#12 - Daredevil

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„Hier jetzt links", dirigierte mich Jana. Sie lief neben mir her und hielt mein Handy mit der Google-Maps-App geöffnet in der Hand.

Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, waren wir sofort mit der S-Bahn in Richtung München gefahren. Ich musste Jana beinahe am Sitz festbinden, sonst wäre sie wie ein Gummiball durch die ganze Bahn gehüpft.

Ich hatte vorhin noch eben mit Caro telefoniert. Sie war Janas Meinung, nur war sie Gott sei Dank nicht so hysterisch.

„Maus, gib dir einen Ruck. Es war wirklich etwas Magisches zwischen euch. Ich kenn dich nun schon seit einer Ewigkeit, und ich habe dich noch nie so erlebt. Es ist es wert. ER ist es wert. Glaub mir", fügte sie ernst hinzu.

Sie wusste genau, wovor ich Angst hatte, obwohl ich es nie laut ausgesprochen hatte.

Ich hatte Angst, dass ich abermals so enttäuscht wurde, wie ich es von Nico damals wurde.

Das Problem war allerdings, dass man meine Gefühle, die ich einst für Nico hatte, nicht mit denen für Harry vergleichen konnte. Das war, als würde man einen Komposthaufen mit dem Mount Everest vergleichen. Dementsprechend war nun auch meine Fallhöhe tausendmal größer als damals. Würde ich dieses Mal wieder fallen, würde ich nicht mehr aufstehen, das wusste ich tief in meinem Inneren...

Nun standen wir also vor dem Hotel, in dem sich anscheinend laut Korbinians supergeheimen Informationen One Direction aufhielt.

Ziemlich unscheinbar, das Gebäude, aber womöglich war das nach dem gestrigen Vorfall auch so beabsichtigt.

„So, Frau Superschlau, und wie komme ich da jetzt rein und schaffe es bis zu Harry?", fragte ich Jana. Ich warf ihr von der Seite einen Blick zu und sah, dass sie vor sich hinstarrte. Tja, daran hatte sie wohl auch noch nicht gedacht. Dass wir da auch irgendwie hineinkommen mussten.

„Ich hab keine Ahnung", sagte sie ehrlich und sah mich traurig an.

Ich seufzte. (Mal wieder.)

„... schon in München, gleich fängt die Pressekonferenz um halb zwei an. Ja... ja genau... nein, weiß ich nicht. Wird wohl um ihr neues Album gehen."

Wir drehten uns beide gleichzeitig um.

An uns lief ein Mann im Anzug mit dem Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt vorbei. Er sah sehr geschäftig aus, zumindest hielt er sich für ganz wichtig. Er würdigte uns keines Blickes und ging geradewegs durch die gläserne Drehtür des Hotels.

Jana sah mich strahlend an. Doch ich gab ihr keine Gelegenheit, in irgendeinen Freudentanz auszubrechen. „Ja super, um halb zwei haben sie eine Pressekonferenz. Herzlichen Glückwunsch. Jetzt kann ich glücklich sterben, da ich diese Information nun habe. – Jana, hör auf so zu grinsen, das nützt uns gar nichts!", erinnerte ich sie unwirsch und wischte ihr das Lächeln damit vom Gesicht.

„Gehen wir einfach mal rein", schlug sie vor und zuckte mit den Schultern. „Dann können wir ja weitergucken."

Als wir die Drehtür erreichten, fingen die Schmetterlinge in meinem Bauch an, von ihrem langsamen Walzer zu einem Salsa zu wechseln. Ich atmete tief durch.

Doch mit dem Hineingehen wurde es nichts.

Als wir aus der Drehtür kamen, standen wir zwei Security-Menschen gegenüber.

Shit.

Naja, nachdem wir gefragt worden waren, was wir hier suchen würden und wir (natürlich) keinen triftigen Grund nennen konnten – ich konnte ja schlecht sagen: „ICH MUSS ZU HAAAARRYYY!!!" – zerrten uns die beiden an den Armen hinaus.

Als wir vor der Tür waren, entriss ich dem Sicherheitsmann meinen Arm und funkelte ihn böse an. Als wären wir Schwerverbrecher!

Ich drehte ihnen wortlos den Rücken zu und ging davon. Jana hetzte hinter mir her.

Als wir um die Ecke waren, stiegen mir Wuttränen in die Augen und ich blieb stehen. Jana ließ sich frustriert auf einem Fahrradständer nieder, während ich tief durchatmend vor ihr hin- und hertigerte, um meinen Herzschlag zu beruhigen und die Tränen zurückzuhalten.

Ich blieb stehen.

„Ja geil, und jetzt?", fragte ich sie und ließ die Schultern hängen.

Sie sah mich schweigend an und hatte ungefähr so viel Ahnung wie ich.

Nämlich gar keine.

Wir starrten beide einige Zeit vor uns her. Irgendwann drehte ich mich wieder zu meiner Cousine. Genau in diesem Augenblick veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Langsam zogen sich beide Mundwinkel nach oben und sie riss ihre Augen auf.

„Was???", fragte ich schlicht. Bestimmt kam wieder so ein verrückter Plan. Ich spähte in die Richtung, in die sie starrte, aber konnte nichts entdecken. Ich sah wieder zurück zu ihr.

Sie winkte mich zu sich her. Ich setzte mich neben sie und sie lachte. Sie deutete mit dem Finger in die Seitenstraße.

Und ich sah und kapierte, was sie meinte.

„Oh nein. Nein, vergiss es", sagte ich lauter als beabsichtigt.

„Wieso denn nicht?! Das kriegt doch keiner mit!"

In der Seitenstraße befand sich einer der Seiteneingänge zum Hotel. Dort stand gerade ein Lieferwagen mit Handtüchern, Bettwäsche, Tischdecken, usw. Ungefähr jede Minute kam ein Angestellter vorbei und brachte eine Ladung nach drinnen.

„Nein, damit machen wir uns strafbar! Wir können uns nicht als Angestellte verkleidet da reinschleichen!", machte ich ihr klar. Soweit kam's noch. Ich glaubte, sie war jetzt vollkommen übergeschnappt!

„Sam, das ist unsere einzige Chance! Was anderes geht nicht, das weißt du doch selber!" Sie sah mich an und ich hielt ihrem Blick stand.

„Okay." Mehr sagte ich nicht.

Mir schoss ein Wort in den Kopf.

Daredevil.

Draufgänger.

So hatte mich Dad schon von klein auf immer genannt. Bevor er nach New York gezogen ist, weil er der internationale Geschäftsführer seiner Firma wurde, und nicht nur jedes zweite Wochenende nach Hause flog.

Ja, ich war schon immer ein Draufgänger gewesen, das lag mir irgendwie im Blut.

Doch hatte ich noch nie etwas Illegales getan!

„Komm schon", sagte Jana und zog mich an der Hand in Richtung Lieferwagen.

Um Himmels willen, lieber Gott, bitte steh' uns bei!

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt