#6 - Und jetzt?

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Don't Let Me Go.

Von Harry Styles.

Seine warme Stimme ertönte aus den Lautsprechern meines Autos. Am liebsten hätte ich losgeschrien und um mich getreten. Wieso musste das Lied kommen, wieso??

Ich legte meine Hände über mein Gesicht, um die verzweifelten Geräusche, die ich von mir gab, zu dämpfen.

Don't let me go

'Cause I'm tired of feeling alone

Ich hatte Harrys Stimme schon immer am meisten gemocht von den Jungs. Liam hatte zwar DIE perfekte Stimme, Zayn konnte die wahnsinnigen, hohen Töne singen, bei denen ich jedes Mal Gänsehaut bekam  – aber Harrys Stimme war einfach einzigartig. Ich hatte sie vom ersten Augenblick, als ich sie hörte, über alles geliebt. Sie konnte die hohen Töne singen, die tiefen, und sie war einfach so ausdrucksstark.

Nun hatte ich sie live gehört. Sie hatte zu mir gesprochen.

Geht es nur mir so oder spürst du das auch? ... - ich hatte seine Stimme wieder im Ohr. Er hatte das wirklich zu mir gesagt.

Just trying to make you understand

I'll keep my eyes wide open

Unwillkürlich lachte ich auf. Ja klar, du hältst deine Augen bestimmt weit offen, damit du mich wiederfindest – doch die Chance ist zu gering, dass du mich jemals auf irgendeinem ‚Social Network' bemerkst geschweige denn dass wir uns jemals wiedersehen.

Ich wusste nicht, was mit mir los war, aber plötzlich hatte ich mein Handy in der Hand und stellte „diesen einen Titel wiederholen" ein.

Harrys Stimme und meine Tränen begleiteten mich den Weg nach Hause.

Als ich den Motor abstellte, musste ich schweren Herzens das Lied ausmachen. Ich nahm meine Tasche vom Beifahrersitz, schloss mein Auto ab und lief auf die Haustür zu. Drinnen angekommen bemerkte ich, dass niemand zu Hause war. Mom war sicher noch in München arbeiten und Leo, mein älterer Bruder, war wieder sonst wo unterwegs. Gut so, dann konnte ich mich wenigstens ungestört in meinem Elend suhlen.

Erst einmal ging ich unter die Dusche.

Dort fingen meine Tränen wieder an zu laufen. Ich konnte einfach nichts dagegen machen, es war, als würden sie direkt aus dem Loch in meiner Brust kommen.

Irgendwie schaffte ich es dann doch, mich fertig zu machen und meine langen Haare, die mir bis zur Taille gingen, zu föhnen.

Anschließend legte ich mich in Jogginghose und weitem Kuschelpulli in mein Bett.

Ich checkte mein Handy. Ich ignorierte sämtliche angezeigte Nachrichten, die ich bekommen hatte. Erst jetzt bemerkte ich die Facebook-Veranstaltungserinnerung.

Welcome-Baaaaack-Party! Ich freu mich auf euch Bitches! :P

 Wouh, shit!!

Das traf mich wie ein Schlag in die Magengrube.

Oh mein Gott.

Oh. Mein. GOTT!

Heute war die Willkommens-Party von Nico.

Meinem Freund.

Oder Exfreund.

Naja, Noch-Freund. Oder eher Fast-Exfreund. Vielleicht auch ichschlagdirindieFresse-Exfreund?

Ich hatte keine Ahnung. – um Klartext zu reden: Nico und ich waren seit letztem Jahr Mai zusammen. Dann ist er im September für ein Jahr nach Texas gegangen. Dort hat er anscheinend sehr viel Spaß gehabt. Zumindest den Fotos nach zu urteilen, auf denen er in sämtlichen Netzwerken von Facebook über Instagram bis hin zu Twitter markiert wurde. Ich führe jetzt besser nicht aus, was auf diesen Fotos zu sehen ist.

Seit sie vor einem halben Jahr aufgetaucht waren, hatten wir keinen Kontakt mehr.

Ich weiß, das ist wahnsinnig kindisch, aber ich war so angepisst und sauer und enttäuscht und wütend und habe getobt wie noch einmal was. Ich hatte schlichtweg keinen Bock mehr auf diesen Kerl. Innerlich hatte ich schon Schluss gemacht mit ihm, nur offiziell irgendwie noch nicht. Aber ich war schlicht und einfach durch mit ihm. Er hatte sich ja auch kein Stück für mich interessiert! Er hat sie nie gemeldet. Das nahm ich ihm besonders übel.

Aber eigentlich hatte ich ihn sogar schon vergessen, bis dann die Einladung für diese Willkommensparty kam. Ich konnte meiner Facebook-Benachrichtigung damals fast nicht glauben. Ich dachte schon, ich würde in seinen Augen nicht mehr existieren. Aber wow, er hatte mich wirklich eingeladen!

- naja, bis ich gesehen habe, dass er seine komplette Freundesliste in Facebook eingeladen hat. Schlappe 873 Leute.

Das hatte ich verbittert wahrgenommen. Ich habe bis heute nicht auf zusagen oder absagen geklickt. Ich war eingeladen, aber es sah so aus, als würde ich diese Veranstaltung ignorieren. Was ich bis vor fünf Minuten auch getan hatte.
Tja, und jetzt? Soll ich hingehen oder nicht? – Ach komm, ich geh hin, mein Tag war eh schon so beschissen, dass das gar nicht mehr getoppt werden konnte. Außerdem konnte ich es nicht erwarten, ihm eine zu kleben, und das am besten vor allen Anwesenden. Ich war eigentlich keine Drama-Queen, ich hasste es, wenn ich gegen meinen Willen in den Mittelpunkt gezogen wurde, doch ich wollte die Genugtuung spüren, dass er sich bloßgestellt fühlte und sich jeder über ihn das Maul zerriss.

Dass ich damit auch in aller Munde sein würde, war mir momentan ziemlich schnuppe. Hauptsache, ich bekam endlich, was ich tun wollte.

Ich ließ mein Handy seufzend neben mich auf mein Kopfkissen plumpsen. Ich starrte an die Wand und sofort erschien er wieder in meinem Kopf.

Wie konnte man so perfekt sein.

Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Nein, nein, nein, ich hatte heute schon genug Tränen vergossen!

Ich rappelte mich auf, ging ins Wohnzimmer und kuschelte mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein, um mich abzulenken.

„... Schreckliches passiert. Ein Amokläufer war in der Olympiahalle in München unterwegs."

Himmel, ich kam wohl nie um ihn herum...

„... Dort sollte heute Abend eigentlich das heißersehnte Konzert der britischen Pop-Boyband One Direction stattfinden. Dies wird nun leider abgesagt, da man niemanden irgendeiner Gefahr aussetzen möchte. ‚Es tut uns so wahnsinnig leid, München! Aber wir holen das nach! Das verspreche ich euch!!', schrieb Liam Payne, eines der fünf Mitglieder der Band, vor ein paar Stunden auf Twitter. Die Fans machen ihrer Trauer Luft. Es wurde sogar ein eigener Hashtag ‚#1DcomeBackToMunich' erstellt. Wir sind auf alle Fälle sehr, sehr froh, dass unseren Jungs und auch den hunderten von Fans, die die Halle belagert haben, um ihre Idole zu sehen, nichts passiert ist. Es wurde keiner verletzt und der Amokläufer konnte gefasst werden, nachdem er eine Bombe in einem der Büros im westlichen Teil der Halle hatte hochgehen lassen. Wir können – "

Ich schaltete den Ton des Fernsehers aus. Mein Kopf war kurz vorm Platzen.

Ich dachte an Harry. (Komisch, mal was ganz Neues.) Wie ging es ihm jetzt? Dachte er auch an mich?

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt