#80 - Fertig.

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Ich stützte mich auf dem Tresen der Bar auf und seufzte.

„Bist du müde?", fragte mich Sally, die neben mich getreten war, und strich mir mit der Hand über den Rücken.

„Klar ist sie das, sie ist auch schon seit 15 Stunden hier", ertönte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich schwerfällig um und sah Wayne, der auf mich zukam.

„Du kannst jetzt nach Hause gehen, Sam", sagte er und lächelte mich an. „Es ist jetzt fünf Uhr morgens, wir machen in einer halben Stunde spätestens eh zu. Und 15 Stunden sind mehr als genug, beziehungsweise eigentlich sind das viel zu viele", setzte er besorgt noch dazu und sah mich entschuldigend an.

„Kein Problem, es hat mir wirklich Spaß gemacht!", antwortete ich und meinte das auch so.

Die letzten zwei Stunden war nichts Interessantes mehr passiert. Niall hatte sich was zu trinken bei mir geholt, aber sonst hatte ich niemanden von One Direction noch Taylor Swift nochmal gesehen.

Was mich einerseits beruhigte, aber andererseits doch irgendwie enttäuschte. Ich hatte zwar noch eine Diskussion wahrgenommen (gleich nachdem Liam und Louis bei mir an der Bar gewesen sind), in der Niall Harry ziemlich angefahren hat und die anderen nur den Kopf geschüttelt haben, wie ich von weitem von der Bar aus erkennen konnte, aber mehr war nicht mehr gewesen.

Tja.

Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt denken sollte.

„Das ist schön, das freut mich sehr. Ich werde in den nächsten Tagen mal bei deiner Mutter im Büro vorbeikommen. Ich werde sie vorher anrufen, und es wäre schön, wenn du dann auch da sein könntest", bat er mich und ich nickte zustimmend.

Er umarmte mich einmal und ich verabschiedete mich von ihm.

Danach umarmte ich noch Nick, Amelie, Mike und Sally. Sally drückte mich natürlich besonders fest.

„Nina ist irgendwo im Speisesaal zugange", sagte Wayne und ich bedankte mich lächelnd. Ich machte mich auf die Suche nach ihr und fand sie dann auch.

„Sam, du Süße! Du bist meine Heldin des Tages! Was wären wir ohne dich gewesen!", rief sie, als sie mich sah, und zog mich in ihre Arme. „Du warst der Wahnsinn. So jemanden wie dich gibt es kein zweites Mal."

Ich grinste und wir verabschiedeten uns voneinander.

Als ich zurück durch die Gänge in den Backroom ging, betete ich, dass ich weder einem von One Direction noch Swift begegnete.

Das Schicksal meinte es einmal gut mit mir und erhörte meine Bitte. Ich kam heil im Backroom an. Ich spürte die ganze Zeit überdeutlich Louis' Zettel, den ich mir in den Ausschnitt gestopft hatte, aber ich ließ ihn dort. Ich wollte ihn jetzt nicht lesen. Ich war nicht bereit, dass ich mich wieder mit der Sache befasste. Ich brauchte eine Pause.

Ich packte meine Sachen zusammen (ich zog mich wieder nicht um. Meine Supras hatte ich ja eh schon an) und machte mich auf den Weg nach Hause.

Als ich aus der riesigen Halle rausgegangen war und die Hintertür hinter mir schloss, blieb ich auf dem dunklen Parkplatz stehen und schloss die Augen. Es war niemand außer mir hier.

...Verdammt, jetzt hatte ich einen riesen Fehler begangen, indem ich die Augen geschlossen und tief durchgeatmet hatte. Denn die Barriere brach auf und ich wurde von den Gefühlen, die mich durchströmten, überwältigt und beinahe in die Knie gezwungen.

Ich keuchte laut auf, öffnete die Augen und sah vor lauter Tränen nichts mehr.

Okay, du musst jetzt nach Hause gehen, Sam, befahl ich mir selber und mein Körper gehorchte dem Befehl meines Gehirns, als würden sie nicht zueinander gehören, sondern als wären sie zwei verschiedene Wesen.

Mechanisch lief ich los und kramte währenddessen schluchzend in meiner Tasche nach meinem Handy. Panik brach in mir aus, als ich es nicht fand.

Scheiße, scheiße, scheiße, wo war es???

Ich war jetzt an der unterirdischen S-Bahn-Station und ließ mich geschockt auf einem der Metallsitze nieder.

Ich suchte immer noch nach meinem Handy, und anscheinend machte ich zu viel Lärm, denn der alte Mann, der neben mir saß und vor sich hin schlummerte, gab ein paar vorwurfsvolle, grunzende Geräusche von sich.

Endlich ertastete ich mit meinen tauben Fingern einen kalten, rechteckigen Gegenstand. Ich atmete auf. Gott sei Dank.

Ich fischte mein Handy heraus und schluchzte immer noch wie verrückt. Seitdem die Schranke vor meinen Gefühlen weg war, durchfuhr mich ein Schmerzensstrahl nach dem anderen. Ich erzitterte jedes Mal und hätte am liebsten laut aufgeschrien.

Ich wählte blind Caros Nummer. Sie hatte mir ja gedroht, was sie alles machen würde, wenn ich sie nicht anrief, wenn ich fertig war. Ich hatte eh schon wieder 52 Nachrichten in Whatsapp, hab ich gerade gesehen. Man konnte sich denken, von welchen zwei Personen die stammten.

„Sam?", ertönte Caros schlaftrunkene Stimme murmelnd am anderen Ende.

Als ich meinen Namen von ihrer Stimme ausgesprochen hörte, weinte ich nur noch mehr. Ich beugte mich leicht nach vorne und zog gleichzeitig die Füße auf den Sitz, sodass ich die Stirn auf meine Knie sinken lassen konnte.

Ich schluchzte und schluchzte und bekam kein Wort heraus.

„Oh Gott! Sammy! Nein, scheiße, fuck, shit, oh Gott, was hat er schon wieder gemacht????", ertönte jetzt alarmiert – und komplett wach – aus dem Hörer meines Handys.

Ich wollte ihr antworten, aber ich bekam keinen Ton heraus.

Ich fühlte mich in der Zeit zurückversetzt.

Ich hatte einen Flashback, und ich saß jetzt wieder in meinem Auto, ein paar Straßen von der Olympiahalle entfernt. Damals, als Harry den Tweet gelöscht hatte. Damals, als der Schmerz begonnen hatte.

Plötzlich spürte ich, wie etwas gegen meine Wange stupste. Schwerfällig hob ich den Kopf und sah zur Seite.

Der alte Mann neben mir hielt mir wortlos ein Taschentuch hin.

Ich ergriff es dankbar und wischte mir die Tränen ab.

„Sam, wo bist du??", fragte Caro und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

„Ich fahr jetzt nach Hause", sagte ich leise mit heiserer Stimme.

„Wie, du bist in der S-Bahn?", sagte sie laut und schnappte erschrocken nach Luft. „Und wieso fährst du eigentlich jetzt erst nach Hause, um 5.13 Uhr?!?"

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt