#74 - Planänderung

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Ich stieß die Schwingtür energisch auf und musste mit aller Kraft die Tränen zurückhalten, die mir in die Augen steigen wollten, als ich Joy erblickte. Ihr trauriger und gleichzeitig auch besorgter Blick brachte mich einfach nur um. Er brach mir das Herz. Das Herz, das in meiner Brust schlug und schon unzählige Male gebrochen wurde. Ich war erstaunt von mir selber, dass ich überhaupt noch durch die Gegend lief und noch nicht unter der Erde lag und vor mich hin rottete.

Ich pfefferte mein Tablett auf die Theke und stellte mich wortlos neben Joy und wir warteten, dass Wayne kam und noch kurz die letzten Worte an uns richtete, damit wir dann nach Hause fahren konnten. ... oder eher mussten...

„Das war super!", sagte er euphorisch, als er um die Ecke rauschte. „Ich bin stolz auf euch! Das war mit Abstand das beste Event, das ich bisher geleitet habe! Hut ab, ihr wart so professionell!"

Obwohl wir alle enttäuscht waren, mussten wir trotzdem bei seinem Megakompliment lächeln.

„Wie gesagt, ihr kriegt die CDs mit den Fotos von den beiden Fotografen alle per Post zugeschickt. Ihr kriegt alle Fotos, also nicht nur die, auf denen ihr selber drauf seid", sagte er zwinkernd und ich wusste, dass er damit meinte, dass wir also auch die Fotos bekamen, die die Öffentlichkeit nicht zu sehen bekam. Oh Gott, ich liebte diesen Job. Wieso konnte ich das nicht immer machen?! Und wieso konnte ich jetzt nicht noch hier bleiben und weiterkellnern...

„Danke nochmals! Euer Geld bekommt ihr im Laufe der nächsten Woche überwiesen. Wer sonst noch Fragen oder Anregungen oder sonst irgendwelche Herzenswünsche hat, kann mir gerne einfach eine Email schreiben. So, und jetzt wünsche ich euch einen guten und sicheren Nachhauseweg! Gute Nacht!", rief er und wir applaudierten kurz. Ich überlegte noch kurz, ob ich zu Wayne hingehen sollte, um mich noch persönlich zu verabschieden. Nach einem kurzen inneren Kampf tat ich es dann aber nicht. Ich hatte keinen Nerv mehr, mit irgendwem zu reden. Ich wollte einfach nur noch nach Hause in mein Bett und mich weiter in meinem Elend suhlen.

Ich hasse mein Leben.

Wir liefen nun alle in den Backroom, um uns umzuziehen und unser Zeug zusammenzupacken. Naja, eigentlich liefen wir nicht, sondern wir krochen, stampften, schlurften,... . Keiner lief normal. Jeder ließ seinen Frust auf eine andere Art und Weise aus.

Ich schwieg vor mich hin und tapste mit hängenden Schultern in den Backroom. Ich war zu sehr damit beschäftigt, meine Tränen eisern zurückzuhalten, als dass ich fähig war, mit irgendwem zu sprechen.

Ich stopfte meine Klamotten, die ich getragen hatte, als ich hierher gefahren war, achtlos in meine Tasche. Ich hatte keinen Bock, mir jetzt nochmal die Mühe zu machen und mich umzuziehen, wenn ich das in einer halben Stunde eh zu Hause machen würde. Nur Schuhe wechselte ich natürlich. Als ich in meine Supras schlüpfte, fühlte ich mich gleich wieder wohler. Ich fuhr mir mit der Hand über die Nase und versuchte so, das Schniefen zu überspielen, das mir urplötzlich hochgekommen war.

„Fuck man", murmelte Joy neben mir, die sich gerade ihren Schal um den Hals wickelte, und sprach genau das aus, was in einem ewigen Echo durch meinen Kopf geisterte.

Ich war schon fertig und stand jetzt bewegungslos neben ihr und wartete, bis sie ihre Jacke anhatte, damit wir in Richtung U-Bahn tigern konnten.

Ich war leer. Ich starrte vor mich hin und sah doch eigentlich nichts, was ich ansah.

Ich fühlte nichts. Ich war leer, gefühlslos, lebensleer.

Mein Unterbewusstsein wusste, dass mich alles wie ein Schlag treffen würde, sobald ich zu Hause war, aber dann war ich allein in meinem Bett und konnte dort weinen und mich selber bemitleiden. Hier musste ich jetzt noch meine Fassung bewahren, deswegen hieß ich die Leere in mir eigentlich ziemlich willkommen, um ehrlich zu sein.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt