#83 - Logik, wo bist du?

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„Klar, was denn?", fragte sie ein wenig verdattert, aber sofort ganz neugierig und sah mich aufgeregt an.

„Wirst du schon sehen", antwortete ich matt und erhob mich vom Tisch. „Ich mach mich nur fertig und dann fahren wir los."

Als ich aufstand und zur Tür gehen wollte, zog mich Mom in ihre Arme und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Du warst so super, Maus", sagte sie leise und strich mir sanft über die Wange. „Es tut mir so sehr weh, dich so leiden zu sehen und dass ich dir einfach nicht helfen kann. Es bringt mich schier um... Du weißt gar nicht, wie kurz davor ich bin, den One-Direction-Manager anzurufen und Harry in mein Büro zu zitieren, damit ich dem mal ordentlich was erzählen kann."

Gegen meinen Willen musste ich ein wenig grinsen. Aber nach einer Sekunde wurde das auch schon wieder wie von Geisterhand weggewischt.

„Das würde auch nichts nützen", antwortete ich niedergeschlagen und ließ mich noch ein wenig tiefer in ihre Umarmung fallen.

„Was auch immer du jetzt vorhast zusammen mit Jana, sei vorsichtig, fahr vorsichtig und mach keinen Blödsinn. Ich frag jetzt lieber nicht, was du dir schon wieder in deinen Dickschädel gesetzt hast", meinte Mom schmunzelnd und gab mich dann frei, damit ich mich fertig machen konnte.

Ich liebe sie. Was wäre ich nur ohne meine Mom.

In meinem Zimmer zog ich mir eine Boyfriend-Jeans und ein schwarzes langärmliges Shirt an.

Als ich im Bad war, hätte ich am liebsten einfach nur aufgejault und mich wieder unter meiner Bettdecke verkrochen. Gut, dass ich heute bisher noch nicht in den Spiegel geschaut hatte. Es war einfach nur ein grauenhafter Anblick, näher werde ich das jetzt nicht ausführen.

Mit Mühe und Not bekam ich mein Gesicht einigermaßen wieder hin und band meine widerspenstigen, wild gelockten Haare zu einem unordentlichen, überdimensional großem Dutt zusammen. Ich sah trotzdem einfach nur scheiße aus, aber mich würde hoffentlich ja eh niemand außer Jana zu Gesicht bekommen, wenn alles so lief, wie ich es mir in den Kopf gesetzt hatte (was selten der Fall war, aber okaaay, sind wir doch heute einfach mal ein wenig optimistisch zur Abwechslung...).

Ich schnappte mir meine Tasche, stopfte die paar Sachen hinein, die ich brauchen würde, und ging wieder die Treppe hinunter.

Jana stand schon erwartungsvoll an der Haustür und blickte mir entgegen. Sie erinnerte mich an einen kleinen Hund, der an der Haustür mit der Leine im Maul auf sein Herrchen wartete, damit es endlich raus zum Gassi gehen ging.

Wenigstens hatte sie nicht meinen Autoschlüssel im Mund.

Ich schlüpfte in meine Supras und zog mir gleichzeitig meine schwarze Lederjacke an, rief ein „Ciao!" in Richtung Küche und ging hinaus zu meinem Auto. Jana hüpfte mir hinterher – allerdings nicht so hyperaktiv wie sonst. Ihre Energie hatte nachgelassen. Ich schätze, sie war sich nicht sicher, was ich vorhatte und was sie erwarten würde, und sie hatte eindeutig Bammel, dass ich (mal wieder) irgendeine verrückte Aktion bringen würde.

Hatte ich aber nicht vor.

Okay, normal war es nicht, was ich machen wollte, und verboten war es wahrscheinlich eigentlich auch, aber das war mir im Moment ziemlich piepegal.

Nachdem wir ein paar Minuten schweigend gefahren waren, hielt Jana es nicht mehr aus. Ich hatte es schon von Anfang an bemerkt, dass sie unbedingt wieder auf das Thema Harry zu sprechen kommen wollte, aber sie hielt sich zurück, weil sie wusste, wie weh es mir tat und wie wenig ich darüber reden wollte.

Aber trotzdem platzte es jetzt aus ihr heraus.

„Boah, ich sag's dir, wenn ich den Kerl jemals irgendwo sehe, dann..."

„Wirst du eh nicht", unterbrach ich sie unsanft und starrte weiter auf die regennasse Straße.

„Wieso! Du hast ihn ja auch getroffen! Und ich auch! Mehrmals! Also!"

Okay, da hatte sie Recht, aber das hieß noch lange nicht, dass er uns nochmals über den Weg laufen würde.

„Jedenfalls", fuhr Jana fort, „werde ich ihn dann kastrieren. Aber sowas von. Unbarmherzig und schmerzhaft."

„Tu, was du nicht lassen kannst", gab ich monoton zurück. Es juckte mich wirklich herzlich wenig, was mit ihm war und was mit ihm passieren würde.

Okay, das war gelogen, weil sonst würde ich das hier, was ich jetzt vorhatte, nicht machen, aber ich redete es mir die ganze Zeit ein. Vielleicht half es ja und ich würde so wirklich schneller über ihn hinwegkommen?

„Ich versteh's einfach nicht", sagte Jana leise und ich sah im Augenwinkel, dass sie frustriert den Mund verzog. „Ich wusste nicht, dass wieder was zwischen Taylor und ihm läuft. Das wurde nie irgendwo geschrieben!" (Aha. Damit war meine Frage von gestern Abend beantwortet. Ich hatte mich ja gefragt, ob Jana wohl etwas gelesen oder gehört hatte.) „Ich versteh's einfach nicht", sagte sie noch einmal und ließ die Stirn seitlich gegen das Fenster sinken.

„Ich meine" (Okay, sie war anscheinend noch nicht fertig mit ihrer Analyse) „hallo, hat er vergessen, was für eine Magie zwischen euch geherrscht hat? Ich war dabei, ich konnte diese Magie spüren! Und zwar nur in diesem minikurzen Augenblick, als im Hotel vor unserer Nase der Fahrstuhl zuging und ihr euch in die Augen geschaut habt! Ich hab gedacht, ich bin in einem Kino-Liebesfilm gelandet! Es war Wahnsinn!" (Sie lief jetzt zur Höchstform auf.) „Das kann nicht gespielt gewesen sein, Sam, niemals."

Ich spürte den Blick ihrer blauen Augen auf mir, aber ich musste mich auf die Straße konzentrieren. Es kostete mich eh schon all meine Energie, dass ich weiterfuhr und keinen Unfall baute.

„Es war echt. Das kann jemand, der euch zusammen gesehen hat, nicht leugnen."

„Und wieso hat er dann mit der blöden Country-Ische rumgeschmiert?", fragte ich direkt und sah sie für eine Sekunde intensiv an, bevor ich meinen Blick wieder nach vorne wendete.

Darauf wusste sie erst einmal keine Antwort.

„Das...kann ich auch nicht erklären. Ich bin einfach nur fassungslos. So hätte ich Harry niemals eingeschätzt. So würde ich eigentlich keinen der fünf einschätzen. Ich verstehe es einfach nicht. Es geht nicht in mein Hirn rein. Wo, verdammt nochmal, WO ist die Logik?? Er konnte dich haben, DICH, das ungefähr schönste und tollste und liebste Mädchen auf der ganzen Welt! Und dann ist es schon so weit zwischen euch und so – und dann küsst er diese blöde Kuh?!? Hallo?! Ich pack's einfach nicht, ich glaube es einfach nicht! Das kann nicht wahr sei-"

„Jana", fuhr ich leise dazwischen und sie verstummte überraschenderweise sofort. „Bitte... lass es bitte..."

Es tat einfach nur noch mehr weh, wenn sie es aussprach. Jedes einzelnes Wort, das sie gerade gesagt hatte, hatte sich in meine Haut gebohrt und hat Gift durch meine Adern jagen lassen.

Mein ganzer Körper schmerzte und ich wollte einfach nur noch sterben.

Es war ja nicht nur so, dass Harry mich nach Strich und Faden verarscht hatte und ich jetzt ein gebrochenes Herz hatte – nein, mir ging es hier auch um meinen Stolz. Ich war ihm schon regelrecht hinterhergelaufen, ich hatte immer versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen – und dann servierte er mich so ab. Eiskalt. So mir nichts, dir nichts. Einfach so.

Normalerweise würde ich das niemals so auf mir sitzen lassen. Aber bei ihm hatte ich keine Chance, irgendetwas zu machen.

Ich setzte den Blinker, während mir diese Gedanken durch den Kopf schossen, und fuhr auf den Parkplatz.

Jana neben mir setzte sich aufrecht hin und sah sich mit großen Augen um. Sie hatte sofort kapiert, wo wir waren, und fragte jetzt deswegen total erstaunt: „Hää, was willst du hier??"

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt