#114 - Hier.

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„Ich bin soo müüüüde..." Mit einem Seufzer ließ sich Harry auf das riesige Himmelbett fallen und blieb reglos liegen.

Wir waren jetzt in seinem Hotelzimmer, und ich stand ein wenig blöd neben dem Bett, weil ich nicht wusste, wo ich hingehen oder mich hinsetzen sollte.

Verstohlen sah ich mich in diesem riesigen, dunklen Raum um, während sich meine Gedanken überschlugen und ich Mühe hatte, aufrecht stehen zu bleiben.

Ich war komplett durcheinander.

Was war das für eine Situation..? Ich verstand die Welt nicht mehr. Harry hatte mich nicht mehr geküsst, er sah mich zwar immer noch mit einem weichen Blick und einem Lächeln im Gesicht an, aber irgendetwas ...war anders. Das konnte ich überdeutlich merken. Ich verstand es einfach nicht.

Harry hatte nun das Nachtlicht auf der einen Seite angemacht, das den Raum in einen angenehmen Orange-Ton färbte.

Er griff nach der Fernbedienung neben sich und schaltete den Fernseher an.

Er zappte ein wenig durch die Kanäle, bis ich es nicht mehr aushielt und laut losprustete.

Er sah mich verwirrt an und ich lachte nur noch mehr.

„Wirklich, Harry? Du willst jetzt deutsches Fernsehprogramm anschauen, obwohl du kein Wort Deutsch sprichst?", bekam ich gerade so heraus, dann lachte ich schon wieder los.

Er kratzte sich am Kopf und die Grübchen erschienen auf seinen Wangen.

„Ich kann deutsch! Also nur ein bisschen was, aber ich kann's!..... Vielleicht gibt es ja auch ein paar englische Kanäle", meinte er dann und zog eine Grimasse.

Ich setzte mich kopfschüttelnd und immer noch grinsend auf die Bettkante und sah ebenfalls auf den Fernseher. Leider fand Harry nach ein paar Augenblicken doch irgendeinen englischsprachigen Kanal.

Triumphierend sah er mich an und ich verdrehte nur spielerisch die Augen.

Er ließ sich tief in die Kissen sinken und seufzte. „Ich bin wirklich so müde.."

„Dann schlaf?", schlug ich lachend vor und rutschte weiter in die Mitte des Bettes, damit ich meine Beine ausstrecken konnte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie spät es inzwischen war. Es war mir aber auch total egal. Ich war hier bei Harry. Auch wenn er komisch zu mir war und ich komplett verwirrt war.

Aber ich war hier.

Das war alles, was zählte.

„Neeee, nicht, wenn ich nur noch bis morgen früh hier bin und ich dich endlich gefunden hab", grummelte er in das Kissen und versuchte mühsam, seine Augen zu öffnen.

„Ach, Quatsch. Guck, du kriegst ja nicht einmal mehr deine Augen auf", argumentierte ich und er drehte sich auf die Seite, um mich anzusehen. Oder eher anzuschielen, da er nur ein Augen öffnete, was ziemlich witzig aussah.

Sein Handy auf dem Nachtisch vibrierte schon wieder.

„Willst du nicht mal nachschauen, wer dich dauernd anruft und dir schreibt?", fragte ich vorsichtig und reckte den Hals, um zu sehen, ob sein iPhone noch auf dem Nachtisch lag, oder ob es schon vor lauter Vibration auf den Boden gewandert war.

„Das weiß ich auch so, ohne dass ich hinschaue", kam die müde, gemurmelte Antwort.

„Man, ich will nicht schlafen!" Mit einem Ruck richtete er sich auf und fuhr sich mit der Hand durch seine Haare. Er sah mich mit einem Welpenblick an und seufzte. „Manchmal hasse ich diesen Job. Ich glaube, so wenig habe ich noch nie innerhalb drei Wochen geschlafen."

„Dann schlaahaaaf!", wiederholte ich und rutschte zu ihm hin, damit ich ihn an den Schultern zurück in die Kissen drücken konnte, aber er hielt meine Handgelenke fest.

Ich sah ihm in die Augen und die Welt um mich herum blieb mal wieder stehen.

Nicht nur die Welt, nein, die Zeit auch.

Eigentlich das ganze Universum.

Ich sah nur diese wunderbaren grünen Augen vor mir. Ich konnte kaum noch atmen und wurde von den Gefühlen, die ich für diesen Kerl vor mir empfang, durchströmt, sodass mein Herz beinahe kollabierte.

Ich wollte ihm sagen, was ich fühlte, dass ich ihn brauchte, was er mir bedeutete – aber ich bekam keinen Ton heraus. Ich war verwirrt. Ich wusste nichts mehr. Ich wusste nicht, was ich denken sollte.

Harry erwiderte meinen Blick und löste eine Hand von einem meiner Handgelenke und strich mir die Haare, die mir ins Gesicht gefallen waren, vorsichtig zurück und ließ seine Hand in meine Haare sinken und vergrub seine Finger sanft darin.

„Wahrscheinlich hast du Recht und ich sollte wirklich schlafen...", murmelte er und ich schmiegte unwillkürlich mein Gesicht in seine Hand.

„...aber das tue ich nicht. Schauen wir doch einfach noch ein bisschen fern, was meinst du?", schlug er vor und ließ mich jetzt (mit beiden Händen) los. Sofort verspürte ich einen Stich im Herzen, als seine Haut meine verließ, und am liebsten hätte ich nach seinen Händen gegriffen, nur um seine Berührung wieder zu spüren.

„Okay", sagte ich einfach nur. Mir war alles recht. Hauptsache ich konnte hier bei ihm bleiben. Ich gehörte nirgends wo anders hin als hier her. Hier an seine Seite.

Er ließ sich wieder nach hinten sinken und zog mich in der gleichen Bewegung an der Hand neben ihn.

Ich kuschelte mich an ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Mein Magen machte Luftsprünge, die Schmetterlinge in meinem Bauch torkelten glücksbetrunken durch die Gegend und mein Herz war mehr als nur überfordert.

„Ist dir kalt?", fragte Harry und zog die Decke unter uns hervor und legte sie über uns.

Er zog mich noch näher an sich heran und ich ließ mich komplett in seine Umarmung sinken.

Es fühlte sich richtig an.

Es war perfekt, so, wie es war.

So ein Gefühl hatte ich bei Nico nie empfunden. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas überhaupt existierte. Harry hatte mir in so vielen Richtungen die Augen geöffnet.

Ich hatte nie an die Liebe auf den ersten Blick geglaubt – bis ich Harry getroffen hatte.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich so sehr für einen Jungen jemals kämpfen würde – bis Harry auftauchte.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich so etwas fühlen konnte – bis Harry kam.

Und trotz der Glücksgefühle und alles, was mich durchströmte, saß die Angst mir im Nacken.

Ja, ihr habt richtig gehört, ich hatte Angst. Verdammt Angst.

Wer garantiert mir denn, dass das niemals aufhören würde? Wer garantiert mir, dass er dasselbe fühlte (was ich ja eh bezweifelte)? Wer garantiert mir, dass das nicht nur ein Traum ist, aus dem ich aufwache und mich in der Realität nicht mehr zurechtfinden kann?

Angst.

Überall Angst, Zweifel, Unsicherheiten.

Aber wann war das Leben schon sicher.

Man musste Risiken eingehen, damit man überhaupt lebte.

Und das hatte ich gemacht, oh ja, das hatte ich wirklich gemacht. Ich hatte immer verbissen an meinem letzten kleinen Fünkchen Hoffnung festgehalten. Ich hatte Harry nicht aufgegeben, obwohl das Schicksal- nein eigentlich das gesamte Universum gegen uns gearbeitet hatte.

Aber ich war trotz alledem hier.

Ich war hier.

In seinen Armen.

HeartbeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt