#46 - Mommy und ihre Kiddies

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Ich öffnete gerade den Mund, um nach René zu rufen, der mir jetzt schon ein paar Meter voraus war, als das Gewicht auf meiner Schulter und meinen Armen schlagartig verschwunden war. Ich drehte mich blitzschnell um und sah, dass ein Kumpel von Nico (einer aus seiner alten Football-Mannschaft) ihn jetzt über der Schulter liegen hatte. Er lächelte mich kurz an und drehte sich dann gleich zur Treppe und stapfte René hinterher, ohne dass ich noch etwas sagen konnte.

Ich wusste nicht einmal mehr, wie der Kerl hieß. Während ich mich beeilte, wieder zu ihm aufzuschließen, überlegte ich fieberhaft, aber ich kam einfach nicht drauf.

Naja, nicht so wichtig.

Als wir oben waren, hatten wir fast wieder zu René aufgeschlossen. Ich lief anderthalb Schritte hinter dem Football-Futzi, da ich nicht das Risiko eingehen wollte, dass ich mit ihm reden musste.

Caro stöckelte voraus und deutete in die Richtung von meinem Auto, René hatte wahrscheinlich danach gefragt. Ich zog hastig den Schlüssel aus meiner Hosentasche und drückte auf die Aufsperrtaste. Caro öffnete den Kofferraum und René ließ Carlos vorsichtig hinuntersinken und setzte ihn aufrecht hin. Carlos hatte zwar seine Augen geöffnet, aber er sah trotzdem nicht gut aus. Um genau zu sein: er sah aus, als würde er sich jeden Augenblick übergeben. Die Schaukeltour über Renés Schulter hatte seinem Magen wohl nicht so gut getan.

Der namenlose Kumpel von den Jungs setzte Nico daneben. Er wechselte ein paar Worte mit René, sie klatschten sich ab und da verschwand er auch schon, ohne sich noch einmal umzudrehen oder sich zu verabschieden.

„Nettes Kerlchen", kommentierte ich bissig. René zuckte nur mit den Schultern und widmete sich den zwei Saufnasen, die beide bedrohlich schwankend in der Öffnung meines Kofferraums saßen.

„Könnt ihr mich hören? Nico? Carlos?", fragte René und beugte sich runter, damit er ihnen ins Gesicht sehen konnte.

Nico stöhnte auf und nickte. Carlos gab ein Grunzen von sich.

Na, das ist doch schon mal etwas!

„Leute, was soll der Scheiß! Ich hab kein Bock, dass ich wegen meinen besten Freunden mit den Türstehern Probleme kriege!!", brauste René laut auf und die anderen beiden stöhnten zuckend, weil Renés laute Stimme wohl nicht sonderlich wohltuend für die kommenden Kater war, die sich bei den beiden überdeutlich in ihren Erbsenhirnen ankündigten.

„Ich glaube, die kriegen keinen geraden Satz heraus", meinte Caro nur seufzend und ich nickte bestätigend.

„René, geh du wieder rein. Das ist dein Geburtstag, ich fahr die beiden heim. Beziehungsweise die drei" und meinte Caro damit.

Da fiel mir noch etwas ein – „halt, eigentlich muss ich vier heimfahren! Ich hoffe, Ilona taucht bald auf!"

Suchend sah ich mich um und entdeckte sie auch sofort. Sie kam auf uns zu und schwenkte dabei breit grinsend einmal ihr Handy vor ihrem Gesicht, damit wir wussten, dass wir uns endlich auf den Heimweg machen konnten.

Als sie bei uns ankam, riss sie ihre Augen auf und meinte nur trocken: „Ach du heilige Kacke, wer hat uns jetzt noch zwei Bierflaschen zum Babysitten gegeben?!"

„Frag nicht", sagte ich und verdrehte die Augen. Sie grinste mich wissend an. Sie konnte sich wohl denken, was schon wieder passiert war.

Bierflaschen", wiederholte Caro lachend. „Ich finde auch, dass sie Flaschen sind – aber Bierflaschen find ich sogar noch besser!"

„Also", sagte ich, damit es hier endlich einmal vorwärts ging, und drehte mich wieder zu René, „geh wieder rein, ich kümmre mich um meine vier Kiddies."

„Aber ich will dich nicht mit den zwei alleine la-...", fing er an, aber ich schnitt ihm das Wort ab, indem ich ihn umarmte und sagte: „Ciao, René, viel Spaß noch, es war echt ... nett."

Die Übertreibung des Jahrhunderts. Aber okay, sehen wir einfach darüber mal hinweg.

Er seufzte und meinte geknickt: „Nein, es war nicht nett, für dich war's absolut scheiße und das tut mir so Leid, Sam."

„Ähm hallo?! Es war alles andere als scheiße?!", schaltete sich Ilona entrüstet ein und stemmte die Hände in die Hüfte. „Das war ungefähr der geilste Auftritt, den wir jemals hatten?! Und nur weil Sams beknackter Exfreund sich zum ungefähr 163.320.498. Mal zulaufen lassen hat, heißt das nicht, dass uns das die Laune verdorben hat! Es war end cool, René, also halt die Klappe und schleich dich endlich wieder auf deine eigene Geburtstagsparty!" Mit diesen Worten umarmte sie ihn und wir schickten ihn wieder nach drinnen. Er drehte sich noch einmal kurz zu uns und rief leise: „Schreib mir bitte, wenn du zu Hause bist, Sam, okay?"

Ich nickte lächelnd und reckte den Daumen als Antwort nach oben. Dann drehte ich mich wieder zu den beiden Bierleichen in meinem Auto und sagte patzig und ziemlich angepisst: „Ihr hättet euch an dem Geburtstag von eurem besten Kumpel echt zusammenreißen können!"

Beide reagierten nicht und ich stöhnte nur genervt auf.

„Okay. Auf die Rücksitzbank. Und zwar zackig. Wer in zehn Sekunden nicht angeschnallt im Auto sitzt, kann nach Hause laufen oder sich von den netten Jungs in den grünen Uniformen nach Hause fahren lassen."

Man glaubt es kaum – aber die beiden setzten sich sofort schwerfällig in Bewegung und saßen dann auch irgendwann im Auto (mit Hilfe von Caro und mir natürlich).

„Ich setz mich zwischen sie. Ihr habt schon genug durchgemacht", sagte Ilona und kletterte auch schon hinten rein, bevor wir überhaupt reagieren konnten.

Ich fuhr langsam los und versuchte, möglichst sachte zu fahren.

„Wenn jemand kotzt, darf er morgen zum Autoputzen kommen", knurrte ich, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, es würde keiner kotzen.

Tat auch niemand, bis wir bei Carlos ankamen. Caro und ich stiegen aus und bugsierten ihn vor die Haustür.

„Danke, echt süüüüüüß von dir", lallte Carlos und umarmte mich, wobei er beinahe umfiel, weil er das Gleichgewicht verlor, und mich fast zu Boden riss. Er drehte sich dann einfach weg und ging auf die Haustür zu. Er griff unter die Regenrinne und holte einen Haustürschlüssel hervor.

Als er schwankend nach drinnen verschwunden war, drehte ich mich um und wollte zurück zu meinem Auto gehen. Als ich merkte, dass Caro nicht folgte, drehte ich mich wieder um und ging wieder zu ihr. Ich sah ihr fest in die Augen.

„Vergiss ihn", sagte ich sanft und nahm sie kurz und fest in den Arm.

Sie sah mir nur mit einem herzzerreißend traurigen Blick an.

Als wir wieder im Auto saßen, sagte sie leise: „Kannst du mich zuhause absetzen bitte?"

Eigentlich war vereinbart, dass sie bei mir schlief, schließlich stand ja auch ihr Auto noch vor unserer Garage.

„Alles klar", sagte ich und strich ihr kurz tröstend über den Unterarm, bevor ich den Motor startete und ich erst Ilona und dann Caro absetzte. Beide drückten mich ganz fest zum Abschied, bedankten sich überschwänglich fürs Heimfahren und bläuten mir ein, dass ich ihnen schreiben sollte, wenn ich zu Hause war, damit sie sich keine Sorgen machen musste.

Ich ging von Caros Haustür zurück zu meinem Auto und setzte mich hinein.

Jetzt war ich mit ihm alleine.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt