#87 - Dienstag

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„...Und heute die Nachrichten brandaktuell vom Ort des Geschehens.
Ich stehe hier in München an dem Bett eines achtzehnjährigen Mädchens. Ihr Name ist Samantha Ferroni und sie bewegt sich seit zwei Tagen nicht aus ihrem Bett. Sie hat seit einer geraumen Zeit Liebeskummer und weigert sich, mit irgendwem zu sprechen oder auch nur irgendetwas zu machen. Sie-"

„Halt die Schnauze", knurrte ich und schleuderte ein Kissen in die Richtung, in der ich Jana vermutete.

Sie stand seit einer Viertelstunde in meinem Zimmer und quäkte rum, wieso ich nicht mit ihr redete, denn ich hatte mich bisher tot gestellt und kein einziges Mal reagiert oder die Augen aufgemacht.

Jetzt hatte sie sich eine Haarbürste als Mikrofon geschnappt, sich vor mein Bett positioniert und in eine imaginäre Kamera gesprochen, als wäre sie eine Nachrichtensprecherin.

Klar, sie wollte mich damit provozieren. Blöderweise ist ihr das auch gelungen und ich bin drauf angesprungen.

Es war inzwischen Dienstagnachmittag. Die letzten 18 Stunden waren an mir vorbeigezogen, ohne dass ich irgendetwas wahrgenommen hatte.

Eigentlich echt jämmerlich, was die Liebe mit einem Menschen anstellen kann.

Seufzend richtete ich mich auf. „Außerdem stimmt der Quark, den du da gerade gelabert hast, überhaupt nicht. Ich habe mich wohl aus meinem Bett bewegt und ich rede mit Leuten. Nur weil ich nicht reagiert habe, wenn du mi-"

„Klar, nur mit mir redest du nicht, mit allen anderen schon! Das ist so unfair!", unterbrach sie mich, bevor ich meinen Satz überhaupt zu Ende führen konnte, verschränkte die Arme und schob schmollend die Unterlippe vor.

„Du hast mich gerade wie so einen Assi dargestellt! Das hört sich so an, als würde ich schon stinkend in meinem Bett liegen und vergammeln. Ähm hallo, das ist gelogen?! Überleg dir mal vorher, was du für einen Blödsinn von dir gibst. Mir geht es gut, ich leide nur momentan an akuter Unlust, irgendetwas zu tun."

Genervt schwang ich die Beine aus dem Bett und fuhr mit den Händen durch meine noch vom Duschen etwas feuchten Haare. Ich war zu faul gewesen, sie zu föhnen, aber mich sah hier ja eh niemand, deswegen konnten meine Haare von mir aus kreuz und quer von meinem Kopf abstehen (was sie natürlich auch taten, weswegen ich sie jetzt schnell zu einem unordentlichen Dutt zusammenband).

„Was willst du hier eigentlich?", fragte ich ein wenig unfreundlich, während ich an ihr vorbeiging und die Treppe nach unten lief.

Sie antwortete mir nicht, aber ich hörte, dass sie mir folgte.

Als ich in der Küche war, drehte ich mich um und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen erwartungsvoll an.

Sie sah mich nur finster an und ließ sich auf einen Barhocker fallen.

„Ach so, verstehe. Du schmollst jetzt und sprichst nicht mehr mit mir. Okay, kein Problem", sagte ich und zuckte mit den Schultern. Lange würde es eh nicht dauern, bis sie sich wieder eingekriegt hatte und wieder wie ein Wasserfall plapperte.

Ich drehte mich zum Kühlschrank, machte mich seelenruhig daran zu schaffen und presste aus den Orangen, die ich dort drinnen fand, einen frischen Saft.

„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Und ich hab dich vermisst", grummelte Jana hinter mir und ich lächelte leicht bei ihrer Antwort, während ich ihr noch den Rücken zuwandte.

Ich drehte mich zu ihr um und sagte unschuldig: „Wie bitte? Ich hab den zweiten Teil nicht ganz verstanden."

Unwillkürlich musste sie lachen und schlug mir gegen den Oberarm. „Du blöde Kuh."

„Ich hab dich auch lieb, Kleine", erwiderte ich grinsend und streckte ihr die Zunge raus. Ich schob ihr ein Glas Orangensaft hin, griff nach dem zweiten für mich und ließ mich auf den anderen Barhocker gegenüber von ihr plumpsen.

„Wie geht's dir, Sammy?" Jana sah mich über den Tisch hinweg direkt an. Ich wusste, wie ihre Frage gemeint war. Es war nicht nur so einfaches Wiegehtesdir.

Ich erwiderte ihren Blick und dachte für einen Augenblick nach. Hm, wie ging es mir eigentlich?

„Keine Ahnung...", fing ich an und holte einmal tief Luft. „Ich weiß echt nicht, wie es mir geht... Irgendwie geht es mir gerade nicht mal schlecht. Ich meine, ich leide konstant seit einer Woche, langsam scheine ich es gewohnt zu sein, dass er mir immer nur weh tut..." Ich zuckte leicht mit den Schultern und verzog den Mund.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass er Taylor geküsst hat..." Jana starrte jetzt in ihren Orangensaft und drehte gedankenverloren das Glas in ihren Händen.

„Ich auch nicht... Ich dachte, ihm geht es genauso wie mir... und eigentlich sah es ja auch wirklich danach aus! Wie er immer reagiert hat, wenn er mich gesehen hat und so weiter!... Oder als wir uns das erste Mal gegenüber gestanden haben.... Ich verstehe es einfach nicht..."

Ich schluckte schwer, um die Tränen zurückzuhalten, die mir wieder in die Augen stiegen.

„Ich glaube einfach nicht, dass da wieder was zwischen denen läuft." Sie sah mich ernst an. „Ich glaube das einfach nicht. Frag mich nicht wieso, aber ich glaube es einfach nicht."

„Ja das nützt mir jetzt wahnsinnig viel, Jana", gab ich matt zurück und strich mir mit der Hand über meine unordentlichen Haare.

„Wann genau kommen die denn wieder?", stellte ich die Frage, die mir seit einiger Zeit im Kopf herumschwirrte und nicht verschwinden wollte.

„Freitag Spätnachmittag landen sie", antwortete Jana postwendend. (War ja eh klar, dass sie das wusste. Wenn ich danach fragen würde, könnte sie mir wahrscheinlich sogar auf die Minute genau die Ankunftszeit ihres Flugzeugs sagen.)

„Meinst du, er versucht irgendwie, mit dir zu reden?", fragte meine kleine Cousine und sah mich ein wenig aufgeregt an.

„Keine Ahnung, das hat Leo auch schon gefragt..."

„Und was denkt er?"

Ich zuckte mit den Schultern, als sei es keine große Sache. „Er denkt, dass Harry entweder bei Mom im Büro anrufen wird... oder gleich selber dort aufkreuzen wird."

Jana fiel die Kinnlade runter und sie riss die Augen auf.

„What the.... Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht!!" Sie griff sich mit einer Hand an die Stirn. „Der kann dich ja dann ganz einfach finden! Keine ewige Hetzjagd durch ein Luxushotel und durch die halbe Stadt, damit uns dann wieder die Tür vor der Nase zugeknallt wird!"

„Nope, das bleibt uns diesmal wohl erspart." Ich zog die Mundwinkel ein und runzelte die Stirn. „Aber meinst du wirklich, dass er die Eier in der Hose hat dazu, dass er mich sucht? Vor allem, was will er mir denn dann sagen? ‚Ja sorry, Sam, aber du bist es einfach nicht. Taylor ist viel toller.'"

Und täglich grüßt der Galgenhumor.

„Ich hab keinen blassen Schimmer", meinte Jana und schob wieder ihr Glas auf dem Tisch hin und her.

Irgendwie hatte keiner eine Ahnung von irgendwas.

„Es bleibt uns eh nichts anderes übrig, als zu warten", sagte ich aus diesem Gedanken heraus. „Ich kann hier jetzt nur rumsitzen und warten, dass er seinen Allerwertesten wieder nach München bewegt."

Ich seufzte.

„Und wahrscheinlich passiert dann nicht mal was."

„Jetzt sei nicht so pessimistisch."

„Wie bitte?" Ungläubig sah ich sie an. „Ich soll optimistisch sein?! Ähm, in welchem Paralleluniversum warst du die letzten anderthalb Wochen unterwegs?!? Ich leide in einer Tour und du sagst, ich soll nicht pessimistisch sein?..."

„Oh..hm.. sorry..", murmelte sie und sah mich entschuldigend an.

„Passt schon", seufzte ich. „Gut, dann müssen wir jetzt eben warten."

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt