#65 - Live dabei

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Wir gingen zurück zum Backroom. Als wir hineingingen, war es ziemlich laut und jeder grinste vor sich hin. Wir wurden automatisch angesteckt. Jedem hier war bewusst, dass andere Leute für unseren Job töten würden.

Zu Recht, dachte ich. Es war wirklich der Hammer. Und der Empfang war ja erst der Anfang gewesen.

Wir setzten uns wieder auf unseren Stammplatz hinten an der Wand auf die Arbeitsplatte, da erhob Wayne die Stimme, deutete über seinen Kopf auf zwei riesige Monitore und sagte: „Ihr könnt hier die Verleihung live verfolgen. Wer möchte, kann sich aber auch in die Halle reinsetzen. Einfach dorthin, wo noch Platz war."

Joy und ich sprangen zeitgleich auf. Das würde ich mir nicht zweimal sagen lassen.

Als wir bei der Tür waren, sah ich erstaunt, dass uns gar nicht so viele Leute folgten. Hallo, was geht bei euch schief?! Ich sitze doch nicht lieber hinter den Kulissen, wenn ich direkt vor der Bühne sitzen kann?! Die Aufzeichnung kann ich mir auch im Internet anschauen, aber live geht das nur einmal!

Kopfschüttelnd ging ich weiter und Joy sah mich an und nickte nur. Sie wusste genau, was ich dachte, und sie war natürlich meiner Meinung.

Wir kamen zur Eingangstür der Verleihungshalle und zeigten unseren EMAs-Ausweis vor, sodass wir reingelassen wurden. Ich zog Joy gleich an der Hand weit nach vorne, wo wir auch noch gute Plätze bekamen.

Ich hatte mir vorhin noch schnell mein Handy aus meiner Tasche gezogen. Es ging noch nicht los, also konnte ich noch schnell ein paar Nachrichten verschicken. Ich tippte in rasender Geschwindigkeit und versuchte eigentlich, mich kurz zu halten, nur scheiterte kläglich, denn der Text wurde immer und immer länger. Ich schickte ihn an Caro, Leo, Jana und Mom. Leo las ihn sofort, aber antwortete nicht, so wie wir das vorhin ja ausgemacht hatten. Mom hatte keine Zeit, irgendetwas Unwichtiges – verglichen mit den European Music Awards – von ihrer Tochter zu lesen, sie musste die Fäden dieser Veranstaltung ziehen und hatte damit alle Hände voll zu tun. Caro antwortete sofort und wir schrieben ein bisschen. Sie sah das alles genauso wie Joy, ich sollte einfach abwarten, wie es weiterging.

‚Vielleicht war er einfach wie du viel zu perplex! Oder er hat sich nicht getraut, weil er ja (genauso wenig wie du) weiß, was jetzt da zwischen euch ist (was ja keiner weiß..). Oder es gab einfach keine Zeit zum Miteinanderreden (worauf ich tippe). Schließlich hast du ja gleich das Weite gesucht und bist blitzschnell abgehauen. Du kleiner Feigling. Das passt gar nicht zu dir, Draufgänger-Sammy :P'

‚Bist du jetzt neuerdings auf Harrys Seite?', antwortete ich verwundert.

‚Nein, ich sehe das alles nur objektiv und versuche, es unvoreingenommen zu beurteilen und zu analysieren. Sei froh, dass du mich als deine zweite Gehirnhälfte hast, Schnuffi :*'

Ja, das war ich auch. Mehr als froh.

 Jana war nicht online, und das wunderte mich ehrlich gesagt, aber wahrscheinlich klebte sie am Monitor von ihrem Laptop, weil sie ja die Live-Übertragung im Internet schauen wollte, und bekam nicht mit, dass ihr Handy vibriert hatte und ich ihr geschrieben hatte.

Endlich ging das Licht aus und es ging los.

Die EMAs waren der Hammer.

Sie wurde ja nur von Stars gehalten – Reden, Moderationen, Auftritte, Danksagungen.

Wir kamen uns vor wie im Himmel. Der einzige Dämpfer war, dass One Direction geschlagene sechs Awards gewann und sie also auch sechsmal auf die Bühne kamen... Ich war insgeheim froh, dass sie wenigstens nicht performten, sonst hätte ich mir wirklich die Kugel gegeben.

Jedes Mal, wenn sie wieder strahlend auf die Bühne kamen, wurde mir ein wenig elender zumute. Harry strahlte über beide Ohren und bedankte sich bei all den Fans und allen, die sonst hinter ihnen standen.

Ich spürte, wie sich eine Hand in meine schob und ihre Finger mit meinen verflocht. Ich löste meinen Blick nicht von vorne und hörte nur Joys Stimme ganz nah an meinem Ohr: „Du bist so tapfer und stark, Sam, ich bewundere dich so, so, so sehr. Ich hätte an deiner Stelle schon längst geweint... nein, ehrlich gesagt wäre ich schon nach Hause gefahren. Ich bewundere dich so."

Sie war so süß. Ich lächelte ein wenig, aber sah immer noch nach vorne. Mein Blick hatte sich an Harry festgesaugt, ich konnte nichts dagegen machen. Ich war machtlos gegen diese magische Anziehungskraft.

Nachdem sie wieder weg waren und ich ihn nicht mehr anstarren konnte, musste, wollte,... – wie auch immer – sah ich auf meinem Handy auf die Uhr.

„Joy, wir müssen wieder rüber", informierte ich sie und wir schlichen uns schweren Herzens aus der Halle. Ich war ziemlich geknickt, denn jetzt kam eigentlich noch der Auftritt von Katy Perry mit Unconditionally. Ich hatte selber mit ihrem Manager vor ein paar Wochen telefoniert und alles für diesen Auftritt arrangiert. Und ausgerechnet den konnte ich jetzt nicht sehen.

Da war ich doch ziemlich enttäuscht...

Als wir wieder im Backroom waren, kam uns Wayne in der Tür entgegen. Er erblickte uns und sagte im Vorbeigehen: „Sam, komm bitte mit, ich brauche Hilfe! Du kannst auch gleich mitkommen, Joy!" Er blieb nicht einmal stehen, um das zu sagen. Wir sahen uns verwirrt an und beeilten uns, ihm zu folgen. Er ging schnellen Schrittes in den Speisesaal.

„Wir müssen schnell nochmal alles kontrollieren", sagte er und deutete auf die Tische. „Sam, du machst den hinteren Teil, Joy, du den da drüben, und ich mach die Mitte. Schaut, ob alles sauber ist, ob die Gläser gerade stehen, ob das Besteck vollständig ist und so weiter", ordnete er uns an und rauschte auch schon davon.

Ich lief auch in die Richtung, in die er gedeutet hatte, und fing an, die Tische abzulaufen. Ab und zu stand ein Stuhl schief oder eine Gabel lag verschoben da, aber sonst war alles perfekt. Die Deko war einfach der Hammer. Alles in Dunkelrot (passend zu unseren Schürzen) und überall waren kleine Lichter wie Sterne verteilt.

Als wir fertig waren, eilten wir in den Backroom und legten uns die Schürzen um. Wir griffen nach den Handbestellgeräten und gingen zu einem der Essenspläne, die an der Wand hingen. Auf ihnen stand genau drauf, was es alles gab. Es gab fünf Gänge, das war noch einfach, aber man konnte in jedem Gang zwischen mindestens drei Gerichten auswählen. Deswegen würden wir auch die Bestellgeräte brauchen, damit wir einspeichern konnten, wer was bekam.

Als wir die Automaten anmachten, musste jeder seine zugeordnete Tischzahl eintippen, und dann tauchten auf dem Display die Namen der Personen auf, die an dem Tisch saßen, sodass man genau einspeichern konnte, wer was essen würde.

Total abgefahren, dachte ich grinsend.

Später konnte man dann schauen: ‚Aha, Niall hatte dreimal beim Hauptgang nachbestellt, während Rihanna zwei Desserts gegessen hat.'

Ich kicherte und drehte mich dann weg von dem Plan.

„Okay, los geht's", sagte Wayne und klatschte zweimal in die Hände.

Gut, auf ein Neues.

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