz, leinte ihn an und verließ nur mit Handy und Schlüssel in der Tasche das Haus. Eine große Runde durch den nahegelegenen Park klang jetzt wie die beste Idee. Auch wenn ich erst vor wenigen Stunden mit ihm draußen war, genoss er die frische Luft. Genau wie ich. Natürlich musste ich direkt wieder an Wincent denken, denn die Zeilen von seinem Hit ‚Frische Luft' sprangen mir im Kopf herum. Wieso war dieser Mann neuerdings überall? Spotify spielte gefühlt nur noch seine Songs und im Radio genau das gleiche. Das konnte doch kein Zufall sein.
Ich wusste, dass es vergleichsweise spät war, sodass ich nur ganz wenigen Menschen begegnete. Das war ganz gut so, denn ich wollte alleine sein. Also eigentlich nicht, denn ich wünschte mir eine ganz bestimmte Person an meine Seite, aber es ging nicht. Und deshalb war ich lieber alleine. Also mit Fritz natürlich.
Wieder Zuhause, zog ich meine Sachen aus, räumte sie weg und ließ mich dann auf die Couch fallen. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber es war mir auch egal. Kurz überlegte ich, ob ich Wincent vielleicht einfach eine Gute Nacht wünschen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Er würde sich schon melden. Und tatsächlich erklang in genau diesem Moment der Benachrichtigungston von meinem Handy. Wo zur Hölle hatte ich es nur hingelegt? Ich war doch sonst nicht so chaotisch.
Schließlich fand ich es im Flur auf dem Schuhschrank und rief schnell die Nachricht von Wincent auf. Zumindest hoffte ich, dass sie von ihm war.
"Hey Anna." Verdammt. Die war nur von Lara.
"Ich weiß nicht, ob du schon schläfst, aber ich wollte dich nur kurz in Kenntnis setzen. Deine beste Freundin ist nämlich seit wenigen Stunden wieder Single. Ich werde jetzt ganz viel Schokoladeneis mit Schokosoße, Kalorien müssen sein, essen. Vielleicht mach ich noch Smarties oder Gummibärchen oben drüber. Klingt eigentlich ganz gut. Naja und dazu dann noch Rotwein. Also nur ein Glas, keine Sorge. Hab dich lieb und jetzt schlaf weiter."
Oh je, auch das noch. Lara mit Liebeskummer war echt anstrengend. Vor allem, weil ich gehofft hatte, dass es diesmal halten würde. Offenbar waren meine beste Freundin und ich gleich untalentiert, was Männer anging. Nur war sie bisher weiter gekommen als ich. Meine erste und einzige Beziehung, auch wenn ich das niemals freiwillig so nennen würde, war im Abitur. Und das war auch bloß eine Wette zwischen den Jungs, also zählte es nicht.
Aber gut, jetzt musste ich mich um Lara kümmern.
"Lara, ich bin noch wach und werde jetzt ganz sicher nicht schlafen gehen. Was ist denn passiert? Ich dachte, ihr wolltet ins Kino und Abendessen gehen. Weil es traurig ist, darfst du ausnahmsweise so viele Kalorien essen wie du willst. Aber nur, wenn ich nicht wieder mit ins Gym kommen muss, damit du die Kilos irgendwann wieder runter bekommst. Ich bin auf jeden Fall immer für dich da, okay? Hab dich lieb, beste Freundin."
Ich schleppte mich ins Badezimmer und machte mich bettfertig. Dann tappte ich ins Schlafzimmer und kuschelte mich unter die Decke. Mein Handy lag griffbereit neben mir. Ich wusste nicht so ganz genau, auf welche Nachricht ich wartete. Wenn Lara sich nochmal meldete, wusste ich, dass es ihr besser ging. Allerdings ließ die Aussicht darauf, dass Wincent sich melden würde, mein Herz schneller schlagen. Wie machte der Mann das nur? Ich musste nur an ihn denken und schon bekam ich Herzklopfen.
In dem Moment, als mir endlich die Augen zufielen, gab mein Handy einen Ton von sich und ich war sofort hellwach. Mit angehaltenem Atem rief ich die neue Nachricht auf.

Bin ich für sie blind? Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang