#78 - Und wieder zurück

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Als Mom weg war, ging ich durch eine schmale Tür vom Backroom in ein kleines Bad. Ich sah mich im Spiegel an und keuchte.

Ich sah aus wie eine Leiche. Eine verletzte, gebrochene Leiche.

Erstaunlich war, dass meine Schminke gar nicht verschmiert war. Nur ich selber, also mein Gesicht sah aus....

Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich mich wieder beruhigt hatte und auch wieder einigermaßen okay aussah.

Ich stand mir jetzt wieder selber gegenüber und starrte mich durch den Spiegel an.

Und ich tat wieder das, was ich heute Abend schon einmal getan hatte. Ich verschloss meine Emotionen in mir. Ich legte wieder den Schalter um, sodass ich nichts mehr fühlte.

Ich musste kichern, denn ich kam mir vor wie in Vampire Diaries, als Elena ihre Emotionen ausgeschaltet hat. Da hat sie auch erst geheult wie ein Schlosshund und ein paar Augenblicke später hat sie das Haus angezündet.

Keine Angst, ich würde hier nicht die Bude abbrennen.

Naja, wenn ich es mir recht überlegte, würde ich schon gerne Taylor in einem Raum fesseln und den dann in Flammen setzen...

Okay, das habe ich nie gesagt. Normalerweise dachte ich so böse Sachen nicht. Normalerweise. Aber Swift konnte ich noch nie ausstehen. Ich hatte Joy vorhin angelogen, als ich gesagt hatte, dass sie mir nichts ausmachte. Sie machte mir wohl was aus. Also nicht in der Richtung, dass sie Harrys Ex war, daran konnte man nichts ändern und immerhin war sie seine Exfreundin –  sondern weil jeder wusste, wie sie immer über ihre Exfreunde herzog und wie sie einfach drauf war. Ich konnte arrogante Leute nicht leiden und sie fiel bei mir eindeutig in die Kategorie „arrogant". Sorry an alle, die sie mögen. Aber ich mag sie nun mal nicht.

Ich atmete tief durch und setzte ein Lächeln auf. Ich sah wirklich ganz okay aus, stellte ich nochmals sehr überrascht fest.

Ich wusste, dass ich heute Nacht in meinem Bett zusammenbrechen und weinen würde, aber daran wollte ich jetzt nicht denken.

Ich war jetzt hier, bei den EMAs, und ich musste weiterarbeiten, sonst würde mir Wayne oder Mike den Kopf abreißen.

Ich drehte mich um, klickte auf den Lichtschalter und schloss die Tür des Bads hinter mir.

Puh, dann auf, auf, zurück zur Bar!

Als ich gerade die Tür des Backrooms erreichte und nach der Klinke greifen wollte, ging sie wie von Geisterhand auf. Ich reagierte blitzschnell und trat einen Schritt zur Seite, da derjenige, der auf der anderen Seite der Tür war, sie mir sonst voll ins Gesicht geknallt hätte.

Die Tür schwang auf – und dreimal dürft ihr raten, wer mir gegenüber stand.

Gut, dass meine Emotionen schön verpackt und unerreichbar in meinem Inneren gefesselt waren.

Ich sah ihn einmal kurz an, drückte mich dann augenverdrehend an ihm vorbei und lief ohne ein weiteres Wort den Flur entlang.

„Sam! Warte!", rief Harry hinter mir, aber das trieb mich nur dazu, meine Schritte noch zu beschleunigen.

Ich spürte, wie ein paar Finger nach meinem Arm fassten, und ich explodierte.

Ich wirbelte herum und meine Hand flog, ohne dass ich darüber nachdachte, nach oben und landete hart an seiner Wange.

„Wag es nicht, mich anzufassen", zischte ich mit funkelnden, grünen Augenschlitzen und ließ ihn dort stehen, während ich zurück zur Bar eilte.

Der Weg dorthin kam mir wie eine Ewigkeit vor. Die ganze Zeit sah ich seinen überraschten und verletzten Gesichtsausdruck vor mir, als ich ihm eine geklebt hatte. In mir drinnen rüttelten die Gefühle an ihren Fesseln, aber ich riss mich zusammen.

Denk nicht an ihn, Sam. Denk nicht an ihn.

Aber ich konnte nichts machen, ich spürte, dass die Emotionen mich wieder durchfluten wollten.

Angst, Hass, Verletztheit,... - und vor allem: Liebe.

Ich konnte einfach nichts dagegen machen, ich war ihm komplett verfallen. Ich konnte es noch zwanzigmal wiederholen. Nichts war vergleichbar mit den Gefühlen, die ich für dieses braunhaarige, grünäugige Arschloch empfand.

Ich erreichte jetzt die Bar und war dankbar dafür, denn jetzt hatte ich keine Zeit mehr, weiterzugrübeln.

Sally kam lachend und tanzend auf mich zu, als ich neben Mike erschien und mein Kopf fing an, mein Herz zu überreden, nicht mehr wehzutun.

Ha ha, Witz des Abends, du blöder Kopf.

Naja, ich versuchte es wirklich, und es klappte auch einigermaßen. Ich hatte wieder Spaß, als ich die Getränke mixte.

Sally erzählte mir in den nächsten Minuten, dass ich hier wirklich an den besten Job rangekommen war. Ich hatte ihr schon erzählt, dass ich eigentlich zu den Kellnern gehörte und aber schon beim Champagnerempfang gekellnert hatte.

„Ach, glaub mir", sagte sie, als sie eine Zitrone kleinschnitt, „die Kellner, die hier jetzt kellnern, haben echt die Arschkarte gezogen." Sie deutete auf einen meiner Kollegen vom Dinner, der an uns vorbeihastete. „Du siehst die Stars, aber sie sehen dich nicht. Beim Champagnerempfang nehmen sie dich richtig wahr und unterhalten sich auch mit dir, aber hier bist du als Kellner einfach nur lästig und nervst."

Ich sah mich um und beobachtete ein paar von den Kellnern. Sie hatten es wirklich schwer. Jeder wollte irgendetwas zu trinken haben. Viele von den Stars waren nämlich schlichtweg einfach zu faul, dass sie ihren Hintern zur Bar bewegten. Also riefen sie nach den Kellnern und beauftragten sie, ihnen ihre Getränke zu holen.

„Bis du einmal das Getränk hast, das du jemandem bringen sollst, dauert das. Und dann musst du es auch noch heil wieder zurück durch diese Menschenmenge schaffen!", kommentierte Sally, die meinen Blick gesehen hatte.

„Okay, du hast Recht. Kellner auf der Aftershow-Party ist wirklich kein Vergnügen", stimmte ich ihr zu und holte ihr ein paar weitere Zitronen zum Kleinschneiden.

„Also ist es doch umso cooler, dass du hier bist", strahlte sie mich an und ich nickte lächelnd.

Ja, besser hier als zu Hause.

Obwohl – dann hätte ich diesen Kuss nicht gesehen...

Hör auf, Sam!, sagte ich mir selber und verpasste mir eine mentale Ohrfeige.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt