#88 - Mittwoch 1.0

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„Sam, Schatz, wach auf."

Grummelnd drehte ich mich um und zwang mein linkes Auge dazu, sich zu öffnen.

„Was?", nuschelte ich und sah Mom verschlafen an, die in meiner Zimmertür stand.

„Ich hab gestern ganz vergessen, dir zu sagen, dass Wayne heute zu mir ins Büro kommt. Und er möchte, dass du auch kommst, weil er mit dir das Finanzielle von den EMAs und so weiter abklären will."

„Hmm, ich weiß, das hat er am Samstag schon zu mir gesagt..."

Ich drehte mich im Bett wieder um und sah auf meinen Radiowecker. Halb neun.

Ich stöhnte auf.

„Mom! Es ist mitten in der Nacht und du weckst mich, um mir das zu sagen?! Du hättest mir genauso gut 'nen Zettel oder 'ne Nachricht schreiben können!"

Sie sah mich nur belustigt an und verschränkte die Arme. „Entschuldigung, dass ich dich mitten in der Nacht wecke. Es ist wirklich eigentlich noch Schlafenszeit, siehst du, wie dunkel es noch draußen ist?"

Mit einem Ruck zog sie meinen Rollladen hoch und mich blendete auf einen Schlag die Sonne.

GANZ witzig, Mom, ich lache mich tot.

Sie ging zurück zu meiner Zimmertür und sagte: „Ich wollte es dir eben selber sagen, bevor ich jetzt in die Arbeit fahre, und auf Nummer sicher gehen, dass du deinen süßen Knackarsch auch wirklich in mein Büro bewegst."

„Ja, ist ja okay." Ich schloss die Augen und fragte: „Wann kommt er?"

„Um zehn. Dann solltest du bitte spätestens um halb elf da sein, okay? ... Okay??", setzte sie nach, als ich nicht sofort antwortete.

„Jahaaa! Ich werde da sein!", gab ich ziemlich pampig zurück und drehte ihr wieder den Rücken zu.

Jap, ich war ein waaahnsinniger Morgenmensch.

..... Nicht.

Ich hörte sie leise lachen, während sie die Tür hinter sich zuzog und leise etwas auf Italienisch murmelte.

Toll, jetzt würde ich eh nicht mehr schlafen können, dann konnte ich auch gleich aufstehen. Mit finsterem Gesicht schälte ich mich aus meiner wunderbar warmen Decke und stand auf.

Heute war Mittwoch. In zwei Tagen würden sie wieder hier in München sein.

Oh Gott, nur wenn ich daran dachte, fing mein Herz an, wie blöd zu pochen. Super, der Tag fing ja echt toll an. Das war echt zu viel für mich um halb neun morgens, also ließ ich mich wieder auf mein Bett plumpsen und zog die Bettdecke über mich, bis nur noch meine wilden Locken herausschauten.

Fuck, ich wusste immer noch nicht, was ich machen sollte, wenn sie wieder hier waren.

Soll ich ihn suchen? Soll ich ihn zur Rede stellen? Soll ich mir erklären lassen, wieso er das gemacht hat? Wieso er Taylor geküsst hat... Soll ich ihm einfach ins Gesicht sagen, was ich für ihn empfinde? Oder soll ich lieber nichts machen und schauen, ob er mich sucht? Oder soll ich.... Ach fuck.

Normalerweise war ich eine, die das Gespräch sucht und sich mit der anderen Person aussprechen will, wenn es irgendwas gab, was zwischen uns steht. Wenn mich jemand scheiße behandelt, will ich wenigstens wissen, womit ich das verdient habe. (Ich will damit nicht sagen, dass ich heilig bin und keine Fehler mache – im Gegenteil, ich mache eigentlich wahrscheinlich noch mehr Fehler als der normale Durchschnittsbürger... zumindest kam es mir so vor.)

Eigentlich war es auch gut für mich gewesen, dass ich letztens unfreiwillig das Gespräch mit Nico geführt habe, nachdem wir von der Party aus dem Storm gekommen sind. Jetzt im Nachhinein ist es alles verständlicher für mich – soweit man Nicos falsches und einfach nur beklopptes Verhalten eben verstehen konnte. Aber ich kannte ihn und wusste, wie er tickte, deswegen machte das Ganze jetzt doch mehr Sinn für mich und ich konnte mich damit abfinden und abschließen. Es war bisher immer eine offene Wunde gewesen, diese ganze Sache zwischen ihm und mir, aber jetzt war es okay und ich hatte damit abgeschlossen – unabhängig von Harrys Auftauchen in meinem Leben. Ich war durch damit.

Nico war einfach der größte Fehlgriff meines Lebens gewesen.

Naja, Hauptsache, er blieb dieser größte Fehlgriff und Harry löste ihn nicht ab...

Okay, beweg deinen Hintern aus dem Bett, Samantha. Genug gegrübelt.

Im Bad ging ich unter die Dusche, ohne mich vorher im Spiegel anzuschauen. Ich wusste, wie scheiße ich aussah, dann musste ich mir das nicht selber nochmal reindrücken.

Am Frühstückstisch saß ich einem ziemlich verpennten Leo gegenüber.

„Was hast'n du heute Nacht getrieben?", fragte ich ihn, als ich lustlos meine Zimt-Cornflakes in mich hineinlöffelte.

„War weg..." Lahm griff er nach seiner Tasse Kaffee.

„Ach, ehrlich. Das hätte ich jetzt nicht gewusst", gab ich sarkastisch zurück und erntete dafür einen bösen Blick.

„Ich war mal wieder der einzige Nüchterne und musste deswegen Taxi und Kummerkasten spielen. Ich war keine Ahnung wann erst im Bett und dann hab ich vergessen, mein Handy auf lautlos zu stellen, sodass ich um acht durch einen Anruf geweckt wurde."

„Yey, geiler Start in den Morgen", kommentierte ich und biss mir anschließend auf die Lippe. Ich hasse dich, Galgenhumor.

„Sorry, war nicht so gemeint..."

„Ist schon okay, Sammy, ich nehm's dir nicht übel, ich war in letzter Zeit nicht besser zu dir. Außerdem geht's dir nicht gut und ich weiß das. Eigentlich ist es beruhigend, wenn du deine laute Klappe und deinen Sarkasmus nicht verloren hast, das heißt dann nur, dass du noch unter den Lebenden weilst und dich selber noch nicht aufgegeben hast." Er lächelte mich warm an und ich grinste unwillkürlich zurück.

„Ich geh jetzt zurück in mein Bett", verkündete Leo und wuschelte mir einmal durch meine Haare. „Kannst du mein Zeug auch wegräumen bitte?" Er deutete auf sein Frühstückszeug.

Ich nickte. „Jetzt verzieh dich wieder in dein Bett, Stinkstiefel!" Ich deutete auf die Tür und er salutierte, bevor er verschwand.

Ich grinste und schüttelte den Kopf. So ein Clown.

Schade, dass er keine Freundin hat... Naja, er ist eigentlich eh zu gut für jedes Mädchen. So jemanden wie meinen Bruder kann man kein zweites Mal finden. Mir fiel auf Anhieb niemand ein, dem ich meinen Bruder als Freund gönnen würde. Außer vielleicht Caro.

Ugh, ich schüttelte mich, als mir dieser Gedanke durch den Kopf ging. Das ging ja mal GAR nicht. Caro und Leo? Never. Die beiden waren wie Geschwister, da würde niemand auf die Idee kommen, sich in den anderen zu verlieben.

Nachdem ich die Küche aufgeräumt hatte, tigerte ich zurück in mein Zimmer und machte mich fertig, dass ich in Moms Büro fahren konnte. Ich war wirklich gespannt, was Wayne alles von mir wollte. Und vor allem, wie viel Geld ich denn jetzt kriegen würde. Also auf jeden Fall die 350 Euro für das Kellnern selber, aber dann kam ja noch die Nacht hinter der Bar dazu. Ich war wirklich gespannt.

Mit einem Blick auf die Uhr bestätigte sich mein Gedanke, dass ich jetzt losmusste. Ich schlüpfte in meine Schuhe, zog meine schwarze Lederjacke über, stopfte mir die Kopfhörer meines Handys in die Ohren und machte mich auf den Weg zur S-Bahn-Station.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt