#89 - Mittwoch 2.0 - oha.

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Um zwei Minuten vor halb elf trat ich durch die blöde automatische Schiebetür (ja, ich hasse diese Dinger immer noch) von Moms Büro.

Irgendwie war ich ein wenig aufgeregt, Wayne zu sehen, immerhin war er ja mein Chef. Oder ist es gewesen.

Ich blieb hier im Vorzimmer und setzte mich auf den Schreibtischstuhl hinter dem Schreibtisch, der jetzt wochenlang mein Eigen gewesen ist, und wartete, dass Mom und Wayne aus dem Büro kommen würden.

Ich sah mich um und war insgeheim froh, dass die EMAs vorüber waren und somit auch mein Job als Moms Assistentin vorbei war. Es war schon ziemlich stressig gewesen, besonders, weil die ganzen Manager der Stars einfach total abgehoben und arrogant waren und das Telefonieren mit ihnen die reinste Tortur gewesen ist – aber ich hatte die Zeit doch genossen. Die Welt der Stars, in die ich da hineingetaucht war, hatte schon immer eine anziehende Wirkung auf mich gehabt. Auch wenn ich nicht immer da drinnen sein wollte. Es konnte einen fertig machen und komplett zerstören, das hat man ja schon oft genug bei verschiedenen Leuten (ich werde jetzt keine Namen nennen) gesehen.

Während ich meinen Blick gedankenverloren umherschweifen ließ, spielte mein Kopf wieder ungefragt Kino.

Ich schluckte und erstarrte.

Ich sah zur Tür und erinnerte mich zurück, wie Harry hier drinnen gewesen ist und an mir vorbeigestürmt ist, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Unwillkürlich musste ich gegen meinen Willen doch irgendwie grinsen. Es ist schon witzig gewesen, als die Jungs dachten, dass Leo und ich zusammen wären. Ihre Gesichter, als sie erfahren hatten, dass er mein Bruder war! Hahaha, die waren damals wirklich unbezahlbar!

Leicht lächelnd strich ich mit dem Zeigefinger über die Armlehne des Lederstuhls und dachte wieder mal an Harry.

Verdammt, er war wirklich in jedem Gedanken, den ich fasste. Wenigstens war ich inzwischen einigermaßen ruhig, wenn ich an Freitag dachte. Ich hatte einfach keine Ahnung, was mich erwarten oder was passieren würde, also gab es auch keinen Grund zur Sorge.

Naja, außer dass mein Herz zersplittert und zerrissen auf dem Boden lag, aber sonst ging's mir super.

Badumm, der Galgenhumor mal wieder.

Gott sei Dank ging in diesem Moment die Tür von Moms Büro auf, sodass ich aus meinen schmerzhaften Gedanken gerissen wurde, bevor sie mich noch mehr innerlich zerreißen konnten (falls das überhaupt noch möglich war).

„Sam! Schön, dich wiederzusehen!", sagte Wayne, der vor Mom aus der Tür trat, und umarmte mich kurz.

„Hallo Wayne", erwiderte ich lächelnd. Mom grinste mich an und strich mir kurz über den Rücken.

„Kommt, wir gehen wieder rein, damit wir uns setzen können", schlug Mom vor und einige Sekunden später ließ ich mich neben Wayne auf dem schwarzen Lederstuhl nieder, der vor Moms Schreibtisch stand.

Beinahe hätte ich aufgestöhnt, als ich merkte, dass mein Stuhl exakt an der Stelle stand, an dem Harrys Stuhl damals auch gestanden hatte.

Ich hasse dich, Schicksal.

„Also", fing Wayne an, „ich möchte mich noch einmal bei dir bedanken. Du warst wirklich eine sehr große Hilfe am Samstag. Nicht nur, weil du einfach perfekt beim Kellnern warst, sondern weil du darüber hinaus auch noch weiter geholfen hast. Geschirr hineintragen, Flaschen tragen, und so weiter." Er lächelte mich an. „Danke nochmal."

„Habe ich doch gern gemacht", meinte ich ein wenig verlegen und lächelte leicht zurück.

„Das glaube ich dir gern, aber das ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass die Leute ihren Hintern von alleine bewegen und von selbst sehen, wo man noch Hand anlegen kann, ohne dass man extra gefragt wird. Ich war so froh, dass du an der Bar einspringen konntest. Gibt es eigentlich auch etwas, was du nicht kannst?!", zog er mich auf und lachte, genauso wie Mom. „Also guck, Sam, hier musst du bitte alles ausfüllen", er schob mir ein Formular hin, „Name, Adresse, Kontonummer und so weiter, damit ich dir deinen Lohn von Samstag überweisen kann. Du kriegst übrigens 900 Euro."

Ich riss die Augen auf und sah ihn an. „Was, 900 Euro?! Krass!! Danke!"

„Nichts zu danken", lachte er und ich machte mich daran, das Formular auszufüllen.

Krass, 900 Euro.

Neunhundert!

Das waren dann also 550 für die sechseinhalb Stunden, die ich hinter der Bar verbracht hatte.

Geil.

Geil geil geil geil geil!

Mir wurde ganz schummrig von der hohen Summe, ich konnte es echt nicht fassen.

Als ich fertig war, schob ich ihm was Formular hin und Wayne nahm das Gespräch wieder auf. „Sam, ich würde dich gerne in meinem Veranstaltungsunternehmen engagieren."

„Was genau ist das?", fragte ich interessiert und sah ihn neugierig an.

„Wir werden für Veranstaltungen gebucht", erklärte Wayne, „also wenn jemand eine große Hochzeit feiert oder ein anderes Fest mit vielen Gästen, für das er eben Kellner braucht, kann man uns buchen und wir schicken dann unsere Leute – alles Kellner – dorthin. Also um ehrlich zu sein", er grinste mich ein wenig stolz an, „ist mein Veranstaltungsunternehmen in einer etwas gehobeneren Klasse. Das heißt, wir werden nur von Schauspielern, Politikern oder anderen ...wohlhabenden Leuten für richtig große Events gebucht. Dementsprechend hoch ist dann auch das Gehalt, das unsere Angestellten kriegen." Er zwinkerte mir grinsend zu.

„Wow! Ist ja echt cool!" Ich grinste zurück. Das klang wirklich richtig genial.

„Also hättest du Lust, bei mir einzusteigen?", fragte er und ich antwortete postwendend: „Auf alle Fälle!"

„Das freut mich sehr", sagte er und blickte auf seine Uhr. „Jetzt muss ich allerdings los, deswegen müssen wir uns wann anders treffen, um das zu besprechen. Also, war schön, euch wieder gesehen zu haben, und wir hören voneinander, Sam."

Er umarmte erst Mom (Küsschen links, Küsschen rechts) und dann mich (bei mir sparte er sich Gott sei Dank die Küsschen).

Als er schon fast zur Tür hinaus war, blieb er stehen und sagte: „Oh, Sam, beinahe hätte ich es vergessen! Hier ist die CD mit den Fotos, die die beiden Fotografen am Samstag von euch Kellnern gemacht haben! Da sind richtig gute Bilder dabei!"

Mit den Worten drückte er mir eine schlichte CD in einer durchsichtigen Hülle in die Hand und verschwand dann mit einem Winken durch die Tür in Richtung Aufzug.

Ich holte tief Luft. Mein Herz pochte mal wieder wie verrückt und meine Knie wurden bedrohlich weich.

Die Fotos.

Die hatte ich ja beinahe schon vergessen gehabt.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt