#75 - Welcome to the party!

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Perplex sah ich ihm hinterher, als er durch die Tür verschwand.

Ich drehte mich zu den anderen um, die hier auch noch standen, und sie sahen mich genauso an wie ich sie. Wir waren alle ein wenig neben der Spur. Ich am meisten.

Ich sollte weiterkellnern? Wieder reingehen und weitermachen? Kann mich mal jemand kneifen bitte?

Ich starrte jetzt wieder zurück in die Richtung, in die Wayne verschwunden ist und ich wachte abrupt auf, als mir jemand mit der flachen Hand auf den Hintern haute. (Was hatten die heute alle mit meinem Hintern?!) Erschrocken drehte ich mich um und sah in Joys kristallblaue Augen, die mich erwartungsvoll anstrahlten.

„Beweg dich, Sammy! Hopp!"

Mehr musste sie gar nicht sagen. Meine Muskeln gehorchten ihrer Aufforderung und ich lief auf die Hintertür zu, als wäre ich ein Roboter.

„Sam."

Ich drehte mich um.

„Schreib mir, wenn du in der S-Bahn nach Hause sitzt heute Nacht... oder morgen Früh. Oder Mittag." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Oder wann auch immer. Aber schreib mir! Bitte!"

Ich nickte nur stumm als Bestätigung. Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und schob mich durch die Tür.

„Nutz die Gelegenheit", raunte sie mir von hinten ins Ohr und ich nickte wieder. Ich würde sie nutzen, das musste man mir nicht zweimal sagen.

Ich würde überall auf dich warten, ich würde alles für dich tun.'

Harrys Worte aus seinem kleinen Briefchen erschienen vor meinen Augen. Sie hatten sich nicht nur auf meiner Netzhaut eingebrannt, sondern vor allem auch in meinem Herzen.

Mein Mund verzog sich von alleine zu einem breiten Lächeln und ich drehte mich zu Joy um. Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, grinste sie zufrieden zurück.

„Na also", meinte sie und rempelte mich mit der Schulter leicht an. „Du schaffst d..."

„Sam!", unterbrach sie eine Stimme hinter mir. Nina stand dort und winkte mich hektisch zu sich. Ich drückte Joy noch einmal kurz an mich und eilte dann Nina hinterher.

Als sie mich zurück in den Backroom gescheucht hatte, ordnete sie mir an, dass ich mich wieder umziehen sollte.

„Aber ich hab noch meine Sachen an", antwortete ich ihr geduldig, als ich mich aus meiner Jacke schälte und sie sehen ließ, dass ich sowohl meine Bluse als auch noch Rock und Leggings trug.

„Sehr gut, super!", sagte sie und lächelte mich erleichtert an. Sie war wirklich megagestresst. Ich war mir ja nicht so sicher, ob das so gesund war. So jung, so schön, und schon so gestresst.

„Schuhe....", sagte sie, und ihr Blick wanderte an mir hinunter und blieb an meinen schwarzen, glitzernden Supras hängen. „Oh man, die sind ja megageil!", rief sie begeistert aus und ich musste lachen.

„Lass die an. Du würdest die Nacht in High Heels eh nicht überleben, das Dinner war schon lang und anstrengend genug in deinen Mörderschuhen für deine armen Füße."

„Danke", seufzte ich erleichtert.

„Gut, also", fing sie an und schob mich gleichzeitig aus dem Backroom. Während sie hinter mir durch die leeren Gänge lief (die Party war wohl schon in vollem Gange), bekam ich eine superschnelle Schnellzusammenfassung, was man an der Bar alles an Getränken haben konnte. Ich tat mir eigentlich ziemlich leicht, ihr zu folgen. Das Einzige, was anders war als bei mir damals im Restaurant, war, dass meine „Kunden" englischsprachig waren, aber das war ja bekanntlich kein Problem für mich. Und außerdem hatten die meisten Cocktails eh im Englischen und im Deutschen dieselben Namen: Swimming Pool, Pina Colada, Sex on the Beach und so weiter.

Also alles ganz easy.

Nina erklärte mir, dass ich an der Main-Bar arbeiten musste – das war die Haupt-Bar in der Mitte, die größte der Bars und die Bar, an der die meisten eben ihre Cocktails kauften. Naja, holten, nicht kauften, denn hier musste ja nichts bezahlt werden. Das war eine Erleichterung, ehrlich gesagt. So konnte ich mich auf die Getränke konzentrieren und musste mich nicht auch noch mit dem Wechselgeld und so weiter abmühen.

Wir liefen (oder eher: hasteten) jetzt durch einen Gang, in dem ich noch nie vorher gewesen bin (ich hatte langsam eh den Überblick über die ganzen Gänge, die alle irgendwie gleich aussahen, verloren). Er lag, glaube ich, ziemlich am Ende der Halle. Wahrscheinlich war hier gleich irgendwo ein weiterer, geheimer Mitarbeitereingang.

Als Nina vor einer offenen Tür stoppte, wurde meine Vermutung bestätigt.

Im Eingang der Tür standen mehrere Leute, die laut diskutierten und alle irgendwelche Zettel in der Hand hatten.

Nina hielt mich am Arm fest, als sie sich durch die Leute kämpfte, damit sie mich nicht verlor.

„Schatz", hörte ich plötzlich eine mir sehr bekannte Stimme und ich drehte mich blitzschnell um.

„Mom", keuchte ich schon fast und fiel ihr im nächsten Augenblick um den Hals.

Wärme durchwallte mich und ich verbarg mein Gesicht in dem Kragen ihres Blazers.

Sie hielt mich für einen Moment ganz fest und löste dann sanft meine Arme von ihrem Hals.

„Sam, du musst jetzt reingehen und den Laden schmeißen. So wie immer eben", sagte sie zwinkernd und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Ich hatte gar keine Möglichkeit, ihr zu antworten, denn Nina riss mich einfach am Handgelenk weiter.

Als ich den Blick von Moms aufmunternden Augen hinter mir löste, drehte ich den Kopf nach vorne.

Und sah jetzt das erste Mal die legendäre EMAs-Aftershow-Party.

Mir blieb die Spucke weg.

Die Halle sah  – natürlich –  wahnsinnig, abgefahren, unfassbar geil aus.

Überall waren kleine Scheinwerfer, die sich bewegten und verschiedenfarbige Lichter passend zum Beat der Musik in den Raum schickten.

Die Stühle der Verleihung waren fast alle verschwunden und es gab jetzt eine riesige Tanzfläche, die auch schon gut gefüllt war mit tanzenden Stars und Sternchen aus aller Welt.

Ich sog die Atmosphäre dieses großen Raumes in meine Lungen, mein Herz und mein Hirn ein und sofort durchströmte meinen ganzen Körper ein überwältigendes Kribbeln bis in jede einzelne Zelle.

Ich war zu Hause.

Musik, Party, Tanzen.

Vor allem Tanzen.

Schade, dass ich nur zuschauen durfte, dachte ich grinsend. Justin hätte sich bestimmt über einmal Dirty Dancing mit mir gefreut. Tanzen konnte er ja. Auch wenn sein Tanzstil ziemlich ... einseitig war. Lieber würde ich mit einem anderen Kerl hier in diesem Raum tanzen.

Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag, als ich auch nur an ihn dachte.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt