#67 - Kopf vs. Herz

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Das würde ich dann sogar irgendwie witzig finden, wenn Justin jetzt auf mich abfahren würde. Vom Aussehen her musste ich ja eigentlich sein Typ sein. Schwarze gelockte Mähne, Tänzerin, südländischer Touch. Genau wie Selena, dachte ich grinsend.

Ich ging wieder am One-Direction-Tisch vorbei ohne hinzuschauen. Als ich anfing, die Getränke auf den Tisch zu stellen, sah ich im Augenwinkel, wie Justin jede meiner Bewegungen genau beobachtete und wie er seine Augen nicht von mir lösen konnte.

Als ich ihm sein Getränk als letztes hinstellte, lächelte ich ihn extra lange an und drehte mich dann erst um.

Zackbumm, sofort sah ich in seine grüne Augen.

Sie funkelten mich an und ich konnte den Ausdruck nicht ganz deuten.

War es Wut? Eifersucht? Genervtheit? Oder einfach nur Desinteresse?

Verdammt, ich war schon wieder von seinem Blick gefangen und konnte mich nicht lösen. Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, hatte ich das Gefühl, dass all meine Zweifel beseitigt wurden. Auf einmal sah ich ihn und dachte mir: Wieso sollte das zwischen uns nicht funktionieren? Nichts war unmöglich! Es konnte klappen. Seine Augen schienen mich aufzusaugen. Alles in mir, was Widerstand geleistet hatte, schien einfach zu verpuffen. Es konnte funktionieren. Natürlich konnte es das...

Ich riss mich von seinem Blick los und atmete tief durch, bevor ich zurück zur Essenstheke ging.

Und sofort waren die Zweifel wieder da. Es würde nicht funktionieren. Erstens wusste ich nicht, ob er das gleiche fühlte wie ich, oder ob ich nur ein Spielzeugchen war. Ich wusste auch nicht, wie und wann ich mit ihm reden sollte.

Falls er das überhaupt wollte. Falls ich das überhaupt wollte.

Ich seufzte, als ich um die Ecke und durch die Schwingtür ging.

Es ging nicht. Punkt, aus, Amen.

Plötzlich hörte ich ein irrelautes Lachen und ich sah vom Boden auf. Joy stand vor mir und kriegte sich nicht mehr ein.

Ich sah sie verwirrt an, aber musste selber bisschen lachen. Sie sah einfach zu witzig aus, wie sie so vor sich hin kicherte. Nein, eher gackerte, nicht kicherte. Das steckte einen wirklich an.

„Oh Goooott, ich hab gedacht, ich mach mir gleich in die Strumpfhose", bekam sie dann doch irgendwann heraus. Sie hatte jetzt Schluckauf vor lauter Lachen.

„Hä, wieso denn?", fragte ich verwirrt, aber lachte immer noch. Ich konnte nichts dagegen tun, ich lachte einfach mit.

„Du hättest Harrys Blick sehen sollen, als du Bieber so lange angeschaut hast! Der Blick war filmreif! Er war sogar oscarreif! Zu gut! Dem ist die Eifersucht in kleinen, wabernden Wölkchen aus den Ohren rausgekommen!", antwortete sie mir und kicherte immer noch.

Das Lachen war mir jetzt schlagartig vergangen.

Und sofort ging in mir erneut die Diskussion los.

Kopf vs. Herz.

Herz: SIEHST DU! Er erwidert meine Gefühle! Er fühlt das gleiche, das ist doch klar!

Kopf: Er hat einfach nur geguckt?! Wahrscheinlich ist er sauer, weil ich erst mit ihm geflirtet hab und dann mit Justin! Sowas macht man ja auch nicht, wenn man ein wenig Anstand hat.

Herz: So ein Quatsch, er fühlt dasselbe! Das sieht doch ein Blinder mit'm Krückstock!

Kopf: Vergiss es. Das stimmt nicht. Und klappen würde was zwischen uns eh nicht. Nie im Leben.

„Sam? Wir müssen wieder rein", riss mich Joy rettend aus diesem lautstarken Kampf in mir. Jedes einzelne Wort, das ich dachte, das Harry betraf, schmerzte so sehr. Das Loch in meiner Brust wurde immer größer und das Blut sickerte nur so heraus. Ich wusste nicht, wie ich es wieder heilen konnte. Wie ich jemals wieder komplett glücklich sein konnte.

Ich wusste nur eins.

Es gab nur eine Person auf dieser Welt, die mir all meinen Schmerz nehmen konnte.

Aber da es unwahrscheinlich war, dass dies jemals eintreten würde, musste ich jetzt einen Weg finden, um damit zu leben.

Ich biss die Zähne zusammen.

Ich hatte Nico überlebt, also würde ich Harry jetzt auch überleben, dachte ich grimmig.

Auch wenn Harry zwanzigmal Schlimmeres angestellt hatte in mir als Nico, schoss mir durch den Kopf, aber ich verbannte den Gedanken.

Das wusste ich auch, ohne dass ich ständig daran erinnert werden musste.

Wir nahmen die Teller mit den Vorspeisen und gingen zurück in den Speisesaal. Irgendwie war mir jetzt die Laune vergangen.

Joy und ich liefen nebeneinander her, da wir ja in die gleiche Richtung mussten, und als wir uns trennten, zischte sie mir noch „Lächeln!!!" zu.

Schweren Herzens zwang ich ein möglichst echtes Lächeln auf meine Lippen und brachte meinen beiden Tischen ihre Vorspeisen.

Ich ging wieder an Harry vorbei und war eindeutig nicht vorbereitet auf das, was jetzt passierte.

Als ich bei ihrem Tisch war und direkt unmittelbar an ihm vorbeiging, streckte er blitzschnell seine Hand ein Stück aus und berührte für eine Millisekunde meine Hand. Ich blieb nicht stehen, ich lief weiter und tat so, als wäre nichts gewesen.

In Wahrheit sah es aber ganz anders in mir aus.

Es war, als hätte mich ein Blitz getroffen und fuhr von meinem Dutt bis hinunter in meine hohen schwarzen Absätze durch mich hindurch. Es kribbelte überall und die Stelle an meinem Handrücken, die er sanft gestriffen hatte, brannte. Es fühlte sich an, als hätte er meine Haut mit einer einzigen Berührung in Flammen gesetzt.

Ich konnte noch so oft sagen, dass ich es schon schaffen würde, über ihn hinwegzukommen – ich würde es nicht schaffen. Niemals komplett. Vielleicht würde der Schmerz irgendwann zusammen mit der Wunde verheilen, aber die Narben würden bleiben, und sie wären deutlich sichtbar und spürbar.

Ich schluckte.

Love sucks.

Ich blieb bei diesem Satz. Er stimmte einfach.

Als ich bei der Theke ankam, sah ich sofort Nina, die mich anblickte.

„Sam, du hast jetzt zwanzig Minuten Pause, ich übernehme deine beiden Tische", sagte sie lächelnd und strich mir über den Arm.

„Wieso das?", fragte ich verwundert.

„Weil jeder, der zwei Tische hat, zwanzig Minuten Pause bekommt", erklärte sie und ich nickte und versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. Morgen würde ich einen Muskelkater in den Wangenmuskeln haben. Ich hatte vorher noch nie bemerkt, dass ein unechtes Lächeln so anstrengend war und so in den Wangen, also wirklich körperlich, schmerzte.

„Okay, dann geh ich mal in den Backroom", gab ich nur zurück und sie antwortete: „Ich hol dich dann wieder, wenn du wieder dran bist!" Mit diesen Worten verschwand sie und ich drehte mich um und ging langsam auf den Backroom zu.

Als ich die Tür hinter mir schloss und mich mit dem Rücken dagegen lehnte, schloss ich für einen Augenblick die Augen und genoss die totale Stille, die sich wie Watte auf meine Ohren legte, nach dem ganzen Trubel da draußen.

Ich sah prüfend auf die Uhr und prägte mir ein, wann Nina wiederkommen würde.

Mit einem Seufzer ließ ich mich auf der Arbeitsplatte neben meiner Tasche nieder. Ich lehnte den Kopf rückwärts an die Wand und schloss wieder die Augen.

Ich dachte an  - ... nichts.

Wirklich an nichts. Ich würde mein Hirn für diese zwanzig Minuten ausschalten. Ich wollte mich erholen, damit ich mich wieder diesen grünen Augen und den elektrischen Berührungen stellen konnte, ohne dass ich zusammenzubrechen drohte.

Ich war gerade in meinem Nirwana im Nirgendwo angekommen, wo der Schmerz gelindert wurde, als mit einem Krachen die Tür aufflog und ich heftig zusammenzuckte und zu Tode erschrocken die Augen aufriss.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt