#72 - Hilflos

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Wir gingen wieder zur Küchentheke. Jetzt kamen nur noch zwei Gänge. Wayne erklärte uns noch einmal kurz, wie das später auf der Aftershow-Party ablaufen würde (Joy neben mir knirschte mit den Zähnen, weil sie so angepisst war) und dann wurden wir wieder in den Speisesaal entlassen.

Kaum hatte ich einen Fuß vor den anderen gesetzt, um in die Richtung meiner beiden Tische zu gehen, klopfte mein Herz schon wieder wie wild. Allerdings hatte ich diesmal kein breites Lächeln im Gesicht. Das war mir irgendwie vergangen, seitdem ich kapiert hatte, dass ich nur noch eine dreiviertel Stunde hier sein würde und dass Harry dann wieder in weite Ferne für mich entschwinden würde.

„Joy, lächeln. Du darfst da jetzt nicht drandenken", murmelte ich ihr zu, als wir fast bei unseren Tischen angekommen waren. Sie zog nämlich genau so ein unglückliches Gesicht samt gerunzelter Stirn wie ich.

Sie seufzte neben mir, drehte sich zu mir und zog ihre Mundwinkel so weit nach oben wie es ging, bis sie mit Absicht absolut dämlich aussah. Ich grinste zurück und schmunzelte.

„Na, das ist doch gleich viel besser", sagte ich und gab ihr einen Klaps auf den Hintern, als sie seitlich zum One-Direction-Tisch ging.

„Ey", sagte sie und sah mich frech an. Aber ich lachte nur. Ich ging weiter und konnte sehen, dass die fünf Jungs an Joys Tisch uns beobachtet hatten und ebenfalls lachten. Ich grinste sie an und senkte dann meinen Blick, als ich an ihnen vorbeiging.

Plötzlich streckte sich wieder eine Hand aus und steckte mir blitzschnell etwas in die vordere Tasche meiner Schürze.

Ich wäre beinahe gestolpert, aber ich konnte mich gerade noch auf den Beinen halten.

Okay, atmen, Sammy.

Tu so, als wäre nichts passiert.

Ich brachte meinem einen Tisch (nicht Biebers Tisch) die Teller und lief dann wieder zurück zur Theke, ohne an den One-Direction-Tisch zu schauen.

Während ich lief, spürte ich das Etwas in meiner Tasche so deutlich. Es war schon fast, als würde es den Schürzenstoff durchbrennen und jetzt meine Haut versengen. Ich wollte es herausziehen, aber ich konnte noch nicht, schließlich hatte ich noch einen weiteren Tisch zu bedienen.

Ich schnappte mir die restlichen Teller und ging wieder zurück. Ich hatte Joy im Augenwinkel gesehen und sie zog immer noch so ein Gesicht. Naja, ich sah bestimmt nicht besser aus.

Schweren Herzens setzte ich wieder ein künstliches Lächeln auf und ging wieder zurück in den Speisesaal. Als ich in die Nähe meiner Tische kam, sah ich, dass Harry sich gerade mit Niall und Louis unterhielt, sodass er also nicht aufsah, als ich vorbeiging. Einerseits erleichterte mich das, aber andererseits sehnte ich mich nach dem Blick aus seinen grünen Augen.

Ich stellte die Teller ab und platzierte sie vor Usher, Justin und dem Rest an dem Tisch.

Als ich Justin seinen Teller hinstellte, lächelte er mich verführerisch an und sagte leise: „Danke, Sweetheart" und ich lächelte höflich zurück. Als ich mich umdrehte, spürte ich, wie eine Hand langsam über die Hinterseite meines Oberschenkels strich. Exakt unter meinem Hintern.

Ich ging weiter und tat so, als hätte ich nichts gemerkt.

Der Blödmann sollte nicht denken, dass mich das irgendwie beeindruckt hatte.

Nur hatte ich nicht mit Harry gerechnet.

Der schob nämlich gerade seinen Stuhl ruckartig zurück und wollte wohl aufspringen, als ich gerade neben ihm war. Ich reagierte blitzschnell und drückte ihn mit einer Hand an der Schulter wieder nach unten.

„Bleib ruhig, da war nichts", raunte ich ihm zu und sah ihn eindringlich an. Er erwiderte meinen Blick aus seinen klaren Augen und sofort – zackbumm – verlor ich mich in seinem Blick. Ich riss mich aber (mal wieder) nach ein paar Sekunden los und ging weiter, während ich mit meiner Hand an seinem Arm herunterstrich und dann den Kontakt zwischen uns löste.

Als ich wieder an der Theke war, verspürte ich den heftigen Drang, wieder zurück zu ihm zu rennen und ihn wieder zu berühren. Ich war süchtig danach, ich gebe es offen zu. Ich war süchtig nach ihm, nach seinen Blicken, nach seinen Berührungen.

Und wieder einmal verfluchte ich Wayne, dass ich seinetwegen nicht Harrys Lippen auf meinen gespürt hatte. Danach sehnte ich mich am meisten.

Aber vielleicht war es auch gut, dass Wayne gekommen war. Schließlich hatte ich nur noch eine halbe Stunde, dann waren die EMAs für mich vorbei und Harry war wieder fort.

Ich schluckte.

Mir stiegen die Tränen in die Augen vor Verzweiflung. Mein Schicksal war wirklich ein ziemliches Arschloch. Konnte es vielleicht einmal etwas gut mit mir meinen? Das war doch inzwischen nicht mehr fair! Nicht einmal mehr ansatzweise!

Ich drehte mich um, weil mich jemand am Arm berührte.

„Alles okay?", fragte Joy besorgt, als sie mein Gesicht samt den ungeweinten Tränen in meinen Augen gesehen hatte.

Ich atmete einmal tief durch und zuckte mit den Schultern. Ich brauchte ihr nicht erklären, was los war, sie wusste es zu gut.

Meine Handfläche kribbelte immer noch von dem Moment, als ich an seinem Arm beruhigend heruntergestrichen habe.

Joy sah mich mit zusammen gezogenen Brauen und einem mitfühlenden Blick an.

„Ach verdammt, ich würde dir so gerne irgendwie helfen! Irgendetwas machen! Aber es geht ja leider nicht!", sagte sie hilflos und seufzte. „Es tut mir so sehr weh, dich so leiden zu sehen! Das hast du einfach nicht verdient, Sammy. Ich würde alles dafür tun, dass du ein Happy End der schönsten Art erlebst!"

Ich schmunzelte durch meine Tränen hindurch. „Du bist so süß. Ich bin so froh, dass du hier bist", sagte ich und wischte mir vorsichtig unter den Augen herum, damit ich ja nichts von meiner Schminke verschmierte. „Aber leider geht das nicht... Ich bin ja sogar selber machtlos..."

„So", erklang Waynes Stimme vom anderen Ende der Theke, „ich bitte euch, dass ihr jetzt wieder rausgeht, die Teller holt und fragt, wer noch eine Nachspeise möchte."

Joy sah mich an und zog mich an der Hand mit nach vorne zur Schwingtür, die in den Speisesaal führte.

Gut, dann starten wir mal die letzten schmerzhaften fünfundzwanzig Minuten des besten Jobs meines Lebens.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt