#38 - Bestest

81.2K 3.5K 304
                                    

„Also?", gab ich zurück.

Er verdrehte die Augen. „Pupsi, hör auf mit dem Spielchen und erzähl endlich."

Ich seufzte. „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick, Leo? Ich hab es nicht getan. Nicht bis letzte Woche, als ich mit Jana vor der Olympiahalle stand. Da hat sich dann alles schlagartig geändert."

Eigentlich hatte ich erwartet, dass mein Bruder lachen würde, weil die Worte so abgedreht klangen.

Aber er tat es nicht. Und wenn ich ehrlich war, klangen sie gerade auch eigentlich nicht verrückt. Sie klangen wahr, weil sie wahr waren.

„Was ist passiert?", sagte er schlicht und blickte mich aus seinen grünbraunen Augen an.

Ich erzählte ihm alles.

Von unserer Begegnung in der Tiefgarage (Begegnung Nr 1),

von dem Kerl mit der Pistole in der Olympiahalle,

von Harrys Tweets,

von Janas und meinem Besuch samt Verfolgungsjagd im Hotel (Begegnung Nr 2),

von Nico und dem Kuss (Leo biss an dieser Stelle die Kiefer fest aufeinander und seine Nasenflügel blähten sich auf),

von Harrys Reaktion, weil er dachte, Leo und ich seien ein Paar (Begegnung Nr 3),

von Harrys HeuteHalbSiebenSelberOrt-Tweet und dem darauffolgenden Horrorabend an der Olympiahalle,

von seinem Tweet, den er wieder gelöscht hat,

und letztendlich von meinem EMAs-Job.

Als ich fertig war, sah er mich nur an. Er griff nach meiner Hand und zog mich zu sich auf die andere Couch. Ich schmiegte mich an ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter.

„Ist dir aufgefallen, wie wenig wir uns in den letzten Tagen gesehen haben?? Es sind Millionen Sachen passiert und ich weiß nichts davon...", murmelte er. Er klang nicht vorwurfsvoll, er ließ es eher wie ein Vorwurf an sich selber klingen.

Oh nein, er dachte, er wäre nicht genug für seine kleine Schwester da.

„Das liegt aber daran, dass wir einfach beide zu sehr in die EMAs eingespannt sind, da kann keiner von uns beiden was dafür", verteidigte ich ihn selber vor sich selbst – wie paradox.

Er seufzte und strich mir immer wieder über den Unterarm. Seine Nähe und Wärme spendete mir so viel Trost, wie mir nichts in den letzten Tagen Trost gespendet hatte.

„Und jetzt?", fragte er.

„Sprich diese Frage nicht aus", knurrte ich, richtete mich auf und begrub das Gesicht in den Händen.

„Diese Frage raubt mir nachts den Schlaf, jeder stellt sie mir – Jana, Caro, Mom, du – und sie befindet sich wie ein Echo in meinem Kopf und haut nicht mehr ab, sondern erklingt den ganzen Tag und treibt mich schier in den Wahnsinn", jammerte ich und ließ mich seitlich fallen, sodass ich mit dem Kopf auf einem Kissen landete.

Leo zog meine Hände weg und meinte mit hochgezogener Augenbraue: „Na und? Die Frage musst du dir aber stellen. Du kannst nicht weglaufen. Falls du dich erinnerst, die EMAs sind.....ÜBERMORGEN?! Also höchste Zeit, sich damit vielleicht mal zu befassen?!?!?"

Natürlich hatte er Recht, aber ich hatte einfach Megaschiss. Und ich hatte so Angst.

„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun, wenn ich ihn sehe? Wenn ich ihm gegenüberstehe am Samstag...übermorgen?", setzte ich nachdrücklich hinterher. „So gegenüberstehe, dass ich nicht abhauen kann??!!?"

„Hau ihm eine rein." Sein ernster Tonfall brachte mich zum Lachen. Ich wusste genau, dass er es nicht ernst meinte.

„Ich weiß es doch auch nicht, Sammy. Du weißt nicht einmal, ob er den Tweet gelöscht hat, weil er dich aufgegeben hat. Vielleicht hat er ihn auch nur gelöscht, weil er dachte, dass du wahrscheinlich eh nicht genau in diesem Moment in Twitter gehst und er eine Massen-Hass-Hysterie vermeiden wollte. Zieh keine zu voreiligen Schlüsse", warnte er mich.

„Das hat Mom auch schon gesagt", sagte ich und verdrehte die Augen. „Ihr habt leicht reden, ihr steckt ja nicht in meiner Haut..."

„Stimmt, ich würde mich auch niemals in Styles verlieben!"

Für diesen Kommentar schlug ich ihm mit voller Kraft mit dem Kissen ins Gesicht.

„Du Blödmann." Ich stand auf und wollte gespielt beleidigt abziehen, aber er hielt mich an der Taille fest und zog mich zurück auf die Couch neben sich und umarmte mich.

„Hallooooooo", ertönte die Stimme unserer Mutter, als sie genau in dem Moment ins Wohnzimmer kam. „Ach, meine Kinder sind die allersüßesten!" Ich wusste, dass Mom die enge Verbindung zwischen Leo und mir über alles liebte.

„Aber Sammyschätzchen, im Flur wartet eine charmante, junge, blonde Dame auf dich. Wenn ich mich recht erinnere, meinte sie, sie heißt Carolina oder so", fügte sie hinzu und zwinkerte mir zu.

Ich fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch.

„Ach du Scheiße! Caro! Ich hab's voll verplant!!"

„Ja, ich hab's gemerkt", ertönte ihre Stimme und sie erschien neben meiner Mom in der Wohnzimmertür.

„Dann gehen wir jetzt hoch und du machst dich fertig. – Ach Gott, du warst beim Tanzen, dann musst du ja duschen und alles! Dann dauert das ja noch länger!" Entsetzt sah sie mich an.

„Hey Ca, Lust auf 'ne Runde Fifa 14, bis unsere Lieblingssammy fertig ist?", fragte Leo und grinste meine beste Freundin an.

„Oh ja, klar, ich hab grad voll Bock, jemanden fertig zu machen!", antwortete sie frech.

Leo verzog den Mund. Ich fand es einfach zu witzig, dass meine beste Freundin meinen Bruder, einen Sportstudenten, jedes Mal wieder bei Fifa 14 schlug.

Ich umarmte Leo noch einmal ganz fest und sagte leise in sein Ohr: „Danke. Du bist der Allerbeste."

„The bestest", gab er zurück, zwinkerte mir zu und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich lächelte zurück.

Na gut, auf in den Kampf. Ich kam ja nicht drumherum.

Ich seufzte, ging auf die Tür zu, gab Caro einen Kuss auf die Wange und verschwand mit den Worten „Ich beeil mich!" die Treppe nach oben im Badezimmer.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt