#56 - Herzerwärmender Anruf

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, ließ ich die Augen noch geschlossen. Ich wusste im Bruchteil einer Sekunde, nachdem ich wach war, was heute für ein Tag war.

Ich schluckte und presste die Lider noch fester aufeinander. Ich wollte nicht aufstehen.

Also bitte, Sam, jetzt mach dir mal nicht in die Schlafanzughose!, schimpfte ich mich selber und öffnete mit einem Seufzen dann doch die Augen.

Die EMAs.

Jetzt war der Tag also da.

Ich konnte gar nicht glauben, dass es erst eine Woche her war, dass ich Harry getroffen hatte. Eine Woche. Wow, was in der Zwischenzeit alles passiert ist, passiert sonst in der Zeitspanne von zwei Monaten. Normalerweise war ich ja jemand, der Action liebte, aber das....war dann doch ein wenig viel gewesen. Und ein wenig heftig.

Naja, das Leben ist kein Wunschkonzert. Da musste ich jetzt durch.

Gut, Sam-Banane, reiß dich zusammen, denk nicht mehr dran. Wird schon schief gehen. Bisher hab ich ja auch immer alles überlebt, dachte ich sarkastisch und verdrehte über meine eigenen Gedanken die Augen.

Manchmal war ich schon ein wenig komisch, schoss mir durch den Kopf und ich grinste in mich hinein.

Ich rollte mich auf die Seite und schaute auf meinen Digitalwecker, den ich nie benutzte, weil ich mich immer von meinem Handy wecken ließ.

9.51 Uhr.

Also hatte ich noch genug Zeit, bis ich losmusste. Gemächlich stand ich auf und streckte mich erst einmal. Als ich über den Flur ins Bad ging, bemerkte ich, dass in unserem Haus noch geisterhafte Ruhe herrschte. Leo schlief bestimmt noch, da er sich gestern mit ein paar Mitstudenten in einer Bar getroffen hatte, und Mom schlief entweder auch noch oder saß im Bett und arbeitete schon. Ich hoffe auf die erste Möglichkeit, das würde ihr besser tun als das ständige Arbeiten.

Als ich aus der dampfenden Dusche stieg und mir ein Handtuch umwickelte, war ich immer noch so ruhig, wie ich es seit dem Aufstehen war. Ich zog mir eine Jogginghose und dicken Pulli an und föhnte mir meine lange schwarze Mähne zu schönen gleichmäßigen Locken. Ich hatte mir noch keine Gedanken gemacht, was ich für eine Frisur für die EMAs machen sollte, also ließ ich sie erst einmal so und würde das dann später entscheiden. Wahnsinn, an was man alles denken musste. Ich konnte da nicht einfach so hingehen, schließlich wurde alles live im Fernsehen übertrag-...

Beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. Himmel, daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht! Das wurde ja weltweit im Fernsehen übertragen! Oh. Ha.

Ich atmete tief durch und schob diese Gedanken davon, damit ich noch so entspannt blieb, wie ich es die ganze Zeit schon war. Es gelang mir sogar.

Als ich fertig war, tapste ich hinunter in die Küche und begann, ein richtig schönes Frühstück mit allem Drum und Dran herzurichten. Ich konnte das Wasser oben in der Dusche rauschen hören und wusste somit, dass jemand von den beiden aufgestanden war.

Ich war echt von mir selber erstaunt. Ich war immer noch total ruhig (trotz des halben Herzkaspers wegen der Fernsehübertragung) und hatte noch kein einziges Mal an ihn gedacht.

Ich hatte das Radio angeschaltet und summte gerade einen Song mit, als ich vor Schreck die Butterdose fallen ließ, weil das Telefon exakt neben dem Kühlschrank anfing zu klingeln.

Ich hob schnell die Butter wieder auf (Gott sei Dank war sie nicht aufgegangen und auf dem Boden gelandet, so eine Schweinerei hätte mir gerade noch gefehlt) und sah auf die Nummer des Absenders.

Mein Herz machte einen Hüpfer und ein breites Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.

Papa.

Automatisch sah ich auf die Küchenuhr über der Tür und runzelte die Stirn. Es war halb fünf morgens in New York, wieso rief er denn jetzt an?!

„Hallo, Papa", meldete ich mich und ließ mich auf einen der Barhocker sinken.

„Hallo, meine Maus! Na sowas, ist meine kleine Langschläferin schon auf?", antwortete er lachend und ein warmer Schauer lief mir den Rücken hinunter. Ich vermisste ihn so sehr. Ich vermisste ihn so stark, dass es schmerzte. Ich war schon immer ein Papa-Kind gewesen. Wir hatten früher jeden Blödsinn zusammen gemacht und er war immer mein Felsen in der Brandung gewesen. Mom natürlich auch, aber Papa und ich hatten immer eine besondere Verbindung gehabt. Umso schlimmer ist es für mich gewesen, als er uns eröffnet hat, dass er nach New York ziehen muss. Ich hatte ihm das wirklich persönlich übel genommen und hatte mehrere Tage lang kaum mit ihm geredet. Natürlich hatte ich kapiert, dass es ernst war, sonst würde er nicht wegziehen, aber es schmerzte einfach. Bis heute.

„Ja, bin ich schon, stell dir vor", gab ich trotzig zurück, aber meine Stimme war belegt von den Tränen, was Papa natürlich gleich hörte.

„Ich vermiss euch so sehr", sagte er leise, aber ich unterbrach ihn: „Papa, du bist schon noch in New York, oder? Bei dir ist es doch jetzt halb fünf nachts?"

„Ja...", antwortete er langsam, „aber mir geht's momentan nicht so gut. Ich vermisse euch so sehr und fühl mich manchmal ganz schön einsam ohne meine drei Wirbelwinde... Deswegen musste ich jetzt einfach eine von euren Stimmen hören."

Ich schloss die Augen und die Tränen liefen trotzdem unter meinen geschlossenen Lidern hervor.

„Dann komm wieder heim", flüsterte ich leise. So leise, dass ich mir nicht sicher war, ob es für ihn überhaupt hörbar war. Wenn ja, dann wusste er wohl nicht, was er darauf antworten sollte. Ich wusste ja, dass das nicht so einfach ging.

„Also, wieso bist du schon auf?", fragte er mich, um das Thema zu wechseln, und ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören.

„Och, ich hab da so 'nen Job heute...", sagte ich betont gelangweilt und malte Muster mit dem Finger auf den hölzernen Bartisch, „da muss ich kellnern... ist nichts Großes... ist nur bei den EMAs..."

„Nein, im Ernst?", ertönte sofort begeistert aus dem Telefonhörer und ich lachte.

„Ja, voll cool! Mama hat mir den Job vermittelt."

„War ja klar", sagte er lachend und ich antwortete gespielt beleidigt: „Ja und, Vitamin B(eziehungen) schadet doch nie, also bitte!"

Er gluckste und ich musste lächeln. Ich vermisste ihn so sehr.

„Hm ja...", sagte ich noch ein wenig seufzend. Papa hörte sofort, dass etwas nicht stimmte. Er kannte mich einfach zu gut, wahrscheinlich sogar noch besser als Caro mich kannte (und das musste man erst einmal schaffen!), und fragte natürlich postwendend: „Was ist los, mein Schatz? Ich kann hören, dass dich etwas bedrückt. Erzähl."

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